Crime Story Riddick300

str_crime-white Von Thomas Ammann
Sie kennt ihn nicht, den Mann aus dem Internet. Sie kennt nur das, was er von sich preisgibt. In einer Nacht im Juni zeigt er sein wahres Gesicht
Böses Emoji

Zwei Leben im Schatten, sie sind sich so ähnlich. Das eine: Regina B., 39 Jahre alt, leicht untersetzt, drei Töchter, ihr zweiter Mann starb an Krebs. Die Tage in Marl-Sinsen, Ruhrgebiet, sind so trist wie der Sozialbau, in dem sie aufwuchs. Der Vater, ein Säufer, er schlug sie, beim ersten Mann das Gleiche, mit 18 das erste Mal schwanger, ihr wurde ein gesetzlicher Betreuer zugeteilt. Die Ärzte attestieren eine verminderte Intelligenz, eine „abhängige Persönlichkeitsstörung“: Regina B. tut sich schwer, einen eigenen Willen zu entwickeln, sie braucht andere, die ihr den Weg weisen, meist sind es Männer. Sie hat Affären, mit Nachbarn, Bekannten, mit den Kollegen, die sie von den seltenen Ein-Euro-Jobs kennt, doch ihre Sehnsucht stillen sie nicht.

Foto von Regina B.
Regina B., drei Kinder, kein Mann. Sie hoffte auf die große Liebe
© Volker Hartmann/DDP

Meist sitzt Regina B. allein vor ihrem Computer. Bis zu 35 Stunden in der Woche verbringt sie im Flirtbereich von Knuddels.de. Sonnscheinregi nennt sie sich hier, der Name: eine Hoffnung. Wie „Sunshine Reggae“ klingt er, Sommer 83, der Hit von Laid Back, Karibik, nackte Haut, Freiheit und Liebe. Sonnscheinregi versucht, auf ihrem Profilfoto verführerisch zu blicken.

Das andere Leben: Christian G., 26 Jahre alt, Gelegenheitsarbeiter mit Staplerschein, auch er ist leicht untersetzt, auch er hat drei Kinder, er ist verlobt und doch nicht glücklich. Die bisherigen Frauen, Mütter seiner Kinder, nannten ihn „Schoßhund“ und „Langweiler“, sie wollten bald nichts mehr von ihm wissen. Die Kindheit in Hamburg-Harburg, eine Tristesse. Der Vater trank und prügelte, der Sohn musste zusehen, wie er den Kopf der Mutter in die Toilette drückte, wie er sie vergewaltigte. Zweimal floh die Mutter mit dem Sohn ins Frauenhaus, mit acht kam er ins Heim, es begann ein Hin und Her zwischen der Fürsorge der Mutter und der des Staates. So etwas wie Liebe und Beziehung erlebte Christian G. nur als eine Frage von Macht und Bürokratie.

Erschienen in stern Crime 4/2015