Urteil gegen Torben P. Aus der Bahn getreten

  • von Uta Eisenhardt
Er ist ein ruhiger Junge, ein wenig spießig gar. Doch an diesem Abend auf dem Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße wütet er wie ein Wahnsinniger. Dafür muss Torben P. jetzt büßen.

Der Vorsitzende Richter Uwe Nötzel spricht die Formel "Im Namen des Volkes". Nur noch Sekunden trennen Torben P. und Nico A. von ihrem Urteil. Schicksalsergeben schaut der fast zwei Meter große Torben geradeaus, er wirkt müde, fertig. Sein Freund Nico A. hat seine Hände gefaltet. So verharren sie, während der Vorsitzende Torben mitteilt, er werde für einen versuchten Totschlag in Verbindung mit gefährlicher Körperverletzung und eine gefährliche Körperverletzung in Verbindung mit einer Nötigung zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Sein Freund Nico kommt weit besser weg: Er muss wegen seinem Tatbeitrag, eine gemeinschaftliche, gefährliche Körperverletzung inklusive Nötigung und unterlassener Hilfe, einen großen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren und 250 Euro an einen Opferfonds zahlen.

Torben P. Ein Junge aus gutem Hause, kein Täter aus dem Klischee. Ein gebildeter junger Mann, den ein einziger Fehltritt aus der Lebensbahn wirft. An einem Tag, der schön, fröhlich, friedlich zu werden versprach. Torben und sein Freund hatten Osterferien, sie angelten am See, am Abend feierten sie mit Freunden auf einer Geburtstagsparty. Und tranken dabei extrem. Um halb vier morgens auf dem Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße geschah dann die verhängnisvolle Zusammenkunft, an deren Ende der 29-jährige Installateur Markus Pi. bewusstlos auf dem Bahnsteig lag – getroffen von einer fast vollen Cola-Flasche, die ihm Torben P. ins Gesicht geschlagen hatte und von vier wuchtigen Fußtritten. Auch Georg B., der dem Opfer zu Hilfe geeilt war und der Torben P. bis zum Eintreffen der Polizei festhalten wollte, kassierte Schläge.

In wenigen Minuten entgleist ein Leben

"In einem Zeitraum von wenigen Minuten ist er grässlich entgleist", sprach der Richter über Torben P. Ein junger Mann, eher introvertiert, eher spießig, noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, zerschießt sich in wenigen Minuten sein ganzes bisheriges Leben, das doch gerade eine positive Wendung genommen hatte: Nach drei Schulwechseln hatte er endlich ein Gymnasium gefunden, an dem er sich wohl fühlte und an dem er seine Leistungen verbessern konnte. Als "Streber" bezeichneten ihn seine Mitschüler, man will es gern glauben, wenn man Torben P. Sätze sagen hört, wie "Wir haben dem See keine Fische entnommen" oder: "Ich erinnere mich an eine vielfältige afrikanische Küche, die mir sehr gemundet hat." Seit fünf Monaten hatte er eine feste Freundin, seine erste große Liebe. Eigentlich bestand kein Grund für Frust.

Warum ließ sich ein gebildeter junger Mann aus einem intakten Elternhaus zu einer solchen Tat, einem Kapitaldelikt, hinreißen? Warum fand er nicht einmal ein Ende, als sein Opfer bereits bewusstlos am Boden lag und wollte es sogar noch weiter treten?

In dem siebentägigen Prozess nimmt diese Frage großen Raum ein, denn schließlich muss das Gericht nicht nur den äußeren Tatablauf feststellen, der ja durch die Videoaufzeichnungen so gut dokumentiert ist, wie es sich jeder Richter nur wünschen kann. Nein, "es gibt auch die innere Tatseite", so der Vorsitzende. In welcher Lebenssituation befand sich der Täter?

Eine normale Kindheit

Schon am ersten Tag erklärte Torben P.: "Meine Kindheit kann man als normal bezeichnen. Ich bin in äußerlich geordneten Verhältnissen aufgewachsen. Dennoch ist meine Kindheit auch ungewöhnlich." Seine Eltern sind schwerkrank, beide leiden an Diabetes, der Vater an Parkinson, die Mutter an Depressionen. Der gesundheitliche Zustand der Eltern bestimmte seine Kindheit und die seiner fünf Jahre älteren Schwester. Oft ängstigten sich die Kinder um das Leben der beiden Frührentner, die sich ihnen gegenüber zwar fürsorglich und umsorgend zeigten, sich aber aufgrund ihrer Krankheiten nicht ausreichend kümmern konnten. Die Gutachterin im Prozess bescheinigte Torben P. ein hohes Maß an Selbstaggression, als Zwölf-, Dreizehnjähriger habe er sich am ganzen Körper geritzt. Zwischenmenschliche Kommunikation betrachte er als Machtkampf.

Diese Grunddisposition nahm er mit in jene unsägliche Auseinandersetzung, sie wurde verstärkt durch den Genuss von Alkohol, dessen konkrete Menge sich nicht mehr bestimmen lässt. "Sie waren alkoholisiert, aber beide waren auch alkoholgewohnt", so die Meinung der Richter. Sie glauben, dass beide wussten, was sie taten, sie glauben an eine Enthemmung, nicht aber an einen Filmriss.

"Nicht das Ende aller Dinge"

In dieser enthemmten, durch gegenseitiges Anbrüllen aufgeheizten Situation war es Torben P. egal, was seinem Opfer geschah. Trotz seiner Alkoholisierung wusste der Gymnasiast, dass wuchtige Fußtritte gegen den Kopf zum Tode führen können. Nach allem Für, zu dem auch die erkennbare Reue des Täters gehört, und Wider habe sich die Jugendstrafkammer jedoch nicht entschließen können, diese Strafe noch zur Bewährung auszusetzen: "Dafür war diese Tat hier deutlich zu heftig", meint der Vorsitzende.

In einer eigens an Torben P. gerichteten Nachbemerkung erklärt er ihm, dass die Haft "nicht das Ende aller Dinge ist. Ein weiterer Schulbesuch und eine Jugendstrafe können sich vereinbaren lassen". Der Richter spricht damit die Möglichkeit eines offenen Strafvollzuges an. Wenn Torben P. mindestens ein Drittel seiner Strafe verbüßt hat, kann er einen Antrag auf Haftentlassung stellen. Doch er wird sich gedulden müssen: In Berlin ist es allerdings üblicher, erst nach zwei Dritteln der verhängten Haftzeit auf Bewährung entlassen zu werden.

Der Prozess ist vorbei. Torben P. holt sein Rauchzeug hervor, klemmt sich einen Filter zwischen die Zähne, bröselt den Tabak zurecht. Seine Hände brauchen jetzt ganz viel Beschäftigung.

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