Einschätzung "Im Grunde ist das ein Schönwetterangebot"

Professor Guntram Knecht leitet den Maßregelvollzug in Hamburg-Ochsenzoll. Seine Einschätzung der Erfolgsaussichten für präventive Behandlung Pädophiler ist eher kritisch.

Prävention von Pädophilie - geht das überhaupt?

Das kommt darauf an. Wollen Sie vorbeugen, dass es zu einem Übergriff kommt, oder wollen Sie einen Straftäter vor seiner Wiederholungstat abbringen? Beides ist möglich, theoretisch. Ich würde jedoch davon ausgehen, dass eine Behandlung dann sinnvoll ist, wenn die Männer schon einmal straffällig geworden sind. Bei den Ersttätern ist die Rückfallquote am Höchsten. 20 Prozent der Verurteilten begehen eine neue Sexualstraftat. Im Vergleich dazu: Bei Verkehrsdelikten sind es 50 Prozent.

Was halten sie von dem Projekt Dunkelfeld?

Als ich davon gehört habe, hat mich das erst einmal gefreut. Endlich geschieht in Deutschland etwas in diesem Bereich. Aber im Grunde ist es ein Schönwetterangebot.

Das bedeutet...?

Es hört sich fantastisch an und macht auch gute Presse. Die Menschen sind begeistert. Trotzdem würde ich behaupten, dass die Menschen, die man erreichen will, nicht anspricht.

Wieso nicht?

Es ist zu eng gehalten. Natürlich geht es um die Forschung. Um der Prävention von Übergriffen überhaupt zu dienen, sollte es aber offen sein für alle: Straftäter und die, die es noch nicht sind. In Wien habe ich die psychatrische Klinik geleitet. Dort hatten wir eine ganz offene Anlaufstelle. Wir hatten sehr viel Rückmeldung, die Männer haben sich freiwillig gemeldet und sind auch wieder gekommen. Davon waren aber nur 20 Prozent solche, die tatsächlich präventiv gekommen sind, also noch nicht straffällig geworden.

Was heißt das für das Projekt an der Charité? Setzt es falsche Akzente?

Nein, aber die Relation nicht. Meiner Ansicht nach sollten die Zielpersonen insbesondere die Ersttäter sein. Es wird in diesem Bereich zu wenig getan. Die Männer werden nach ihrem Erstdelikt verurteilt, bekommen aber keine psychologische Betreuung, erst wenn sie wiederholt verurteilt werden. Dann kommen sie in den Maßregelvollzug. Meistens ist es dann schon zu spät. Hier sehe ich die entscheidende Lücke im derzeitigen Angebot: Die Männer sind nach der ersten Verurteilung zugänglich, da sie die einschneidende Erfahrung gemacht haben, sich selbst durch ihre Tat völlig aus dem sozialen Umfeld gerissen zu haben. Die Menschen wenden sich ab, sie erkennen, dass sie etwas falsch gemacht haben.

Von sich aus gehen Pädophile also nicht zu einer Therapie?

Das habe ich nicht gesagt. Es sind nur wenige und vermutlich nur die, die nach der Ersttat auch nicht noch einmal rückfällig werden. Sie wissen, sie tun Falsches und nehmen die Dinge verzerrt wahr. Aber die, die tatsächlich an der Realitätsstörung leiden, die melden sich nicht, bevor etwas passiert ist. Sie glauben fest, dem Kind etwas Gutes zu tun, oder zumindest auf die vermeintlich sexuellen Wünsche des Kindes einzugehen.

Die Männer treffen ein Kind, im Park beispielsweise. Sie haben keinen ausgefeilten Plan, sondern die Dinge kommen einfach zusammen. Da laden sie das Kind zum Eis ein, gehen mit ihm herum - und wenn es dann die Hand nimmt, dann verstehen sie das rein sexuell. Hier setzt die verzerrte Wahrnehmung ein. Sie fühlen sich von dem Kind dann regelrecht angemacht, weil sie ganz normale Gesten wie ein Kopf an der Schulter oder einfach nur ein Lächeln nicht losgelöst von ihren sexuellen Neigungen sehen können.

Das Interview führte Shila Behjat

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