"Wer jemals Gelegenheit hatte, jenes meist von ausgedehnten Wäldern durchzogene Niemandsland zu betreten, das selbst am hellen Tage in einer ungewohnten, unheimlichen Einsamkeit daliegt, wo Auge und Ohr mit geschärfter Aufmerksamkeit bei der Annäherung an die weiß und gelb gefärbten Grenzsteine und -pfähle jede Bewegung eines Busches, jedes Knacken eines Zweiges registrieren, weil überall Gefahr lauern kann, der wird verstehen können, dass sich die Frauen, die dieses Niemandsland betraten, in dem Gefühl des schutzlosen Alleinseins nur zu gern anderen Menschen anvertrauten, auch wenn sie sie nicht kannten …“
Aus dem Plädoyer des Staatsanwalts vom 13. November 1950
Noch herrscht Frost in den Nächten in Blankenburg, einer kleinen Stadt am nördlichen Rand des Harzes. Es ist Mitte März. Auch tagsüber steigt die Temperatur kaum über den Gefrierpunkt. Manchmal schneit es, und dann legt sich das Weiß wie ein großes Tuch über die Spuren des Krieges. Elf Monate zuvor, am 20. April 1945, bombardierten amerikanische Jagdflieger den Ortskern. Häuser gingen in Flammen auf, rund 70 Einwohner starben. Die Stadtverwaltung kapitulierte, ein US-Offizier übernahm das Kommando. Nach einigen Wochen jedoch wurde die Region unter sowjetische Verwaltung gestellt.
Tausende Bewohner sind davon betroffen. Auch Eva Miehe, deren Eltern im westfälischen Herdecke leben. Jetzt ist der Weg zu ihnen abgeschnitten, auf jeden Fall äußerst beschwerlich, denn die Grenzen sind dicht, und zwischen den Besatzungszonen verkehren keine Züge.