Subjektives Alter Warum sich das Älterwerden heute viel besser anfühlt als früher

Ein Bericht übers Älterwerden, die neueste Forschung zum inneren Ich und die Macht des Optimismus. Alt sind die anderen – ich bin jung geblieben. Zumindest subjektiv.
Illustration Älterwerden
Älterwerden und zufrieden sein? Nach dem Sport vor dem Spiegel: "Alles prima – wie ein Junger!"
© Tatjana Junker

Meine Mutter war Anfang 80, als sie mir vom Besuch bei einer noch älteren Freundin erzählte. Was ich zu hören bekam, amüsierte mich so sehr, wie es mich erschreckte. Die beiden Frauen hatten erst nach dem Tod ihrer Männer näher zueinandergefunden und nutzten vor allem die Sonntage bei schönem Wetter für einen Plausch bei Kaffee und Kuchen. So hatten sie wieder einmal im Garten gesessen und die Sonne genossen. Und plötzlich sei der Freundin entfahren: "Lange kann das doch nicht mehr dauern."

Meine Mutter lachte zuerst, als sie mir davon erzählte. Ich erinnere mich aber auch noch an ihren gar nicht mehr belustigten Blick wenig später. "Recht hat sie", sagte sie nur. Was sollte ich entgegnen? Ich muss irgendetwas Aufheiterndes gesucht haben und versuchte es mit: "Nun ja, an einer Zahl ist doch noch niemand gestorben." Als würde ihr aber diese Zahl nun erst bewusst, sagte meine Mutter: "Das musst du dir mal vorstellen, ich gehe auf die 90 zu. Dabei fühle ich mich doch überhaupt nicht so."

Die gefühlten Jahre

Zigmal habe ich den Gemeinplatz schon gehört, mindestens bei jedem runden Geburtstag: "Du bist nur so alt, wie du dich fühlst." Oder: "Alter spielt keine Rolle, außer du bist ein Rotwein." Natürlich ist das Unsinn – und doch steckt ein Körnchen Wahrheit in solchen Sprüchen. Im April jährte sich der Tod meiner Mutter zum zehnten Mal. Und ich selbst habe inzwischen die zweite Hälfte der Sechziger erreicht. Wenn ich aber den Blick in einer ruhigen Minute nach innen wende, um mein "gefühltes Alter" zu entdecken, fällt mir das so schwer wie früher meiner Mutter. Da schwebt keine Zahl vor dem inneren Auge, ist kein imaginärer Abreißkalender im Hirn. Was ich vielmehr durch und durch spüre, ist ein Gefühl wie der letzte Satz meines Arztes nach dem Check-up: "Alles prima. Bis zum nächsten Mal!"

Erschienen in stern 19/2023

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