Der Patient und sein Arzt: Eine ganz besondere, eine sehr sensible Beziehung. Nicht umsonst werden Mediziner oft als "Götter in Weiß" bezeichnet. Jeder Kranke vertraut darauf, dass ihn sein Arzt kompetent behandelt. Und jeder Patient erwartet eine hygienisch einwandfreie Praxis mit sterilen Spritzen und sauberen Behandlungstischen. Doch genau diese Erwartungen und dieses Vertrauen hat eine HNO-Ärztin aus dem oberschwäbischen Bad Saulgau offensichtlich grob missachtet und missbraucht. Die 56-jährige Uta S. soll in insgesamt rund 1600 Fällen medizinische Geräte, wie etwa Spritzen oder Inhalator-Mundstücke, nicht ausreichend desinfiziert und zudem mehr als 600 Patienten mit Eigenblut behandelt haben, obwohl ihr dafür die Zulassung fehlte. Wegen des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und gefährlicher Körperverletzung muss sich die Ärztin nun vor dem Landgericht Ravensburg verantworten. Wegen einer möglichen Infizierung sind 1800 Patienten von Uta S. aufgerufen worden, sich auf HIV und Hepatitis untersuchen zu lassen.
Patienten werden auf Infektionen untersucht
Die Kameras in den weitverzweigten Gängen des Landgerichtsgebäudes in Ravensburg warten schon auf Uta S. Plötzlich, eine halbe Stunde vor Prozessbeginn, huscht eine gedrungene Gestalt mit goldenem Kopftuch an den wartenden Journalisten vorbei in den Gerichtssaal. Uta S. verbirgt ihr Gesicht vor dem Blitzlichtgewitter. Breitbeinig stellt sich Anwalt Alexander Ebert vor seine Mandantin. "Keine Fotos. Wir erlauben keine Fotos im Gerichtssaal." Mit lauter Stimme warnt der kräftige Bartträger die Fotografen: "Wir haben schon bei Filmschauspielerinnen Strafen von mehreren hunderttausend Euro durchgedrückt." Die Ärztin ist also offensichtlich mit einem "Staranwalt" aus München zum Provinzgericht angereist. Während Verteidiger Eberth sichtlich stolz in die Kameras blickt, hat sich seine Mandantin hinter einem beigen Vorhang an der Anklagebank verkrochen.
Als dann schließlich die Kameramänner den Saal verlassen haben, setzt sich eine zierliche Dame mit halblangen silbernen Haaren und feinen Gesichtszügen neben ihren Anwalt. In quälend langen 45 Minuten liest Staatsanwalt Mathias Inselsberger Uta S. die Anklage vor und erwähnt dabei die Namen aller 600 Patienten, die die Eigenblutbehandlung erhalten haben sollen. "Sie wussten, dass sie dafür keine Zulassung hatten", wirft der Staatsanwalt Uta S. vor. Trotzdem habe die Ärztin für einen Preis von 50 bis zu 300 Euro diese Behandlung angeboten und damit rund 91.000 Euro illegal erwirtschaftet. Ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz, meint Inselsberger. Uta S., die ihr goldenes Tuch mittlerweile um den Hals gewickelt hat, hört sich die Vorwürfe regungslos an.
Anklage fordert Berufsverbot
Doch nun verliest Inselsberger ihr die weitaus gravierenden Anklagepunkte: Während eines Zeitraumes von rund zwei Jahren habe Uta S. Einmalspritzen wiederverwendet, ohne sie ausreichend sterilisiert zu haben. Lediglich mit Wasser oder Geschirrspülmittel seien diese gesäubert worden. Ähnlich sorglos ist die Ärztin laut Anklage mit Mundstücken von Inhalatoren oder mit Infusionsbesteck umgegangen. Ein Patient sei deshalb erkrankt. "Sie haben billigend in Kauf genommen, dass die Patienten infiziert werden", sagt Staatsanwalt Inselsberger. "Sie haben ihre ärztlichen Pflichten in grober Weise verletzt." Neben strafrechtlichen Konsequenzen - Uta S. drohen bis zu zehn Jahre Haft - fordert die Staatsanwaltschaft auch ein Berufsverbot für Uta S. Als mögliche Motive für die Schlampereien kommen für den Staatsanwalt finanzielle Gründe oder die "besondere Einstellung" der Medizinerin in Betracht. Uta S. bezeichnet sich als Ärztin für Naturheilverfahren und Sozialmedizin.
Die Vorwürfe gegen die 56-Jährige waren durch zwei frühere Arzthelferinnen erhoben worden, die sich 2007 und 2008 an die Gesundheitsbehörden gewandt hatten. Nachdem die Ermittlungen gegen die Ärztin bereits liefen, wandte sich das Landratsamt dann im Oktober schriftlich an die Patienten von Uta S. mit der Bitte, sich untersuchen zu lassen. Bislang sind allerdings noch keine Infektionen gemeldet worden. Die Kassenärztliche Vereinigung hat Uta S. mittlerweile die Zulassung entzogen, eine Schließung der Praxis hänge vom Ausgang des Verfahrens ab.
Jetzt bleiben Patienten aus
Doch möglicherweise bedarf es dieser Maßnahme nicht mehr. Denn die schweren Vorwürfe gegen Uta S. haben die Praxis offenbar schon ruiniert. Seitdem sie als "Vogelfreie" gelte, seien die Patienten ausgeblieben, sie werde ihre Praxis schließen, kündigt die durch unglückliche Immobilienanlagen hochverschuldete Uta S. bei ihrer Aussage an. Mit präzisen und ruhigen Worten schildert die Frau, die aus den neuen Bundesländern 1997 nach Oberschwaben kam, ihre Sicht der Dinge. Sie stellt sich als engagierte und gründliche Ärztin mit einem Ohr für die Sorgen ihrer Patienten dar. Immer wieder betont Uta S., dass sie auf anthroposophische und homöopathische Methoden schwört und dabei auf eine ganzheitliche Behandlung wert lege. Viele Patienten, bei denen Antibiotika nicht gewirkt hätten, hätten die Eigenbluttherapie verlangt. Das Gemisch von Blut, Urin und homöopathischen Substanzen hat Uta S. in ihrer Praxis gefertigt und ihren Patienten zum Trinken mitgegeben. Rechtswidrig, meint die Staatsanwaltschaft. Uta S. gibt sich unschuldig: "Ich habe nicht gewusst, dass ich es den Patienten nicht hätte mitgeben dürfen. Das hat mir von der Herstellerfirma auch niemand gesagt."
Richter Franz Strasser und Staatsanwalt Inselsberger halten Uta S. im Verlauf der Verhandlung immer neue Vorwürfe ihrer Arzthelferinnen vor, die ein zweifelhaftes Licht auf die hygienischen Zustände in der Praxis werfen. Handtücher auf den Praxisbetten seien nicht gewaschen worden, rostige Einwegspritzen oder nicht-desinfiziertes Infusionsbesteck bei mehreren Patienten hintereinander verwendet worden. Uta S. weist die meisten Vorwürfe in oft dozierendem Stil zurück. Ja, zweimal habe sie Teile von Infusionsbesteck wieder verwendet, aber diese seien nicht mit Blut verunreinigt gewesen. Und ja, sie habe zwar Einwegspritzen beim selben Patienten mehrmals gebraucht, aber nur wenn die Kanüle nicht mit Blut in Kontakt gekommen sei. Doch auch Uta S. muss nach mehrfachen Nachfragen des Staatsanwalts zugeben, dass man Einwegspritzen "nicht ewig verwenden kann". Drei Monate, so wie in ihrer Praxis geschehen, sei das aber durchaus möglich, meint die selbstbewusst auftretende Frau.
Angeklagte sieht sich als "Opfer einer Kampagne"
Bei der Aussage von Uta S. hören auch einige ehemalige Patienten zu. Die Ansichten über die umstrittene, aber wohl im Ort sehr beliebte Ärztin sind geteilt. Eine ältere Dame sagt, ihr sei in der Praxis nie etwas Negatives aufgefallen. "Die Praxishelferinnen führen einen Rachefeldzug gegen die Ärztin." Ein anderer ehemaliger Patient bestätigt jedoch den mehrfachen Gebrauch von Spritzen und meint: "Die Frau darf man nicht mehr auf die Patienten loslassen."
Uta S. selbst stellt sich als unschuldiges Opfer einer Kampagne dar. Sie habe den Patienten immer nur helfen wollen. "Ich lebe nicht von dem Geld, sondern mein Motor ist es, dass ich Menschen helfen kann", sagt sie während ihrer Vernehmung. Staatsanwalt Inselsberger sagt mit gerunzelter Stirn: "Das ist ja schon gut. Aber es muss im rechtlichen Rahmen stattfinden."