Prozess gegen Berliner U-Bahn-Schläger Nüchterne Worte eines besoffenen Täters

  • von Uta Eisenhardt
Als U-Bahn-Schläger von Berlin hat er alle schockiert. Schüchtern schilderte der 18-Jährige nun vor Gericht seine Tat - ein plötzlicher Rausch aus Suff und Aggression.

Was geschah in der Nacht zum Ostersamstag auf dem Bahnhof Friedrichstraße? Diese Frage muss im Prozess um den Berliner U-Bahn-Überfall geklärt werden. Eine erste Antwort lieferte zum Auftakt des Verfahrens vor dem Berliner Landgericht Nico A. "Das Opfer ist auf dem Boden liegengeblieben, der hat nichts mehr gemacht", wird er zitiert. "Aus irgendeinem Grund ist Torben auf das Opfer losgegangen. Er hat das Opfer mit den Schuhen auf den Kopf getreten, ein paar Mal. Daran kann ich mich erinnern, auch ohne das Video gesehen zu haben. Die Bilder habe ich noch im Kopf. Die gehen gar nicht mehr weg."

Nico A. ist der gleichaltrige Freund von Torben P., dem 18-jährigen U-Bahnschläger, der in die Schlagzeilen geriet, weil er einem 29-jährigen Installateur mit einer gut gefüllten 1,5-Liter-Cola-Flasche ins Gesicht schlug, so stark, dass sein Opfer das Bewusstsein verlor und bäuchlings auf den Bahnsteig fiel. Anstatt nun von ihm abzulassen, trat Torben P. ihn viermal heftig auf den Kopf. Das Opfer erlitt unter anderem ein lebensbedrohliches Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades, mit dessen Folgen er sich bis heute auseinandersetzt. Es wäre noch schlimmer gekommen, hätte nicht ein Mutiger den Schläger weggezogen. Auch dieser Retter blieb nicht ungeschoren: Die beiden Gymnasiasten schlugen ihm ins Gesicht, traten ihm in den Rücken, so dass auch ihr zweites Opfer zu Boden ging, wobei sein Kopf auf den Betonboden schlug.

Die Tritte haben sein Leben völlig verändert

Eine Überwachungskamera filmte die schockierende Tat. Die Bilder gelangten an die Öffentlichkeit und sorgten landauf, landab für Erschütterung: Wie kann jemand einem erkennbar Wehrlosen mit derartiger Wucht auf den Kopf treten, wieder und wieder? Der versuchte Totschlag wurde ein "Medienfall hoch zehn", als den ihn Torben P. heute vor dem Berliner Landgericht bezeichnet.

Ausführlich äußert sich der schüchtern wirkende, fast zwei Meter große Gymnasiast zu den Tritten, die sein Leben völlig veränderten, wahrscheinlich sogar zerstörten. Er versucht zu retten, was zu retten ist. "Hohes Gericht, meine Damen und Herren", beginnt er seinen Vortrag, den er mit seinem Anwalt "zusammengestellt" hat. Bevor er sich zu seiner Tat äußert, stellt er richtig, dass sein Vater entgegen Medienberichten kein Anwalt sei, sondern ein frühberenteter Angestellter einer Krankenversicherung. Er habe es auch "nicht als Belohnung" empfunden, nach der Tat vom Unterricht befreit worden zu sein, denn gerade an dieser Gesamtschule habe er sich wohl gefühlt, nachdem er zuvor dreimal das Gymnasium gewechselt hatte. Zurzeit erhalte er Einzelunterricht, nach dem Prozess sei eine andere Berliner Schule bereit, ihn aufzunehmen.

"Meine Tat ist eine Schweinerei"

Torben P. spricht langsam und überdeutlich akzentuiert, manchmal wirken seine Sätze regelrecht gestelzt, wenn er etwa über das vor der Tat eingenommene Essen sagt: "Ich erinnere mich an eine vielfältige afrikanische Küche, die mir sehr gemundet hat." Dies mag der Aufregung geschuldet sein, ebenso wie seine mehrmals geäußerten, höflichen Bitten, eine an ihn gestellte Frage zu wiederholen.

"Die Vorwürfe treffen zu", sagt er. "Ich kann und möchte meine Taten weder rechtfertigen, noch entschuldigen. Ich kann sie auch nicht erklären, weil ich selbst noch keine Erklärung habe." Er sei darüber "entsetzt und erschrocken" und könne jeden verstehen, der ähnlich denke. "Meine Tat ist eine Schweinerei, das ist auch mit dem Alkohol nicht zu entschuldigen. Alles was ich tun kann, ist, die Verantwortung zu übernehmen."

Er sei an jenem Karfreitag mit seinem Freund Nico A. zur Geburtstagsfeier einer Schulkameradin gegangen. Weil sie auf der Party nicht so viele Leute kannten, hätten sie sich gelangweilt und getrunken, jeder mindestens eine 0,7-Liter-Flasche Hochprozentiges. Als sie gegen zwei Uhr nachts von der Party aufbrachen, nahmen sie sich noch eine Flasche Wodka mit - für unterwegs. "Ich habe gemerkt, dass ich getrunken habe. Ich war aber keinesfalls hinüber", sagt Torben P.

"Wir wollten noch nicht nach Hause. Wir wollten etwas in der Stadt erleben", sagt der Berliner, der am Rande der Großstadt lebt. Ihr Ziel war die Oranienburger Straße. Unterwegs hätten Nico A. und er "Leute angequatscht": "Mit einigen war das lustig und friedlich." So hätten ihnen holländische Touristen Fotos auf ihrer Digitalkamera gezeigt. "Andere haben sehr ablehnend reagiert. Einige dieser Leute haben wir angemault und beschimpft, wir sind aber nicht handgreiflich geworden."

Statt in der Oranienburger Straße seien sie dann Unter den Linden gelandet. Da war nichts los. "Der Abend war zu Ende. Wir wollten nach Hause", erinnert sich Torben P. "Wir waren nicht in aggressiver Stimmung. Warum sich das änderte, kann ich nicht sagen." Seine Erinnerung sei lückenhaft, er wisse nicht mehr genau, warum er den auf einer Bahnhofsbank dösenden Handwerker angesprochen, sich mit ihm gestritten, ihn geschubst und schließlich zu Boden geschlagen habe.

"Ich glaubte, mich verteidigen zu müssen"

Irgendwann stand der Installateur auf. "Er kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Er hat mich am Kragen gefasst, das hat mich völlig überrascht", sagt Torben P. "Ich erinnere mich an ein Gefühl der Angst. Mein Herz raste, mein Körper fühlte sich schwer an. Ich glaubte, mich verteidigen zu müssen", beteuert der Angeklagte. Er habe dem Mann dann die Flasche ins Gesicht geschlagen: "Der Schlag war eine völlige Überreaktion. Ich hatte zuvor noch nie einem Menschen einen harten Gegenstand ins Gesicht geschlagen." Er habe auch "noch nie zuvor auf einen Menschen eingeschlagen, der hilflos am Boden lag".

Dann sei er von dem mutigen Retter in den Schwitzkasten genommen worden. Er habe sich nicht befreien können und seinem Freund zugerufen: "Gib ihm Bomben!" "Das hieß, Nico sollte Herrn B. schlagen." Nico A. äußert sich in seinem heutigen Geständnis dazu: "Dann hing ich an Herrn B. dran, der ließ Torben los." Auf den Bildern der Überwachungskameras sieht man, wie die beiden Schläger nun den Bahnhof verlassen, wieselflink die Treppen hoch rennen, während ihr blutendes, bewusstloses Opfer noch immer reglos auf dem Boden liegt. "Wir liefen um unser Leben", sagt Torben P. "Genau das habe ich in dem Augenblick geglaubt. In meiner Vorstellung waren die Rollen vertauscht."

"Wenn Torben frei hat, betrinkt er sich"

Das Opfer hat keine Erinnerung an die Tritte. Die Entschuldigung und die 7000 Euro Schmerzensgeld, die ihm der Schläger anbot, will er nicht annehmen, er und seine Anwälte halten sie für Prozesstaktik.

Torben P. erklärt, er habe damals erst auf dem Nachhauseweg "realisiert, dass ich etwas sehr Schlimmes getan hatte". In der Nacht habe er lange auf einem Spielplatz gesessen und mit einer Freundin gesprochen, die er zufällig in der U-Bahn getroffen hatte. Diese Freundin erklärte später bei der Polizei: "Wenn Torben frei hat, betrinkt er sich. Er wird aggressiv und brüllt Leute an."

Nach dem Prozess will Torben P. wegziehen

Von dieser Erkenntnis scheint Torben P. noch weit entfernt. Immerhin besucht er derzeit ein Antisuchtprogramm, wo er sich mit seiner Tat auseinandersetzt. So ist sein Entsetzen über die eigene Tat sicher nicht gespielt, schließlich hat er sich am nächsten Tag selbst bei der Polizei gestellt und schließlich überrollen ihn auch deren gravierende Folgen. Nach dem Prozess will er mit seiner Familie wegziehen: "Es hat Drohungen gegen mich und meine Eltern gegeben, die von der Polizei als ernst eingestuft worden sind."

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