Plädoyers im Fall Torben P. "Ich verdiene eine Strafe"

  • von Uta Eisenhardt
Wie betrunken war Torben P., der U-Bahnschläger aus Berlin? Eine zentrale Frage vor dem anstehenden Urteil. Verteidigung und Staatsanwalt fordern Jugendstrafen, der Angeklagte selbst gab sich am Tag der Plädoyers kleinlaut.

Es stimmt wohl, was Rechtsanwalt Alexander Sättele in seinem Plädoyer über seinen Mandanten sagte: "In den frühen Morgenstunden des 23. April hätte keiner von uns Torben P. im U-Bahnhof Friedrichstraße begegnen mögen." Er und sein Freund Nico A. seien "großmännisch" und "Aufmerksamkeit suchend" aufgetreten. Nur mit etwas Glück hätte man ihnen aus dem Weg gehen können. Markus Pi. hatte dieses Glück nicht: Torben P. schlug ihm eine gut gefüllte Plastikflasche an die Schläfe, dann trat er ihm vier Mal mit voller Wucht auf den Kopf. Als ein Mutiger ihn festhielt, um weitere Tritte zu verhindern, schlug Torben P. nun diesen, ohne sich losreißen zu können. Er bat Nico A. um Hilfe und der Freund sprang dem Mutigen in den Rücken.

In den am Donnerstag gehaltenen Plädoyers vor dem Berliner Landgericht ging es weniger um den Ablauf dieser Tat. Den haben die Überwachungskameras im U-Bahnhof – anders als in ähnlich gelagerten Fällen - "unumstößlich festgehalten", so die Staatsanwältin. "Die Wahrheit stand fest." In den zurückliegenden Verhandlungstagen beschäftigte sich das Gericht vor allem mit der Motivation der Angeklagten - und damit, wieviel sie getrunken haben.

Die Anklägerin jedenfalls glaubt Torben P. nicht, wenn der aufgrund seines Rausches eine "lückenhafte Erinnerung" an die Tat geltend macht. Sie wertete seine Angaben vor Gericht auch nicht als Geständnis oder als Übernahme von Verantwortung, sondern als Versuch, die Dinge zu beschönigen. So habe der Angeklagte gegenüber der psychiatrischen Gutachterin eine solche Menge genossener Alkoholika beschrieben, die einem Blutalkoholwert von mehr als 12 Promille entsprochen hätten: "Dann wäre es niemals zu diesem Prozess gekommen", erklärte Katrin Faust. "Herr P. hätte sich im Leichenschauhaus befunden."

Seine Bewegungen: "Raumgreifend" und "entgrenzt"

Konkrete Zahlen stehen dem Gericht aber nicht zur Verfügung: Als der Täter sich am Tattag gegen 18 Uhr bei der Polizei stellte, sei eine verlässliche Blutalkoholbestimmung nicht mehr möglich gewesen. Darum müssen sich die Juristen ihre Meinung anhand der Zeugenaussagen und der im Überwachungsvideo festgehaltenen Bewegungsabläufe bilden. Letztere beschrieb Katrin Faust in ihrem Plädoyer als "raumgreifend" und "entgrenzt". Unsicherheiten will sie nicht wahrgenommen haben. Beispielhaft führte sie an, dass Nico A. rennen und sicher abbremsen und Torben P. mit erhobener Hand an eine Anzeigentafel springen konnte. Auch bei der Tat habe sich der Angeklagte koordiniert bewegen können: "Er wollte den Kopf treffen, er hat es geschafft", so die Staatsanwältin.

"An den lichten Momenten wird die Alkoholisierung fest gemacht", hält Thorsten Bieber, der Verteidiger von Nico A., dagegen. Das wieselflinke Wegrennen seines Mandanten sei dem Adrenalin geschuldet, das in den Adern der beiden jungen Männer pulsiert hätte. Der Verteidiger von Torben P. führt andere Belege für den hohen Alkoholpegel der beiden an: Er habe gesehen, dass Nico A. ins Gleisbett urinierte. Er sah aber vor allem, dass sein Mandant ins Gleisbett sprang, eine Handvoll Schotter heraus holte und die Steine provozierend vor die Füße einer Gruppe Fahrgäste warf, die ihn aber ignorierte. Markus Pi. aber, der angetrunken und dösend auf einer Bank saß, brachte diese Ignoranz nicht auf. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Pi. den Arm seines Kontrahenten P. ergriff und nicht mehr loslassen wollte, wie der Verteidiger im Video beobachtete. So könnte es aus seiner Sicht zu jener Fehldeutung seines Mandanten gekommen sein, der angab, er habe sich von seinem Opfer bedroht gefühlt.

Daran glaubt die Staatsanwältin nicht: "Seine Körpersprache spiegelt Triumph, keine Angst. Das ist aus meiner Sicht blanke Aggression." Ausgerechnet die Anwältin des Opfers Markus Pi. schätzt die Motivation des Täters anders ein: Sie habe durch die Verhandlung das "Bild eines verletzlichen, überforderten Menschen" gewonnen, der "seinen Frust in sich hineinfraß und am 23. April förmlich explodierte", sagte Elke Zipperer.

Beide Seiten fordern Jugendstrafen

So unterschiedlich die Meinungen ausfallen, die Juristen sind sich jedoch darüber einig, dass die beiden Angeklagten nach dem milderen Jugendstrafrecht verurteilt werden sollten. Die Anwälte von Torben P. sprechen sich für eine Strafe von nicht mehr als zwei Jahren Haft aus, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. Die Staatsanwaltschaft dagegen fordert vier Jahre Gefängnis.

Oberstaatsanwalt Rudolf Hausmann zählte viele Aspekte zugunsten des Angeklagten auf: Er sei nicht vorbestraft, seine Opfer hätten keine bleibenden körperlichen Schäden erlitten, er habe sich noch am Tattag bei der Polizei gestellt und mit seiner Tat ein massives Medienecho ausgelöst, das zu Morddrohungen führte, das ihn den Schulplatz kostete und das einem Wohnungswechsel und damit einem Verlust des vertrauten Umfeldes führte. Der Staatsanwalt vergisst auch nicht die Bemühungen von Torben P., sich mit seiner Tat auseinander zu setzen: Den Besuch eines Anti-Drogen-Programms, einer Therapie, eines Anti-Gewalt-Seminars und den teilweise bereits geleisteten Schadenersatz.

Andererseits kritisierte er die Opferrolle, in die sich Torben P. nach Meinung des Anklägers zuweilen begeben habe. Obendrein bescheinigte er beiden Tätern einen Mangel an Empathie. Nico A. soll für den Sprung in den Rücken und die unterlassene Hilfe drei Wochen in den Dauerarrest, er soll einen großen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren und 100 Stunden Freizeitarbeit leisten.

"Ich habe etwas sehr Schlimmes getan", sagte Torben P. in seinen letzten Worten, bevor die Richter am 19. September das Urteil verkünden werden. "Durch mich mussten viele Menschen leiden, zuerst die Opfer Herr Pi. und Herr B." Er könne sich das selbst nicht verzeihen, bitte aber um Entschuldigung. P. gab sich devot: "Ich bin kein Opfer, ich bin der Täter. Ich verdiene eine Strafe. Aber keiner will ins Gefängnis, auch ich nicht. So oder so werde ich alles tun, damit so etwas Schlimmes nicht noch einmal passiert."

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