Im Zusammenhang mit den aktuellen Kiewer Operationen werden immer wieder zwei deutsche Offensiven aus dem Zweiten Weltkrieg genannt. Die Schlacht von Kursk aus dem Jahr 1943 – auch unter dem Namen Operation Zitadelle bekannt – und die Ardennen-Offensive 1944. Der amerikanische Name dafür lautet "Battle of the Bulge".
Diese Nennungen im Westen sind irritierend, weil die deutsche Wehrmacht in beiden Schlachten keinen Erfolg erringen konnte und katastrophale Niederlagen erlitt. Etwas, was westliche Experten Kiew eigentlich nicht wünschen. Doch davon abgesehen: Was hat es mit den Schlachten der Vergangenheit auf sich? Und wo gibt es eventuell Parallelen?
Letzte große deutsche Offensive im Osten
Bei der "Operation Zitadelle" lässt sich das schnell beantworten. Bis auf den prägnanten Namen der Stadt "Kursk" gibt es keinerlei Gemeinsamkeiten. Die deutsche Offensive zielte 1943 darauf, mit zwei Angriffsbewegungen von Süden und Norden den sowjetischen Frontvorsprung bei Orel und Kursk "abzukneifen" und die dort eingesetzten Truppen der Roten Armee einzukesseln.
Ein derart anspruchsvolles Ziel ist bei der aktuellen Offensive nicht zu erkennen. Die Ukrainer konnten die Russen überraschen und so in die kaum befestigte Grenzregion eindringen. Ganz anders als "Kursk 1943". Die Sowjets wussten von den deutschen Plänen, erkannten die Truppenkonzentration, und durch den Geheimdienst erhielten sie detaillierte Kenntnisse über die geplanten Angriffsbewegungen. Verzögerungen auf der deutschen Seite führten dazu, dass die Sowjets neuartige, bis dahin nie gesehene tiefgestaffelte Abwehrlinien aufbauen konnte. In dieser Hinsicht ähneln die Befestigungen im Donbass der damaligen Schlacht.
Die Deutschen trafen auf einen gut vorbereiteten Gegner, der ihnen vom ersten Moment an entschlossenen Widerstand entgegensetzte. Ganz anders als die Russen, als die Ukrainer die Grenze überschritten. Der deutsche Vormarsch 1943 verlief zäh und verlustreich. Im Norden konnten die Deutschen die Verteidigungen nicht durchbrechen und mussten den Kampf aufgeben. Im Süden erreichten Panzerverbände der SS die letzte Linie der russischen Verteidigung. Bis sie in der Panzerschlacht von Prokhorovka gestoppt wurden.
Diese Schlacht gilt als größte Panzerschlacht der Geschichte. Ein Kampf der Titanen, als die 5. Garde Panzerarmee auf das I. SS-Panzerkorps traf. Der genaue Verlauf ist umstritten und vermutlich weniger heroisch, als es die UdSSR Geschichtsschreibung vorgibt. Doch nach der Schlacht brach Hitler die Offensive ab. Gemeinsam mit den heutigen Kämpfen ist also nur der Name Kursk.
Offensive sollte das Blatt wenden
Im Falle der Schlacht in den Ardennen (1944) lassen sich eher Ähnlichkeiten finden. Auch hier gilt, dass die Deutschen die Schlacht verloren haben, was eigentlich kein gutes Omen für die Ukraine ist. Aber dennoch: Die Schlacht in den Ardennen war der Versuch Hitlers, den Krieg Ende 1944 noch zu wenden. Der Diktator hatte erkannt, dass die bloße Verteidigung gegen die vordringende Roten Armee im Osten und die Alliierten im Westen die Niederlage nur verzögern würde. Um in eine bessere mögliche Verhandlungsposition zu kommen, musste das Reich die Initiative wiedererlangen und zum Angriff übergehen. Als Schauplatz wurden die undurchdringlichen Ardennen gewählt.
Diese Situation ähnelt tatsächlich dem Kriegsverlauf in der Ukraine. Kiew benötigt dringend Truppen, um die Front im Donbass zu stabilisieren. Doch dort ist kein wirklicher Erfolg möglich. Im besten Falle könnten die Ukrainer den russischen Vormarsch wieder verlangsamen, würden so aber ihre Truppen einer endlosen Abnutzungsschlacht aussetzen, die die kleine Ukraine gegenüber Russland nicht ewig bestehen kann.
Ein raumgreifender operativer Erfolg war nur woanders möglich. Bei Kursk wurden die Russen vollkommen überrascht. So wie die US-Soldaten in den Wäldern der Ardennen. Die GIs dachten damals, dass der Krieg eigentlich zu Ende wäre. Vor dem deutschen Angriff wurden Rekruten an die Front gebracht, damit sie wenigstens einen scharfen Schuss abgehen konnten, bevor die Deutschen kapitulieren würden.
Dass Deutschland mit einem Schlag die Westalliierten besiegen würde, konnte selbst Hitler nicht geglaubt haben. Sein Kalkül war, den wichtigen Kriegshafen Antwerpen zu besetzen, den Verbündeten schwere Verluste zuzufügen, damit die Siegeszuversicht im Westen schwindet und es dann "irgendwie" zu einem Waffenstillstand im Westen kommen könne und die Deutschen so die Sowjets aufhalten könnten.
Bessere Verhandlungsposition
So weit gespannt und illusorisch sind die Kiewer Ambitionen sicher nicht. Ähnlich sind die Ziele aber dennoch. Ganz ausdrücklich sollen die Schrecken des Krieges auch nach Russland getragen werden, um das Vertrauen der Bevölkerung in das Putin-Regime zu erschüttern. Zumindest wird spekuliert, dass die Ukraine als operatives Ziel das Kernkraftwerk Kursk erobern will, um später mit dem eroberten Gebiet und der Nuklearanlage ein Faustpfand für kommende Verhandlungen zu erhalten.
Das war es dann aber auch mit den Parallelen. Das Gebiet um Kursk unterscheidet sich von den Ardennen 1944. Die bergige und bewaldete Region wurde damals nur von wenigen Straßen durchzogen, und noch weniger Brücken konnten die schweren deutschen Panzer tragen. Wegen der Wälder und der Höhenzüge konnten sich mechanisierten Truppen nicht querfeldein bewegen. Die Amerikaner mussten es nur schaffen, an den entscheidenden Stellen die wenigen Straßen zu blockieren, und dann saß der deutsche Vormarsch fest. In der Kursk Region können die Ukrainer die russischen Sperrstellungen hingegen umgehen und immer tiefer ins Land vordringen. Und das könnte der Schlüssel zum Erfolg sein.