IPCC-Bericht Klima-Krise: Ich habe die Hoffnung verloren – und das ist richtig so

Von Clara Porak
Die Folgen der Klimaerwärmung sind kaum abzusehen
Die Folgen der Klimaerwärmung sind kaum abzusehen
© john finney photography / Getty Images
Die Menschheit könnte aussterben, heißt es im Entwurf für den neuen Bericht des Weltklimarates. Unser Autorin, 23, ist Klimaaktivistin. Der Bericht nimmt ihr die Hoffnung. Und das findet sie richtig so.

An guten Tagen sage ich mir, dass das Heute alles ist, was zählt. An schlechten Tagen gehe ich in den Wald und stelle mich neben einen Baum, um mich daran zu erinnern, wie klein ich bin. Ich fasse an den Stamm und sehe nach oben in die Blätter. Ich nehme lange, tiefe Atemzüge. Ich sage mir, dass es genug ist, es zu versuchen, dass es in Ordnung ist, die Welt nicht verändern zu können. Aber ich verzweifle.  

Der Dienstag vergangener Woche war ein schlechter Tag. Es war dieser eine Satz, den ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme. "Klimaschutzmaßnahmen (…) könnten den Menschen vorm Aussterben bewahren." Ich bin seit fünf Jahren Klimaaktivistin, ich habe diesen Satz schon oft gehört. Aber dieses Mal geht es darum, wo er steht, nämlich in der Zusammenfassung eines Entwurfs des nächsten IPCC-Berichts, der an die Öffentlichkeit gelangt ist. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist der Weltklimarat. Ein Bündnis von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wertet Studien aus der ganzen Welt zum Klimawandel aus und formuliert daraus eine Handlungsorientierung für seine rund 195 Mitgliedstaaten.

Nicht-alarmistische Endzeit-Szenarien

Diese Berichte gelten als relativ zurückhaltend, weil sie von unterschiedlichen Forscherinnen und Forschern diskutiert werden. Aussagen über die Zukunft sind immer unsicher, und die Wissenschaft irrt sich ungern. Deshalb steht  darin meist nur das, was man relativ sicher sagen kann, worauf man sich einigen kann. Die Berichte sind konservativ, nicht alarmistisch. Der geleakte Entwurf ist nur ein Entwurf, Formulierungen können sich ändern. Aber darin ist diese Aussage: Wir Menschen könnten aussterben, wenn wir so weitermachen wie bisher.   

"Das Leben auf der Erde kann sich von einem drastischen Klimaumschwung erholen, indem es neue Arten hervorbringt und neue Ökosysteme schafft", heißt es laut Medienberichten in dem Entwurf. "Menschen können das nicht." Bis 2050 werden bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad rund 350 Millionen Bewohner von Ballungsräumen wegen schwerer Dürren unter Wassermangel leiden. Bei einer Erwärmung um zwei Grad wären es sogar 410 Millionen. Und viele Experten befürchten, dass wir eher auf drei Grad zusteuern. Wenn ich 50 Jahre alt bin, werden also zusätzlich 410 Millionen Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Wassermangel betroffen sein.

Wer kein sauberes Wasser hat, trinkt schmutziges, deshalb breiten sich Krankheiten leichter aus, Menschen sterben. Auch Pflanzen und Tiere brauchen Wasser, Rinder verdursten, Getreide verdörrt auf den Feldern. Wer kein Wasser hat, hat Hunger. Der Wassermangel zwingt Menschen, ihre Heimat zu verlassen, es kommt zu bewaffneten Konflikten, es droht Krieg um das Wasser.

410 Millionen Menschen. Das sind unbegreifliche Zahlen. Zum Vergleich: Weltweit sind bislang 180 Millionen Corona-Fälle registriert. Mehr als doppelt so vielen Menschen wird das Wasser ausgehen. 

Der Bericht geht davon aus, dass bis zum Jahr 2050 acht bis 80 Millionen Menschen zusätzlich von Hunger betroffen sein werden. Das Ausmaß sei abhängig von der Entwicklung der Treibhausgasemissionen. Das heißt: tendenziell eher 80 Millionen Menschen. Das entspricht fast der gesamten Bevölkerung Deutschlands.

Trennung im Kopf

Keine dieser Informationen ist neu, aber dennoch: Ich habe Angst. Ich bin wütend und verzweifelt. Das war nicht immer so. Ich erinnere mich an die Zeit, als diese Nachrichten auch von mir abprallten, wie sie heute noch von den meisten Menschen abzuprallen scheinen. Auch ich hatte lange das Gefühl, es geht in diesen Berichten nicht um mich. Es ist ja nichts sicher. Es wird schon nicht so schlimm kommen. 

In der Kulturwissenschaft nennt man das othering: Man grenzt sich von einer Sache oder Gruppe ab. Im Kopf entsteht eine Trennung: die anderen und ich. Lange habe ich die Nachrichten zur Klimakrise von mir, von meinem Leben getrennt. Ich habe mir gesagt, dass sie die anderen betreffen werden, dass das alles nichts mit mir zu tun hat. Dass es mir gut geht. 

Jetzt weiß ich: Das stimmt nicht. Die Klimakrise ist auch meine Krise. Es geht mir nicht gut, solange es nicht allen gut geht. 

Gegen die Gleichgültigkeit

Ich grenze mich nicht mehr ab. Alles geht mich an. Das kam nicht Schlag auf Schlag. Es war nicht ein Tag, nicht eine Nachricht. Es waren viele Nachrichten, es waren vor allem Erlebnisse, Begegnungen mit Menschen, die für unsere Zukunft kämpfen. Begegnungen mit Dingen, die es sich zu retten lohnt. 

Etwas in mir ist ganz langsam in Bewegung geraten. Wie ein Sturm aufzieht, erst leise, kaum merklich. Dann wird er immer stärker. So ist es jetzt. Ich kann nicht mehr einfach so weitermachen. Ich habe begonnen, diese Nachrichten nicht mehr nur zu lesen, sondern zu begreifen. So richtig, mit allem, das ich bin.   

Denn bei der Klimakrise geht es um alles. Das ist kein Alarmismus mehr, denke ich an dem schlechten Dienstag. Und ich treffe die Entscheidung, nicht mehr gleichgültig zu sein. 

Hoffnung reicht nicht mehr

In den vergangenen fünf Jahren, den Jahren, die ich Klimaaktivistin bin, ist mir die Hoffnung immer wieder verloren gegangen. Sie entsteht bei Aktionen und auf Demos. Wenn ich die Menschen um mich herum sehe und denken kann: Wir weigern uns, gleichgültig zu sein. Auf denen ich realisiere, wie viele wir sind, wie wütend wir sind, was wir gemeinsam bewirken können. Aber Sätze wie jener Satz aus dem IPCC-Bericht nehmen sie mir. Deshalb möchte ich mich nicht mehr auf die Hoffnung verlassen. Sie reicht nicht aus. Hoffnung ist flüchtig.

Wenn sie fehlt, ist es schwer, mutig zu sein. Ich suche immer noch nach meiner Stimme, dem Mensch, der ich sein will. Aber dafür bleibt eigentlich keine Zeit. Unsere Erde brennt. Wir müssen verdammt schnell unseren Mut finden. Hoffnung ist dafür nicht genug. Es geht um diese Entscheidung: Ich habe mich entschieden, alles Leben zu schützen und mich für eine möglichst gerechte Gesellschaft einzusetzen. Die Klimakrise ist nicht in 50, in zehn oder fünf Jahren. Die Klimakrise ist jetzt. Jetzt verlieren Menschen wegen Naturkatastrophen ihre Heimat, jetzt wird das Klima mehr und mehr zur Fluchtursache. Jetzt spüren gerade die, die am wenigsten dazu beigetragen haben, die Folgen der Klimakrise am härtesten. Jetzt gehen ganze Ökosysteme verloren. Es geht nicht allein um die Zukunft, es geht um die Gegenwart. Unsere Gegenwart.

Ich will, dass alle Menschen ein Recht auf ein gutes Leben haben. Ein Grundrecht auf Freude. Es muss für alle gleichermaßen gelten. Für dieses Recht möchte ich mich einsetzen. Dazu braucht es keine Hoffnung, sondern Entschlossenheit.

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