stern-Fotografie Die Menschen von Fukushima

Ein verlassener Supermarkt in der Region Fukushima
Ein verlassener Supermarkt in der Region Fukushima, sieben Kilometer vom havarierten Atomkraftwerk entfernt. Die Waren liegen noch an Ort und Stelle, in den Regalen und Tiefkühltruhen. Kunden gibt es seit acht Jahren nicht mehr, die Menschen mussten die Gegend verlassen. Midiro Ito kam zurück und wollte wissen, wie es in ihrer Heimat aussieht
© Carlos Ayesra / Guillaume Bression / weitere


Am 11. März 2011 löst ein Erdbeben an der japanischen Ostküste einen Tsunami aus.


Das Beben und die Flutwelle treffen auch das Atomkraftwerk von Fukushima.


Sie verursachen die größte nukleare Katastrophe der jüngeren Geschichte.


In drei Reaktoren kommt es zur Kernschmelze.


Riesige Mengen an radioaktivem Material werden freigesetzt.


Zwei französische Fotografen reisten seit der Katastrophe mehrfach ins Sperrgebiet.


Sie dokumentieren die Situation rund um den havarierten Reaktor und treffen Menschen, die 2011 alles verloren haben.


80.000 Anwohner mussten binnen weniger Tage ihre Heimat verlassen.


Unter ihnen Naoto Matsumura.


Die Kühe auf seinem Bauernhof blieben zurück und verendeten.


Keiko Morimatsu führte mit ihrem Mann einen belebten Friseursalon.


Nun ist der Laden verwaist.


Töpfer Shinichi Yamada findet sein Haus von Wildschweinen verwüstet vor.  


1300 Quadratkilometer groß ist die Sperrzone.


Hier, wo der Mensch fern bleibt, erobert die Natur ihr Gebiet zurück.


Autos verschwinden im Grün und Häuser werden zu Rankhilfen.


Die Pflanzen hingegen, die Toyotaka Kanakura einst in seinem Floristikgeschäft verkaufte, sind verdorrt.


Das Restaurant, das Hiroyuki Igaris Freund gehörte, ist verlassen.


Allein sitzt er an einem Tisch für 16 Personen.


Und Midori Ito steht fassungslos in einem Supermarkt, der nach der Katastrophe aufgegeben wurde.


Städte und Dörfer sind zu Geistersiedlungen geworden.


Die japanische Regierung versucht die Menschen zur Rückkehr zu bewegen.


Doch nur wenige kommen.


Und wenn, dann sind es Rentner.


Es sind Menschen, die keine Angst vor Radioaktivität und dem Tod haben. 


Und noch etwas dokumentieren die Fotografen Carlos Ayesra und Guillaume Bression: abertausende von Säcken mit verstrahlter Erde.


Zu Deponien aufgetürmt, werden sie unter Planen versteckt.


Trotz der verheerenden Auswirkungen setzt Japan weiter auf Atomenergie.


Zwar verschärfte die Regierung Sicherheitsvorgaben für Atomkraftwerke und investierte in Solar- und Windkraftanlagen.


Eine richtige Energiewende blieb aber aus.
Fukushima ist Sperrgebiet, seit acht Jahren. Die französischen Fotografen Carlos Ayesra und Guillaume Bression wollten herausfinden, wie es in der Zone aussieht und wie die Menschen auf ihr Schicksal zurückblicken. Sie trafen Frauen und Männer, die ihre Heimat verloren. Der stern zeigt exklusive Aufnahmen und lässt Geflüchtete ihre Geschichten erzählen.

Am 12. März 2011 um 12 Uhr 30 Ortszeit, fast 24 Stunden nachdem die ersten Wellen des Tsunamis die Reaktoren trafen, meldet die japanische Nuklearsicherheitsorganisation, im Kraftwerk habe offenbar eine Kernschmelze begonnen. Immer mehr Menschen werden evakuiert. Am Abend des 12. März müssen alle Personen im Umkreis von 20 Kilometern, insgesamt knapp 80.000 Menschen, ihre Heimat verlassen. Viele gehen für immer. Können kaum Gegenstände mitnehmen. Müssen so schnell es geht flüchten. Städte und Dörfer werden zu Geistersiedlungen. 

Die französischen Fotografen Carlos Ayesta und Guillaume Bression reisten seitdem mehrmals in die Gegend, in der die Welt still zu stehen scheint. Sie sahen kaputte Möbel auf den Straßen, Pflanzen, die die Wege überwuchern, verhungerte Pferde. Fukushima gleicht einer Parallelwelt aus Apokalypse-Filmen. Noch heute ist die Sperrzone um das Kraftwerk 1300 Quadratkilometer groß, eine Fläche so groß wie die Faröer Inseln.

Ayesta und Bression trafen bei ihren Reisen Menschen, die sich fotografieren ließen – dort, wo sie die Katastrophe vor acht Jahren überraschte. Die Fotografen brachten Geschichten mit, von dem historischen Unglück, das noch lange nicht vorbei ist, weder im Kraftwerk noch bei den Geflüchteten. Der stern zeigt exklusiv in Deutschland die Aufnahmen.

Menschen von Fukushima und ihre Geschichten

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Die Besitzer haben ihre Tiere in den Ställen zurückgelassen. Am Anfang wagte ich nicht, den Bauernhof zu betreten. Aber drei Wochen später war ich zu besorgt und ich kam erstmals wieder hierher. Fast alle Kühe waren bereits tot."

Naoto Matsumura

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Mein Großvater hat diesen Spielwarenladen vor 70 Jahren eröffnet. Meine Familie ist eine wichtige Familie in der Region. In Namie oder Odaka lebten etwa 50 von uns, und wir sind jetzt alle Flüchtlinge." 

Yuzo Mihara

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Sicher ist, dass die Menschen, die zurückkommen, im Durchschnitt 70 Jahre alt sind. Das bedeutet, dass sie in zehn Jahren 80 oder gar 90 Jahre alt sein werden. Wenn ihre Kinder nicht wiederkommen, können wir wirklich nicht von Revitalisierung sprechen."

Katsumi Sato

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Ich kann die Zukunft nicht vorhersagen, aber ich habe das Gefühl, dass aus Namie eine Geisterstadt wird, in der niemand mehr leben wird. Letztes Jahr wurde eine Umfrage unter den früheren Bewohnern durchgeführt und nur 20 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zurückkommen möchten. Der Wert könnte mit der Zeit noch weiter sinken. So wie ich es sehe, wird Namie auf jeden Fall verschwinden."

Katsuyuki Yashima

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

 "Mein Mann und ich besaßen einen Friseursalon in Tomioka, zehn Kilometer vom Kraftwerk entfernt, bis wir die Gegend verlassen mussten. Jedes Mal, wenn ich hierher zurückkomme, habe ich das seltsame Gefühl, dass jemand hierher gekommen ist und etwas bewegt hat."

Keiko Morimatsu

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Ich komme aus Futuba, nur zwei Kilometer vom Kraftwerk entfernt, ich hatte dort schon immer ein Haus. Aber ich werde nie wieder zum Leben dorthin zurückkehren. Ich bin zwar in der Gegend geblieben, weil ich hier einige Supermärkte führe, aber meine ganze Familie ist in den Norden von Tokio gezogen. Wir teilen das Trennungsschicksal mit vielen anderen Familien aus Fukushima."

Ryoetsu Okumi

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Ich halte es kaum eine Stunde hier in meiner alten Druckerei aus. Alle meine alten Nachbarn haben irgendwo anders neu gebaut, niemand plant seine Rückkehr. Niemand schert sich darum, was aus unserer kleinen Stadt Namie geworden ist."

Shigeko Watanabe

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Ich bin alt. Wenn ich mich dafür entscheiden würde, zurück in die Region zu ziehen, wäre ein Krankenhaus wichtig. Ohne Krankenhaus kommen wir Alten nicht zurück."

Tamotsu Hayakawa

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Ich war auf dem Weg zu einer Fahrstunde, als die Erde bebte. Ich war besonders erschrocken von den Fenstern, die in alle Richtungen wackelten. Ich dachte wirklich, ich müsste sterben."

Honoka Kurabeishi

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Ich bin mit 30 aus Japan nach Brasilien gezogen. Im März 2011, nach der Katastrophe, entschied ich mich, zurückzukommen, um als Tierarzt den Züchtern der Gegend zu helfen. Viele mussten ihre Tiere, also ihre Lebensgrundlage auf Anweisung der Regierung schlachten."

Toshio Saito

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Ich glaube, mein Sohn erinnert sich an dieses Haus, aber meine Tochter war zu jung, um sich erinnern zu können. Meine Frau ist seit dem Atomunfall nur ein- oder zweimal hierhergekommen, weil sie sich zu sehr um die Radioaktivität sorgt. Als wir das erste Mal nach der Evakuierung wieder hier waren, haben wir kein Wort gesprochen. Meine Frau kniete sich hin und sammelte Erinnerungen ein, es brach mir das Herz"

Shinichi Yamada

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

↑ "Mein Vater hat 60 Jahre als Florist gearbeitet. Ich habe sein Geschäft geerbt. Wenn es nur ein Erdbeben gegeben hätte und keinen Atomunfall, hätte ich das Unternehmen weiterführen können, so aber nicht."

Toyataka Kanakura

stern-Fotografie: Die Menschen von Fukushima

"Als ich zum ersten Mal zurückkam, wollte ich viele Dinge mitnehmen, aber wegen der Radioaktivität durften wir nicht viel mitnehmen. Jetzt möchte ich nicht mehr zurückkommen, weil es mich traurig macht zu sehen, was aus meinem Haus geworden ist. Vor der Katastrophe dachte ich, meine Stadt sei der beste Ort zum Leben. Ich hatte alles, was ich brauchte. Heute habe ich meinen Lebenswillen verloren, ich fühle mich so leer."

Ayako Hayakawa

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Fotos: Carlos Ayesra und Guillaume Bression

Bildredaktion: Karen Wiegersen

Video: Martin Thiele, Andrea Sommer

Textredaktion: Felix Haas, Daniel Wüstenberg

Veröffentlichungsdatum: 12. März 2019

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