Es ist ein morbider Ort, das historische Haus in River Fall, einer alten Textilfabrikstadt rund 80 Kilometer südlich von Boston. Der Grund dafür: Das Haus ist ausschließlich mit Antiquitäten eingerichtet, die an Lizzie Borden erinnern. Die junge Frau lebte Ende des 19. Jahrhundert dort. Und soll ihren Vater und die Stiefmutter mit einer Axt erschlagen haben.
Der Kriminalfall erschütterte im Jahr 1892 die gesamte Region und zählt bis heute zu den prominenten Fällen in der Geschichte der USA. Die scheinbare Sinnlosigkeit des Verbrechens brachte die Presse zum Rätseln. Die Aufklärung zeigt heute die Gemengelage von religiöser und ethnischer Zugehörigkeit und die Rolle der Frau im 19. Jahrhundert. Für den heutigen Besitzer Grund genug, das Haus mit alten Dingen vollzustopfen. Nun will er in Rente gehen - und sucht einen Nachfolger für das Mörder-Museum. Aktuell fordert er zwei Millionen Dollar für das Haus - ein stolzer Preis für die Stadt. Ein Blick auf die üblichen Preise zeigt, dass hier der Gruselfaktor mitbezahlt werden muss.
Am 4. August 1892 wurden die 64-jährige Abby Borden im Gästezimmer ihres Hauses gefunden. 19 Mal wurde mit einem Beil auf ihren Rücken eingeschlagen. Im Erdgeschoss lag ihr Ehemann, der 69-jährige Andrew Borden. Auch er wurde mit einem Beil oder einer Axt ermordet, 29 Mal hatte der Mörder zugeschlagen.
Der Mordfall entsetzte die Stadt
Der Doppelmord entsetzt die Stadt, denn der Attentäter musste am helllichten Tag zugeschlagen haben. Die Ermittler vermuteten, dass Borden bei seinem Nachmittagsschlaf ermordet wurde. Die Polizei konnte binnen Stunden einen Verdächtigen, einen "Ausländer" festnehmen – doch der portugiesische Einwanderer war unschuldig, schreibt Joseph Conforti im "Smithsonian Magazine". Er selbst stammt aus Fall River und unterrichtet an der University of Southern Maine. Über die Borden-Morde veröffentlichte er ein Buch.

Gefunden wurden die Leichen von einer der zwei erwachsenen Töchter, die mit im Hause lebten: Lizzie Borden. Und die ließ das irische Hausmädchen, die 26-jährige Bridget "Maggie" Sullivan, sofort einen Arzt holen. Natürlich nicht den irischen Arzt von nebenan, sondern einen franko-amerikanischen Mediziner.
Ständedünkel, Unterscheidung durch Herkunft, Alltagsrassismus, Ausgrenzung sozialer Schichten: Im späten 19. Jahrhundert geht es um sozialen Status. Und der drückt sich auch in der Wahl des Wohnortes aus. Die Familie Borden lebte nämlich, ganz zum Ärger von Tochter Lizzie, in einem einfachen Haus inmitten der meist katholischen Einwanderer und nicht auf den Hügeln der besser verdienenden Protestanten am Rande von Fall River. Doch ausgerechnet die bescheidene Wohngegend ließ die Polizei zunächst vermuten, dass es ein Verbrechen aus dem umliegenden Milieu gewesen sein muss. Dass es die Tochter gewesen sein könnte, wird gar nicht in Erwägung gezogen - bis sich Lizzie in Widersprüche verstrickt.
So wollte sie zur Tatzeit in der Scheune gewesen sein. Doch die dicke Staubschicht auf dem Boden der Scheune hätte ihre Fußabdrücke zeigen müssen. Einen Tag vor dem Mord soll Lizzie Borden zudem versucht haben, tödliche Blausäure in einem Geschäft zu kaufen.
Kann diese Frau eine Mörderin sein?
Doch dass diese Frau eine Mörderin sein könnte, wollte lange niemand glauben. Schließlich war sie die Sonntagsschullehrerin in einer wohlhabenden Kirchengemeinde. So eine tugendhafte Frau konnte doch keine Menschen abschlachten - oder?
Der Fall traf ein Brennpunktthema, denn irisch-stämmige Polizisten hatten Lizzie Borden verhört. Das war für sie kaum hinnehmbar, denn diese Einwanderer waren unter ihrer Würde. Und so überrascht es nicht, dass die Zeitung des zweiten Bürgermeisters der Stadt, der ebenfalls irische Wurzeln hatte, die Schuld von Borden auf die Titelblätter hob. Im Gegenzug sorgten die Zeitungen der Besserverdienenden dafür, Lizzie Bordens Unschuld herbeizuschreiben.
Dennoch: Lizzie Borden wurde vor Gericht gestellt. Dort wurde festgehalten, dass der Arzt ihr nach dem Auffinden der Leichen ein Beruhigungsmittel, genauer gesagt: Morphium, verabreicht hatte. Das habe ihre Verwirrung bei ihrer Aussage verursacht. Das Problem der ERmittler: Sowohl das Hasmädchen, als auch Lizzie waren während der Tat im Haus. Doch während genau rekonstruiert werden konnte, wo die Bedienstete gerade das Haus putzte oder sich aufhielt, war das für Lizzie nicht möglich. Am Ende kamen der Richter, der Staatsanwalt und die Polizei zu dem Ergebnis, dass Lizzie "wahrscheinlich schuldig" sei.
Lizzie Borden sorgte für die beste Verteidigung, die sie sich für Geld kaufen konnte. Ein Harvard-Experte sagte aus, dass er vier Äxte und Beile aus dem Hause Borden auf Blut untersucht – und nichts gefunden hätte. Lizzie gab zwei Tage nach den Morden ein Kleid bei der Polizei ab, dass sie am Mordtag getragen haben will. Nur am Saum wurde ein kleiner Blutfleck entdeckt. Lizzies Anwälte zeigten sich entrüstet: Die Staatsanwaltschaft habe keine Mordwaffe und auch keine blutverschmierte Kleidung.

Und die Anhängerinnen von Lizzie Borden verklärten sie weiter zu einer "protestantischen Nonne", eine tugendhafte, viktorianische Frau, die niemals den eigenen Väter hätte ermorden können. Joseph Conforti führt aus, dass gerade das Wort "Nonne" im Zusammenhang mit Lizzie auch eine besondere Rolle in den Mittelpunkt rückt - nämlich den der unverheirateten Frau. Im Osten der USA habe es einige Frauen gegeben, die abseits von Ehe und Kindern eine Unabhängigkeit wählten - auch bedingt durch bessere Bildung. So seien fast alle Seven Sister Colleges in den Jahren 1870 bis 1890 gegründet worden. Diese historischen Frauencolleges ermöglichten Frauen eine höhere Bildung. Und vier der sieben Schulen stehen in Massachusetts. So sei Lizzie auch keine alte Jungfer, argumentiert Conforti.
Die Ermittler und die Staatsanwaltschaft gaben dem Fall inzwischen wenig Hoffnung - bis Alice Russell etwas zu Protokoll gab, was sie bisher der Polizei verschwiegen hatte. Sie hatte gesehen, wie Lizzie kurz nach den Morden ein Kleid aus einer Vorratskammer gezogen und in einem Kohleofen verbrannt habe. Daraufhin klagte die Grand Jury Lizzie Borden an.
Dennoch: Am Ende wurde sie freigesprochen. In der Jury saßen viele Protestanten, einige mit Töchtern in Lizzies Alter. Die Hälfte waren Bauern, einige Handwerker und ein Besitzer einer Metallfabrik. Nur ein einziger Ire hatte das Auswahlverfahren überstanden und einen Sitz in der Jury. Das Urteil war schnell getroffen. Dann soll die Jury eine Stunde gewartet haben, damit es nicht so aussah, als ob sie die Entscheidung leichtfertig getroffen hätte. Bei der Verkündung des Freispruchs wurde im Gerichtssaal gejubelt.