Rüsselsheimer Bluttat Wie Anna K. zu einem Opfer wurde

  • von Malte Arnsperger
Der Hintergrund des Dreifachmordes von Rüsselsheim ist nach wie vor undurchsichtig. Angeblich geht es um Wettschulden. Klar ist jedoch, dass die Griechin Anna K. zufällig in dem Kugelhagel der Mörder starb. stern.de hat die Bluttat nachgezeichnet - und vor Ort Erklärungen gesucht.

"Hilf mir, hilf mir", fleht Anna K. ihren Ehemann an. Schwer verletzt liegt sie in seinen Armen, doch Costas K. kann nichts mehr für seine 55-jährige Frau tun. Sie verblutet wenige Minuten später. Die Griechin Anna K. ist eines der drei Todesopfer der Schießerei vom Dienstagabend in Rüsselsheim. Unbekannte Täter hatten gegen 20 Uhr in einer Eisdiele mitten in der Innenstadt das Feuer eröffnet, zwei Männer und Anna K. starben im Kugelhagel, ein Mann schwebt immer noch in Lebensgefahr.

Anna K. hatte mit ihrer Schwägerin, ihrer Schwiegertochter und deren Mutter in dem Eiscafé gesessen. Nebenan betreibt der Bruder ihres Mannes eine bei Griechen der Stadt sehr beliebte Taverne. Die Frauen hatten sich zum Kaffetrinken verabredet. "Dann gab es in der Eisdiele einen lauten Streit zwischen einigen Männern", berichtet eine der Frauen stern.de. "Wir sind aufgestanden und wollten in die Taverne fliehen, weil sofort Schüsse gefallen sind. Wir drei haben es geschafft. Doch einer der flüchtenden Männer hat Anna zu Boden gerissen, dann wurde sie im Bauch getroffen. Diese Frau ist umsonst gestorben."

Mit den Hintergründen der Tat hatte Anna K. offenbar nichts zu tun. Die Polizei hatte noch in der Nacht bestritten, dass es sich um einen Mafia-Mord handele. Offenbar, so wird zumindest vor Ort gemutmaßt, ging es um Wettschulden. Bei den zwei getöteten Männern handelt es sich um Türken, ein dritter Türke liegt schwer verletzt in einem Krankenhaus. Er wird von der Polizei bewacht. Zu den nach Zeugenangaben vier Tätern gibt es keine Angaben, sie sind flüchtig. Die Polizei fahndet nach eigenen Angaben im gesamten Rhein-Main-Gebiet, auch mit einem Hubschrauber. Zeugen zufolge soll es sich bei den Verdächtigen um Ausländer handeln. Am Morgen wurden zwei Personen vorläufig festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt machte jedoch zunächst keine Angaben zur Identität der Festgenommenen und zu der Frage, ob diese unmittelbar an der Tat beteiligt waren. Für den Nachmittag ist eine Pressekonferenz zu der Bluttat angesetzt. Vor knapp vier Jahren war in Rüsselsheim ein 38-jähriger Türke erschossen worden, nachdem er mit dem Inhaber eines Wettbüros in Streit geraten war. Das Opfer hatte einen Landsmann begleitet, der in dem Wettbüro einen größeren Gewinn abholen wollte. Als der Inhaber erklärte, er habe nicht genug Geld, kam es zunächst zu Handgreiflichkeiten. Schließlich fielen Schüsse.

"Ich bin vor die Tür gelaufen, und da lag meine Frau"

Zwölf Stunden nach tragischen Tod seiner Ehefrau steht Costas K. wieder vor der Eisdiele. Alles sieht noch so aus wie wenige Stunden zuvor. Überall liegen Glasscherben und umgestoßene Stühle, das Radio läuft immer noch. Wenige Meter entfernt, vor dem Eingang der Taverne, zeugt eine große Blutlache von den Geschehnissen der Nacht. Costas K. klettert über die Absperrung der Polizei. Der kräftige Mann mit den grauen, lockigen Haaren weint bitterlich, als er einen Blumenstrauß und ein Foto am Tatort ablegt. Sein Bruder Stavros, seit 15 Jahren Besitzer der Taverne, will ebenfalls über den Zaun klettern, die Polizei hält ihn ab. Dann fallen sich die Brüder weinend in die Arme, beobachtet von dutzenden Schaulustigen und vielen Fernsehkameras. Gemeinsam berichten sie über die vergangenen zwölf Stunden. "Ich war gestern Abend in der Taverne", sagt Costas K. "Ich habe nicht mitbekommen, was passiert ist. Auf einmal höre ich vier bis fünf Schüsse. Ich bin vor die Tür gelaufen und da lag meine Frau." Immer wieder blickt der 54-Jährige zum Tatort. Zusammen mit Freunden habe er seine schwer verletzte Frau in die Taverne, gezogen, dann verzweifelt auf einen Notarzt gewartet. "Doch der kann erst nach 20 Minuten", sagt Costas K. "20 Minuten." Er schüttelt den Kopf. "Zwei, drei Minuten später war sie tot."

Zwei mutmaßliche Täter gefasst

Über die Hintergründe der Bluttat ist noch wenig bekannt. Allerdings sagten mehrere Anwohner und Passanten, es sei bei dem Streit um Wettschulden gegangen. Einer der Getöteten, der Türke Erkan K., ist angeblich Inhaber eines Wettbüros, das nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt liegt. An der Hintertür des Büros befindet sich ein Schild mit dem Namenszug Erkan K. Angeblich soll der 28-Jährige einem der Täter einige tausend Euro geschuldet haben, sich aber geweigert haben, die Summe auszuzahlen. Das ist allerdings noch nicht offiziell bestätigt. Die Staatsanwaltschaft wollte sich dazu nicht äußern.

Ein entfernter Verwandter der getöteten Griechin Anna K. sagte stern.de, es sei stadtbekannt, dass Erkan K. im Wettgeschäft tätig gewesen sei. Als Indiz dafür wird angeführt, dass K. angeblich stets mit verschiedenen teuren Autos in der Stadt umhergefahren sei. "Dass Erkan erschossen wurde, wundert mich nicht", sagte der Mann. Der Onkel des getöteten Erkan K., Cengiz K., bestritt jedoch auf Anfrage von stern.de, dass sein verheirateter Neffe mit Wetten Geschäfte mache. Der Streit habe nichts mit Wettschulden zu tun gehabt. "Das ist absoluter Quatsch", sagte Cengiz K. Die Familie trauere und sei fassungslos.

"Wir werden Anna in Griechenland beerdigen"

Vor dem Eiscafe versammeln sich am Vormittag immer mehr Menschen. Eine Gruppe Jugendlicher tritt an die Absperrungen heran. Sie sehen die Blutlache. "Lass uns lieber gehen", sagt ein Mädchen, während ein Junge mit dem Handy Fotos vom Tatort macht. Ein älterer Herr sagt entsetzt: "Furchtbar, dass so etwas in Rüsselsheim passiert, wo die unterschiedlichen Nationen eigentlich ganz gut zusammenhalten." Wenige Meter daneben stehen die Angehörigen der toten Griechin. "Sie war eine so ruhige Frau", sagt die Schwägerin von Anna K. "Sie hatte mit dem Streit nichts zu tun. Ich bin fix und fertig." Ihr Bruder Costas hat noch in der Nacht mit seinen zwei Söhnen telefoniert, die gerade Urlaub in der Heimat machen. "Sie weinen die ganze Zeit", sagt Costas K. "Sie wollen unbedingt herkommen. Aber das ist nicht nötig, wir werden Anna in Griechenland beerdigen."

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