Prozess um Brustimplantate 5250 Klägerinnen gegen einen Mann

Weltweit bangen Frauen mit Billig-Brustimplantaten aus Industriesilikon um ihre Gesundheit. Drei Jahre nach Auffliegen des Skandals startet der Prozess. Ein normaler Gerichtssaal reichte nicht.

Schon früh am Morgen kommen die ersten Klägerinnen am Mittwoch in den Gerichtssaal. Um 10 Uhr haben in den orangefarbenen Sitzen schon fast 200 Menschen Platz genommen, ganz vorn in der ersten Reihe sitzen die Opfer.

Dann kommt kurz vor 10.30 Uhr der Mann in den Saal, den mehr als 5000 Frauen im südfranzösischen Marseille verurteilt sehen wollen: Jean-Claude Mas, der heute 73-jährige Gründer der Firma PIP, der seine Brustimplantate mit einem hausgemachten Billig-Industriesilikon füllte und davon Hunderttausende weltweit verkaufte. Erstmals steht er den geschädigten Frauen direkt gegenüber.

Außen an der Fassade des Gebäudes auf dem Messegelände steht auf einem riesigen Schild "Justizpalast". Das Gericht von Marseille musste an diesen Ort ausweichen, denn die Zahl der Prozessteilnehmer sucht ihresgleichen: 5250 Klägerinnen sind bisher in dem Verfahren registriert, 300 Anwälte und 200 Journalisten aus aller Welt. Hunderte Frauen wollten selbst an dem Prozess gegen PIP-Gründer Jean-Claude Mas teilnehmen. Drei Lieferwagen schafften am Dienstagnachmittag die 110.000 Schrift- und Beweisstücke für den Prozess zu der Messehalle. Neben dem Gerichtssaal, in dem 700 Menschen Platz finden, sind auf den 4800 Quadratmetern der Halle auch andere Einrichtungen wie etwa Ruheräume für die Opfer, Besprechungszimmer für die Anwälte und ein Pressesaal untergebracht. In drei Räumen wird der Prozess zudem auf einem Bildschirm live übertragen. Dort ist noch einmal Platz für 800 Menschen. Der Umzug in die Messehalle kostete rund 800.000 Euro.

1000 Euro Entschädigung pro Fall

Zu dem Mammutprozess ist auch die 47-jährige Angela Mauro aus dem ostfranzösischen Metz angereist. "Ich erwarte, dass wir als Opfer angesehen werden und nicht nur als Frauen, die sich Prothesen einsetzen lassen wollten." Viele Frauen kämpfen gegen das Vorurteil an, dass sie selbst an ihrer Lage schuld seien, weil sie sich nur ihren Busen hätten vergrößern lassen wollen.

Mauro hatte sich die PIP-Einlagen aber 2003 nach einem Gewichtsverlust infolge eines Magenproblems einsetzen lassen. Die Einlagen rissen zweimal, sie hatte Gesundheitsproblemen, fehlte im Job und musste am Ende die Arbeit wechseln.

Zahllose Frauen warten bereits seit Jahren auf einen Strafprozess wegen der Billig-Implantate. Es gebe bisher weder einen Entschädigungsfonds noch veränderte Sicherheitsregeln, beklagte Anwalt Philippe Courtois, der 2800 Frauen in Marseille vertritt. 1000 Euro Entschädigung reichten noch nicht einmal für eine Operation: "Wir haben erst letzte Woche noch eine Mandantin empfangen, die sich seit sechs Monaten nicht operieren lassen kann, weil sie das Geld dafür nicht hat. Sie hat am vergangenen Donnerstag erfahren, dass ihr Implantat gerissen ist."

In Marseille klagen Frauen aus verschiedenen Ländern, vor allem Französinnen, aber auch Betroffene aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Argentinien, Spanien oder Großbritannien. In Frankreich zahlt die Krankenkasse zwar das Herausoperieren der PIP-Prothesen, aber nicht das Einsetzen neuer Einlagen.

Oft zahlen die Kassen gar nicht

In Deutschland, wo etwa 5000 Frauen betroffen sind, wird nicht einmal in allen Fällen das Entfernen voll übernommen. In vielen Ländern zahlen die Kassen gar nichts.

PIP-Firmengründer Mas hat schon vor dem Prozess wegen Betruges und schwerer Täuschung fast alles zugegeben, was ihm vorgeworfen wird. Seine Brust-Einlagen füllte er mit einem hausgemachten Billig-Silikon. "Ich habe das absichtlich getan, weil das PIP-Gel billiger war", sagte er im Polizeiverhör. Seine Firma sparte so laut Staatsanwaltschaft jährlich mehr als eine Million Euro. Mas gestand auch, dass er die Kontrolleure vom TÜV systematisch austrickste.

Den betroffenen Frauen hielt Mas indes vor, sie würden nur "wegen der Kohle" gegen ihn klagen. Dabei ist völlig unklar, wer die Opfer entschädigen soll, denn PIP ist seit 2010 pleite.

Umstritten ist zudem, wie gesundheitsschädlich die PIP-Einlagen sind. Seit Ende 2011 riefen zwar die Gesundheitsbehörden mehrerer Länder die betroffenen Frauen auf, sich die Einlagen vorsichtshalber herausoperieren zu lassen. Klar ist auch, dass die Billig-Einlagen von PIP deutlich häufiger rissen als andere Implantate. Sie werden von Opfern und Staatsanwaltschaft auch für Entzündungen verantwortlich gemacht. Ob sie aber womöglich sogar Krebsfälle auslösten, ist nicht bewiesen. Mas bestreitet, dass seine Produkte gesundheitsschädlich sind.

Im bisher einzigen Urteil in Deutschland zum PIP-Skandal war eine Frau im März mit der Forderung nach einem Schmerzensgeld von 100.000 Euro gescheitert. Das Landgericht Frankenthal in Rheinland-Pfalz befand in einem Zivilprozess, nötig sei der Nachweis gesundheitlicher Schädigungen. Die Klägerin hatte sich die Polster nach einer Operation wegen Krebsverdachts einsetzen lassen.

AFP
anb/AFP

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