Prozessauftakt zu Jobcenter-Mord Das Fleischmesser hatte er noch in der Hand

Ein Mann stürmt ins Neusser Jobcenter und ersticht brutal und wahllos eine junge Frau. In Düsseldorf hat der Prozess um den Fall begonnen. Schemenhaft zeichnet sich ein mögliches Motiv ab.

Es war angeblich ein Fernsehbeitrag über möglichen Datenmissbrauch durch Meldebehörden, der Ahmed S. zu der Bluttat im Jobcenter von Neuss trieb. Kurz vor Ausstrahlung des TV-Berichts hatte der arbeitssuchende 52-Jährige eine Datenschutzerklärung unterschrieben, mit der er in die Weitergabe seiner Daten an andere Behörden einwilligte. Offenbar sei er nach dem Fernsehbeitrag so wütend auf seinen Berater im den Neusser Bürogebäude gewesen, dass er sich bei dem Mann beschweren wollte, sagt der Verteidiger von S., Horst Ruthmann, am Rande des ersten Prozesstags am Mittwoch in Düsseldorf.

Die Datenschutzerklärung habe ihr marokkanischer Mandant schlicht nicht verstanden, er spreche kaum Deutsch, sagt Ruthmann. Die Erklärung regelt auch die Weitergabe von Daten an potenzielle Arbeitgeber. Sein Bruder habe in die Arbeitsagentur noch mitkommen wollen. Der sehr gut Deutsch sprechende Mann hätte das Missverständnis wohl schnell aufgeklärt. Doch Ahmed S. geht, ohne auf ihn zu warten.

Mit zwei Messern bewaffnet macht sich S. am 26. September vergangenen Jahres auf den Weg zum Neusser Jobcenter - um den Berater "zur Rede zu stellen", wie Staatsanwalt Martin Stücker zum Verhandlungsbeginn vor dem Düsseldorfer Landgericht sagt. Doch der Berater ist nicht in seinem Büro. S. geht daraufhin weiter zum Dienstzimmer der 32-jährigen Jobcenter-Mitarbeiterin Irene N. - obwohl er keinen Termin bei ihr hat.

Heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen

Kurz darauf hört ein Zeuge Schreie aus dem Büro der verheirateten Mutter eines Sohnes. Der marokkanische Staatsbürger S., der im Jahr 2000 in die Bundesrepublik kam, sticht laut Anklage mit einem 30 Zentimeter langen Fleischermesser viermal auf sein wehrloses Opfer ein - "heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen", wie der Staatsanwalt betont. Das Fleischermesser trifft die junge Mutter mit voller Wucht, die Klinge durchbohrt ihren Körper vollständig und tritt im Rücken wieder aus.

Ohrenzeuge der Tat wird nach eigenen Angaben ein Arbeitssuchender, der auf dem Flur vor dem Büro des Opfers wartet und am Mittwoch vor Gericht als Zeuge aussagt. Ob der mutmaßliche Mörder beim Betreten des Büros etwas gesagt hat, will das Gericht wissen. "Nein, keinen Ton", gibt der 60-Jährige an. Als S. in das Dienstzimmer hineingegangen sei, habe er ganz normal gewirkt. Doch als er wenig später den Tatort verließ, sei der Angeklagte "ganz weiß im Gesicht" gewesen.

Am ersten Verhandlungstag vernimmt das Gericht unter anderem den Arzt, der die Leiche der 32-jährigen Sachbearbeiterin obduziert hatte, sowie zwei Polizisten und eine Kollegin des Opfers. Dem Arzt zufolge starb das Opfer an massiven Blutverlusten. Der Angeklagte traf demnach mit einem von vier "tiefen Stichen" die Hauptschlagader in der Brust der Frau.

"Es gibt keinen Grund für diese Tat"

So brutal und zielgerichtet S. die Bluttat im Neusser Jobcenter offenbar ausführte, so rätselhaft erscheint sein Motiv. Zwei vorläufige Gutachten hätten keine Hinweise auf eine verminderte Schuldfähgkeit des Angeklagten ergeben, unterstreicht Staatsanwalt Stücker am Rande des Verfahrens. Ob diese Gutachten auch nach der Beweisaufnahme Bestand haben werden, wird nun der weitere Verlauf des Düsseldorfer Verfahrens zeigen. Der Angeklagte schwiegt am ersten Prozesstag zu den Vorwürfen.

Verteidiger Ruthmann will nicht ausschließen, dass sein Mandant die Datenschutzerklärung wegen Problemen mit der deutschen Sprache womöglich "missverstanden" hat. Co-Verteidiger Gerd Meister fügt hinzu, S. zeige Reue über die Folgen seiner Tat. Erklären kann sich aber auch der Rechtsanwalt das brutale Verbrechen an der Arbeitsvermittlerin nicht. "Es gibt keinen Grund für diese Tat, jedenfalls normalpsychologisch betrachtet."

Auf immer eine Familie zerstört

Zumindest ein wenig Licht ins Dunkel um das Gewaltverbrechen an Irene N. könnte eine Erklärung des Angeklagten bringen, die zu Prozessbeginn von den Verteidigern in Aussicht gestellt wurde. Denn an der Täterschaft des 52-Jährigen, der kurz nach der Bluttat rund hundert Meter vom Jobcenter entfernt von Polizisten festgenommen wurde, gibt es keine ernsthaften Zweifel.

Der Mann habe beim Zugriff der mit Blaulicht angerückten Beamten "das Messer noch in der Hand" gehabt, sagt ein Polizeibeamter am Mittwoch im Zeugenstand aus. Nach mehrfacher Aufforderung habe er das Fleischermesser dann fallen lassen. Polizisten brachten den Mann schließlich zu Boden, weiteren Widerstand gegen seine Festnahme leistete er nicht.

Ob die Düsseldorfer Strafkammer die Motive des Täters letztlich entschlüsseln kann, blieb am ersten Verhandlungstag offen. Sicher ist hingegen, dass S. eine Familie auf immer zerstört hat. Die getötete junge Frau hinterlässt einen Sohn und ihren Ehemann. Dem Witwer gehe es sehr schlecht, sagt die Nebenklage-Vertreterin Esther Boos kurz vor Prozessbeginn. "Es geht ihm so schlecht, dass er heute nicht kommen wird." Die Konfrontation mit dem Täter und dem furchtbaren Geschehen vor gut fünf Monaten könne sich ihr Mandant nicht zumuten.

"Seine Ehefrau ist aus dem Leben herausgerissen worden", unterstreicht die Nebenklage-Anwältin. Mit Worten seien die Folgen eines solche Verbrechens nicht zu beschreiben: "Das ist unfassbar."

Urteil fällt voraussichtlich am 4. April

Ahmed S. ist Vater von fünf Kindern. Bei einer Verurteilung muss er mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen. Im Vorfeld der Hauptverhandlung hatte das Gericht zudem darauf hingewiesen, dass es womöglich die besondere Schwere der Schuld von S. feststellen werde. Damit wäre eine vorzeitige Haftentlassung des Mannes nach 15 Jahren ausgeschlossen.

Das Urteil in dem Düsseldorfer Mordprozess soll nach derzeitiger Planung am 4. April fallen. Bis dahin haben die Richter weiter sechs Verhandlungstage anberaumt.

Der Mord im Neusser Jobcenter hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst und eine Debatte über die Sicherheitsvorkehrungen in Arbeitsvermittlungen und Behörden in Gang gesetzt. Die Sicherheitskonzepte in Arbeitsagenturen wurden überprüft mit dem Ziel, Gefahren für die Beschäftigten soweit wie möglich einzudämmen.

DPA
ins/anb/AFP/DPA

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