Frau Sobiesiak, wie oft kommen Erdbeben dieser Stärke in Italien vor?
Kleinere Beben gibt es dort sehr oft, aber dieses ist schon außergewöhnlich. 20 Kilometer südlich hat es 1915 eine Katastrophe mit 29.000 Toten geben. 1997 trat dort ein Erdbeben mit der Stärke 6,4 auf, aber das hat nicht so große Schäden angerichtet.
Das jüngste Beben soll eine Stärke von höchstens 6,3 gehabt haben. Warum sind die Folgen diesmal so viel dramatischer als 1997?
Das liegt meistens an der Beschaffenheit des Bodens: An manchen Stellen, zum Beispiel in Flusstälern, ist er besonders instabil. Es kann sogar passieren, dass ein Hochhaus sofort einstürzt, das Gebäude daneben aber fast unversehrt bleibt.
Zur Person
Seismologin Dr. Monika Sobiesiak ist Leiterin der deutschen "Task Force Erdbeben" und arbeitet am Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam.
Gab es vorher Hinweise, dass die Region bald von einem Beben heimgesucht wird?
Ich habe von Gerüchten gehört, dass ein bestimmtes Gas gemessen wurde, das aus der Erde austrat. Aber das wäre ein sehr schwacher Indikator gewesen. Leider gibt es noch keine sichere Erdbebenvorhersage, die sich auf konkrete Regionen und Zeiträume bezieht.
Sind in der Katastrophen-Region schon Nachbeben aufgetreten?
Ja, wir haben bereits die Daten von drei weiteren - mit den Stärken 5,0, 5,6 und 5,2. Auf den großen Knall folgen immer etwas schwächere Beben. Für die Sicherheitskräfte und die Bewohner ist das jetzt eine gefährliche Phase, weil beschädigte Gebäude endgültig einstürzen können.
Wie lange werden noch Nachbeben auftreten?
Auf jeden Fall in den nächsten Wochen und Monaten. Im nächsten halben Jahr wird die Region eine erhöhte Erdbebenrate haben.
Sind solche Katastrophen auch in Deutschland möglich?
Historisch belegt sind bei uns mehrere 5,0-Beben. Gefährdet sind unter anderem der gesamte Rheingraben, die Eifel und die schwäbische Alb. Aber es gibt auch ein Szenario, dass Köln heftig getroffen werden könnte: mit einem Erdbeben der Stärke 6,0.
Mit ähnlichen Folgen wie jetzt in Italien?
Ab 5,0 wird es in Europa überall dort dramatisch, wo viele historische Gebäude stehen.
Interview: Sönke Wiese