Dürfen Rassisten jetzt entscheiden, wozu wir tanzen, was wir hören und welche Songs auf Partys gespielt werden? Es scheint so.
Am Pfingstwochenende glaubte eine Gruppe junger Menschen auf Sylt, es sei eine gute Idee, rassistische Parolen zu dem Lied "L’Amour toujours" zu grölen. Nun ist es nicht das erste Mal, dass dieser Song, in dem es eigentlich um die Liebe geht, für derartige Geschmacklosigkeiten missbraucht wird. In der Szene der Neurechten geht die Songvorlage seit Monaten viral. Auch deshalb haben erste Veranstalter, darunter der Ausrichter des Oktoberfests, angekündigt, das Lied nicht mehr spielen zu wollen. "Auf der Wiesn ist für den ganzen rechten Scheißdreck kein Platz", wird Organisator Clemens Baumgärtner zitiert.
Klar, das ist die einfache Lösung. Das Lied von den Playlisten aller DJs löschen. Und nebenbei das Werk eines Künstlers verbannen, der nichts mit Rassismus am Hut hat. Bekämpft das wirklich das Problem? Leider gar nicht. Es zeigt viel eher den Versuch, mit möglichst wenig Aufwand in einem möglichst guten Licht dazustehen. Und, noch schlimmer: Mit dem Verbot wird das Lied auch ganz offiziell als Nazi-Hymne geadelt, man kapituliert vor der Codierung, auch aus Ratlosigkeit.
Ein ganzes Bierzelt unter Nazi-Verdacht
Dabei darf angenommen werden, dass die Allerwenigsten, die bisher zu diesem Song getanzt haben, rechtsextremes Gedankengut haben. Sie tanzen dazu, weil der Beat einprägsam ist. Weil man darauf ganz einfach gut feiern kann. Mit dem Verbot stellen Veranstalter aber ein ganzes Bierzelt unter Nazi-Verdacht und sprechen Tausenden Leuten ab, dass sie sich anständig benehmen können. Da findet eine Schuldumkehr statt, und das, obwohl doch Rassisten die Konsequenzen für ihr Handeln tragen sollten. Nicht der Künstler, auch nicht Ottonormalbürger. Was, wenn als nächstes ein Video auftaucht, in dem "O Tannenbaum" verunstaltet wird? Verbieten wir das dann auch?
Ein Verbot ist Diskursverweigerung, und noch dazu wird es Anreiz sein für einige Unverbesserliche, die sich aus Prinzip nichts verbieten lassen wollen, den uminterpretierten Text zu grölen, jetzt erst recht. Die Möglichkeit zur Provokation, serviert auf dem Silbertablett. Die Dynamik der Debatte sollte allen eigentlich noch bekannt vorkommen. Niemals hätten so viele Leute "Layla" gespielt, wäre der Aufschrei, es zu verbieten, nicht so laut gewesen. Und bei "Layla" war das Lied vom Künstler immerhin exakt so gemeint, wie es allseits gehört wurde.
Es gäbe andere Möglichkeiten, und alle sind sie besser
Wir sollten jetzt keine Symbolpolitik betreiben. Das Problem ist nicht das Lied selbst, das Problem sind die Leute, die "Ausländer raus" grölen, das auch noch lustig finden oder sogar glauben, das könne eine vernünftige Forderung sein. Wir sollten vor solchen Rassisten nicht einknicken, sondern selbstbewusst und resolut gegen ihre Versuche vorgehen, uns ihre verkommenen Parolen unterzujubeln.
Wie wäre es, wenn Veranstalter, statt das Lied zu verbieten, ihre Sicherheitskräfte für das Thema sensibilisieren und dementsprechend schulen? Klar, das ist komplizierter, als ein Lied aus der Playlist zu löschen. Aber wenn es wirklich darum gehen soll, dass man keine Rassisten bewirten möchte, verfehlt ein Songverbot sein Ziel. Keiner dieser Menschen wird das Bierzelt meiden, nur weil "L’Amour toujours" auf dem Index steht.

Vielleicht wäre es sogar effektiver, wenn die Organisatoren solche Vollidioten mit dem Song enttarnen. Wer sich nicht zu benehmen weiß, sich rassistisch oder volksverhetzend verhält, wird dann eben vor aller Augen rausgeworfen, angezeigt und gegebenenfalls von der Polizei verhaftet. Das wäre ein deutliches Signal an Nachahmungstäter. Deutlicher als ein Songverbot.