Andamanen und Nikobaren Der Gestank des Todes weist den Weg

Auf den Andamanen und Nikobaren könnten die Wellen manchen Stamm und damit Menschheitsgeschichte ausgelöscht haben. Bis zu 10.000 Tote werden auf der zu Indien gehörenden Inselgruppe vermutet. Auch von Krokodilen droht Gefahr.

Unter den britischen Kolonialherren und der indischen Regierung kämpften die Eingeborenenstämme auf den Andamanen und Nikobaren um ihr Überleben - und starben dabei fast aus. Nun scheint es so, als hätten sie den Kampf gegen einen ganz anderen Eindringling verloren. Die verheerenden Flutwellen könnten manchen Stamm vollständig ausgelöscht haben. Ausgelöscht wäre damit auch ein bedeutendes Stück Menschheitsgeschichte.

Die Rettungskräfte brauchen nur ihrer Nase zu folgen: Der Gestank des Todes weist ihnen den Weg zu den verwesenden Leichen, die tief in den Dschungel gespült wurden. Auf der abgelegenen und zu Indien gehörenden Inselgruppe werden noch bis zu 10.000 unentdeckte Todesopfer vermutet, bislang wurden erst 359 Leichen geborgen. Meist seien die aufgeblähten Körper verdeckt von der Vegetation oder unter den Schlammmassen begraben, erklärt Gouverneur Ram Kapse.

Neue Gefahren warten

Die Zeit drängt: Polizei und Armee haben damit begonnen, selbst nicht identifizierte Todesopfer zu bestatten, um den Ausbruch von Seuchen zu verhindern. Und als ob der Verlust von Hab und Gut, Nachbeben, Hunger und Seuchen nicht genug wären für die Menschen, warten neue Gefahren auf die erschöpften Überlebenden: Die Einwohner der Inseln müssen auf der Hut sein vor den Krokodilen, die von der Flut weit ins Landesinnere getragen wurden.

Die Einsatzkräfte kommen nur meterweise voran. Denn viele menschliche Überreste liegen unter umgestürzten Bäumen, wie der Beamte Basudev Rao berichtet. Die Suche konzentriert sich auf die 30 bewohnten der mehr als 500 kleinen Eilande, hier leben etwa 350.000 Menschen. "Wir sind sofort zum Laster gerannt und dann geflohen. Wir haben nur wenige Kleidungsstücke mitgenommen und ansonsten alles, was wir besitzen, zurückgelassen. Niemand weiß, wann wir zurückkommen können", berichtet ein Einwohner namens Gandhimathi.

In den höher gelegenen Gebieten der Inselgruppe harren Menschen aus, die seit Tagen nichts oder allenfalls ein paar Kokosnüsse gegessen haben. "Alles ist weg. Die meisten Leute sind auf die Hügel geflüchtet, sie haben Angst, wieder herunter zu kommen", berichtet der 60-jährige Mohammad Yusef. Sein Heimatdorf gibt es nicht mehr. Zusammen mit rund 800 Überlebenden sitzt er in der katholischen Kirche der Provinzhauptstadt Port Blair. Vor dem verheerenden Sonntag reihte sich sein Dorf zusammen mit mehr als einem Dutzend anderer kleiner Siedlungen entlang der Küste - alle wurden zerstört.

Ohne Kontakt zur Außenwelt

Sechs von einst zehn Stämmen leben auf ihren verschiedenen Inseln im Golf von Bengalen, manche von ihnen haben sich bis heute jedem Versuch, sie zu "zivilisieren", versperrt. Sie sind Jäger und Sammler, von kurzer Statur und mit dunkler Haut, ihre Herkunft ist ein Geheimnis. Ihre Sprachen sind mit keiner anderen auf der Welt verwandt. Der Stamm der Sentinelesen ist vermutlich das einzige steinzeitliche Volk, das bis heute ohne Kontakt zur Außenwelt lebt. Ihre Insel verlassen die rund 250 Stammesangehörigen nie. Sie gelten als feindlich, Eindringlinge werden mit Pfeilen beschossen.

Etliche Forscher und Wissenschaftler haben die Stämme vor Rätsel gestellt - die nun vielleicht nie geklärt werden können. "Dass wir keine Informationen über diese äußerst gefährdeten Stämme bekommen haben, die als fehlendes Verbindungsstück zur frühen Zivilisation gelten, ist Anlass zu ernster Sorge", sagte ein Sprecher der staatlichen Anthropologischen Abteilung der "Economic Times".

Jahrhunderte lang bekämpften die Eingeborenen jeden, der auf ihre Inseln wollte. Im 19. Jahrhundert traten sie mit Pfeil und Bogen gegen britische Kanonen und Geschütze an - erfolglos. Schon unter den Briten nahm ihre Zahl drastisch ab. Der Stamm der Großen Andamanesen etwa zählte vor Ankunft der Kolonialherren schätzungsweise 3000 Angehörige, Anfang des 20. Jahrhunderts waren noch 625 übrig.

Auf Briten folgten Inder

1947 zogen die Briten ab, die Inder übernahmen. "Zurückblickend machte der Wachwechsel wenig Unterschied", meint der indische Journalist Shailesh Shekhar, der sich mit den Stämmen befasst hat und von einem "Massaker an Unschuldigen" spricht. Die Großen Andamanesen schrumpften zeitweise auf 14 Männer und 9 Frauen zusammen, vor der Flutwelle sollen es rund 45 Stammesangehörige gewesen sein.

Noch in den 70er Jahren gab die indische Regierung die Order aus, die Eingeborenen "zu kontrollieren und zu zähmen". Das einzige Ergebnis, so meinen Hilfsorganisationen, sei gewesen, den Stämmen zu schaden. Immer mehr indische Siedler kamen auf die Inseln. Waren es einst nur einige hundert, so sind es inzwischen rund 400 000, die in den Lebensraum der Stämme eingedrungen sind. "Eingeborene sind eine fügsame Gruppe", meinte ausgerechnet der bis dieses Jahr amtierende indische Minister für Stammesangelegenheiten, Jual Oram.

Die Eingeborenen kamen in Kontakt mit der Zivilisation - und mit den damit einhergehenden Krankheiten, auf die ihr Immunsystem nicht eingerichtet war. Von mindestens vier Epidemien wurden alleine der Stamm der Jarawas seit 1999 befallen. Neben den Krankheiten, so meinen Experten, haben von außen importierte kulturelle und soziale Veränderungen die Eingeborenen dahingerafft.

"Marsch auf dem Weg zum Aussterben"

"Sie haben ihren Marsch auf dem Weg zum Aussterben begonnen", warnten Hilfsorganisationen und Anthropologen mit Blick auf die Versuche, die Eingeborenen anzupassen. Möglicherweise ist dieser Marsch nun für manchen Stamm zu Ende. Den derzeitigen Minister für Stammesangelegenheiten, P. R. Kyndhia, scheint das nicht aus der Ruhe zu bringen. Er hält sich nach Angaben der "Economic Times" vom Mittwoch bis nach Neujahr in seiner Heimat in Nordost-Indien auf.

Dusko Vukovic (mit Agenturen)

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