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Klimakrise Beispiellose Hitze in Kanada: Warum extremes Wetter nicht zur "neuen Normalität" werden kann

Augenzeugen-Videos zeigen heftige Unwetter-Folgen
Sehen Sie im Video: Unwetter im Süden Deutschlands – Hier müssen Sie mit neuen Gewittern rechnen.


Diese Bilder versprechen nichts Gutes:  


Am Montag ist es im Südwesten Deutschlands ist es zu zahlreichen Unwettern gekommen. 


Die Folgen: Umgestürzte Bäume, Sturmschäden, Erdrutsche und überschwemmte Fahrbahnen. Fahrzeuge versinken in den Regenfluten, die sich wie Wasserfälle auf die Straßen ergießen. Die Feuerwehr muss hunderte Male ausrücken. 


Bösingen in Baden-Württemberg versinkt nach einem Unwetter in Hagelkörnern. Wassermassen und Hagelkörner überfluten die Gemeinde im Landkreis Rottweil. Die Feuerwehr muss allein hier 40 Mal ausrücken. 


Ein für die Sommermonate ungewöhnlicher Anblick: Arbeiter in Räumfahrzeugen versuchen Straßen von eisigem Niederschlag zu befreien. 


Landwirte trifft das extreme Wetter im Südwesten der Republik und auch in der Schweiz besonders hart. Bio-Landwirt Christian Tüscher fürchtet schwere Ernteausfälle. 


Der Deutsche Wetterdienst wart auch für die kommenden Tage vor Unwettern. Bis Donnerstag soll es vor allem im Nordosten zu Unwettern mit heftigem, mehrstündigen Starkregen kommen können. Vereinzelt könne es auch zu Hagel und Sturmböen kommen. 

Nie gekannte Hitze in Kanada, ein ausgewachsener Tornado in Tschechien, Hagel und Starkregen in Deutschland – nicht die Bilanz eines ganzen Unwettersommers, sondern nur weniger Tage. Die Folgen des Klimawandels werden zunehmend spürbar.

Auf Lytton blickt zur Zeit die Welt. Das kleine Dorf im Westen Kanadas ist im wahrsten Sinne des Wortes der Hotspot einer nie gekannten Hitzewelle, die auch den benachbarten Nordwesten der USA erfasst hat. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen wurde in Lytton ein neuer Hitzerekord für Kanada aufgestellt: zuletzt 47,9 Grad. Zuvor waren in dieser Region der Welt nie mehr als 45 Grad gemessen worden – und das war 1937. "Das ist wirklich schockierend", stellte Scott Duncan via Twitter fest, ein britischer Meteorologe, der sich als Chronist extremer Wettereignisse international einen Namen gemacht hat.

Wohlgemerkt: Die Rekordhitze trifft eine Region, die eigentlich für weit kühlere Grade bekannt ist. Ob in Lytton, in Seattle jenseits der Grenze in den USA oder im noch etwas südlicher gelegenen Portland, Oregon: so anhaltend heiß wie jetzt war es noch nie. In der gesamten Geschichte Seattles hatten die Temperaturen zuvor lediglich an drei Tagen die 100 Grad Fahrenheit erreicht (knapp 38 Grad Celsius), berichtet der TV-Sender CBS, nun wurde diese Marke an drei Tagen in Folge überschritten, und zwar deutlich. Vor allem Wohnungen sind hier – ähnlich wie in Deutschland – eher selten mit Klimaanlagen ausgestattet, weil es normalerweise schlicht nicht nötig ist. Angesichts der extremen Hitze stellen betroffene Städte daher nun klimatisierte Hallen und Unterkünfte zur Verfügung, in die sich die Menschen flüchten können.

Extremwetter: Tornados und Hagelstürme in Europa

Scott Duncan verbreitete über seine Social-Media-Kanäle in den vergangenen Tagen auch Bilder und Videos aus Deutschland; vor allem aus der Unwetter-Region im Südwesten, die auch in der vergangenen Nacht wieder von Starkregen und Sturm geschüttelt wurde. Darunter Hagelstürme in Rottweil oder am Forggensee unweit von Füssen:

Außerdem: Überschwemmungen mit Hagel auch in den französischen Städten Lyon und Reims, in Spanien, Belege ungewöhnlicher, teils beängstigender Wetterfronten – sogenannter Superzellen – vor allem in Nordeuropa, Tornados im britischen Essex und in Tschechien. Letzterer machte Schlagzeilen wegen seiner enormen Zerstörungskraft und der Zahl der Opfer: fünf Menschen starben, 200 wurden verletzt. Meteorologe Jörg Kachelmann prophezeite, dass ein solch starker Tornado in Deutschland nur eine Frage der Zeit sei. Auch dann werde es Opfer geben. Das wärmer und feuchter werdende Klima begünstige die Bildung dieser zerstörerischen örtlichen Sturmwirbel.

Klimaforscherin: "Wir wussten, dass das kommen würde"

Turbulente Wettertage wie zur Zeit wirken wie ein fühlbarer Beleg für die Klimakrise. Dabei sind es weniger die einzelnen Extremwetter-Ereignisse an sich, sondern deren zunehmende Häufung, die laut Klimaforschern als zweifelsfreier Beleg für die sich vor unseren Augen abspielenden globalen Klimaveränderungen gelten. Längst gilt aber auch: "Statt bloß zu sagen, wir wissen, dass Extremwetter zunehmen, können wir mittlerweile berechnen, wie stark der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit für einzelne Ereignisse erhöht hat", so schon vor Jahren Susan Joy Hassol, Direktorin der US-Stiftung Climate Communication, die sich die verständliche Vermittlung von Forschungsergebnissen zur Aufgabe gemacht hat. 

"Ich habe 25 Jahre lang an Klimaprojektionen gearbeitet. Daher wussten wir, dass das kommen würde", twitterte dementsprechend die kanadische Klimaforscherin Katharine Hayhoe über die Rekordhitze in ihrer Heimat und im US-Nordwesten. Auch die globalen Zusammenhänge sind den Klimaforschern klar: "Die Hitzeglocke über dem Nordwesten Amerikas ist nur ein Teil eines planetenweiten Wellenmusters, das die gesamte nördliche Hemisphäre umrundet", erläuterte Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, "mit abwechselnd vier roten Arealen, nordwärts gerichteter Luftströme, und vier blauen Bereichen mit südwärts gerichteten Luftströmen". Das System ist derzeit offenbar sehr stabil. Der Grund wird darin vermutet, dass es – vereinfacht gesagt – durch die Klimaerwärmung zu einer Verlangsamung und unter Umständen zu einer Art Stillstand der Jetstreams in der Atmosphäre kommen kann. Durch ein solches "Blockieren" der Luftströme würde im konkreten Fall die Nordpazifikregion anhaltend mit heißer Luft versorgt.

 

Michael Mann: "Keine 'neue Normalität'"

Statistisch gesehen ist eine solche Hitzewelle an der Pazifikküste im wörtlichen Sinne ein Jahrtausendereignis, wie US-Atmosphärenforscher Jeff Berardelli CBS erläuterte. Dass die Klimamodelle sie dennoch korrekt vorhersagten, macht die Hitze in Bezug auf den Klimawandel bedeutend. Es lässt den Schluss zu, dass solche extreme Konstellationen in Zukunft häufiger vorkommen – mit den entsprechenden Folgen.

"Wir werden immer mehr extreme Hitzewellen, Dürren, Waldbrände und Überschwemmungen erleben, solange wir den Planeten durch die Verbrennung fossiler Stoffe und durch CO2-Emissionen weiter erwärmen", zitierte CBS Michael Mann, einen Pionier der Erforschung des Klimawandels von der Pennsylvania State Universität. Deshalb müsse der Ausstoß der Klimagase dringend verringert werden. Manche Leute aber wollten sich damit abfinden und würden deshalb von einer "neuen Normalität" sprechen, so Mann. Aber das reiche nicht, "es ist schlimmer." Erst kürzlich warnte der Weltklimarat eindringlich davor, dass die Folgen eines nicht oder zu wenig gebremsten Klimawandels den Fortbestand der Menschheit gefährden könnten.

Quellen: Twitter/Stefan Rahmstorf, Twitter/Katharine Hayhoe, Klimafakten (1), Klimafakten (2), Twitter/Scott DuncanCBS, Nachrichtenagentur DPA

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