Erziehung Eltern fragen - Experten antworten, Teil 1: Pubertät

Kinder sind wunderbar - und oft sehr anstrengend. Ihre Erziehung wird immer schwieriger, zu vielfältig sind die Anforderungen an Mütter und Väter. Aber keine Angst. Es gibt Fachleute, die für Krisensituationen Rat wissen. Wir haben ihnen die drängendsten Fragen vorgelegt, sie haben geantwortet. Lesen Sie im ersten Teil: 50 Probleme aus dem harten Alltag der Pubertät - und ihre Lösung.

Kinder sind Welt-Entdecker mit hochtourigem Motor. Sie ruinieren Nächte. Monatelang. Nerven. Jahrelang. Kaum können sie reden, ist "Nein!" ihr Lieblingswort. Sie ziehen dem Nachbarkind die Schippe über den Schädel, richten Plastik-MGs auf ihre Eltern, schneiden Löcher ins Sofa. Regelmäßig werden sie von der schlimmsten Kinderkrankheit, der Langeweile, befallen. Das eigene Mobiltelefon fordern sie spätestens mit acht. Mit neun mögen sie nur noch Fast Food, und Hausaufgaben machen Zehnjährige nur unter strengster Bewachung.

Und da ist gera de Halbzeit. Die zweite - meist noch größere - Herausforderung kommt erst noch: die Pubertät. Und spätestens da gibt es Tage, an denen man den Nachwuchs gern mal dem Astronauten Thomas Reiter mit in den Weltraum geben möchte. Auch Teenager, die nicht das Extremprogramm fahren mit Komasaufen, Dauerkiffen und Schulverweigerung, können Väter und Mütter an den Rand des Wahnsinns treiben. Wenn sie zicken und rüpeln, provozieren und attackieren. Oder sich völlig zurückziehen. Wenn sie rebellieren und ausrasten. Oder ihre Umwelt mit Verachtung strafen. Wenn sie mit Drogen und Diäten experimentieren, Gefahren und Grenzen ignorieren. Und plötzlich wieder ganz viel Zuspruch und Nähe brauchen. Typisch Pubertät? Ja, sagen Eltern, die den familiären Ausnahmezustand durchgemacht haben.

Eltern haben eine größere Verantwortung als früher

Kinder großzuziehen ist harte Arbeit. Zur Entlastung der Eltern muss gesagt werden: Heute ist es ungleich schwieriger, Kinder zu erziehen. Ganz anders als in den Zeiten mit drei Fernsehprogrammen, zwei Turnschuhmarken und Bullerbü-Großfamilie. Globalisierung und Digitalisierung, eine Vielfalt von Wertorientierungen und Lebensformen haben den Alltag stark verändert. Eltern haben eine größere Verantwortung als früher: Sie sind die Koordinationsstelle, sie müssen mehr denn je Orientierung und Halt geben in dieser multimedialen, unübersichtlichen Welt mit den vielen Möglichkeiten. Gleichzeitig ist die wirtschaftliche Existenz unsicherer geworden. Und Politik und Wirtschaft unterstützen Eltern, die Karriere und Kinder vereinbaren wollen, immer noch zu wenig.

"Mütter und Väter sind in Deutschland ziemlich erschöpft", sagt der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann. Trotzdem machen die meisten Eltern einen guten Job. Aber sie sind oft verunsichert. Und aufgeschreckt durch immer mehr Kinder mit Zappelphilipp-Syndrom, Konzentrations- und Lernstörungen, Aggressionen und Depressionen. In schwierigen Erziehungssituationen wissen sie oft nicht weiter, fühlen sich hilf- und machtlos. Dieses Bedürfnis nach praktischem pädagogischem und psychologischem Wissen spiegelt auch der wachsende Zulauf in Beratungsstellen und in Elternkursen wie "Starke Eltern - starke Kinder", "Step" oder "Triple P". Bücher wie "Kinder brauchen Grenzen" oder "Pubertät - Loslassen und Halt geben" von Jan-Uwe Rogge wurden Bestseller.

Die Antworten sind keine Patentrezepte

Der stern bat Eltern um ihre drängendsten Fragen und ließ insgesamt 100 von Experten beantworten: In diesem ersten Teil finden Sie 50 Fragen von Eltern mit pubertierenden Teenagern. Und nächste Woche 50 Fragen von Vätern und Müttern mit Kindern zwischen null und zehn Jahren. Die Antworten sind keine Patentrezepte. Die gibt es nicht, zu unterschiedlich sind Mentalitäten, Bildungshintergründe und Lebensstile. Und sie sind für alle Väter und Mütter gedacht, nicht nur für die, die hier konkret gefragt haben.

Sie sollen verstanden werden als Anregung, als Hilfe zur Selbsthilfe, sie sollen dazu beitragen, das Verhalten des eigenen Kindes besser zu verstehen und so entspannter mit ihm umgehen zu können. Einige Antworten sollen auch einfach nur vorbeugendes Wissen liefern. In der Pubertät (lat. pubertas: Geschlechtsreife) sind Eltern nicht mehr einfach nur Eltern, sie sind immer wieder auch - notwendige - Gegenspieler. Denn nur über Reibung gelingt den Jugendlichen die Ablösung, nur so finden sie ihre eigene Position, entwickeln sie ihr neues Ich.

Launen und Liebeskummer

Deshalb ist es so wichtig, dass Väter und Mütter immer wieder in den häuslichen Ring steigen und sich mit dem renitenten Nachwuchs auseinandersetzen. Was verdammt anstrengend sein kann, oft nervt und manchmal verletzt. "Eltern dürfen in der Erziehung gerade jetzt nicht kapitulieren, sondern müssen sie im Gegenteil durch klare Regeln weiterführen", sagt Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge.

Was geplagte Eltern oft vergessen: Für die Jugendlichen ist diese Zeit noch viel schwieriger. Ihr Freiheitsdrang, ihre Rebellion ist nur die eine Seite. Aber da sind auch Fragen, Selbstzweifel, Angst vor den neuen Anforderungen. In der Pubertät, die immer früher einsetzt, krempeln Hormone ihren Körper und damit auch ihre Psyche um. Pickel, sprießende Härchen, wachsende Brüste, die erste Periode, der erste Samenerguss. Launen und Liebeskummer. An den veränderten Körper müssen sie sich erst gewöhnen, mit ihrer Sexualität und ihrer emotionalen Labilität klarkommen. Das stresst und ist häufig mit negativen Gefühlen verbunden.

Baustelle Frontalhirn

Inzwischen gehen Wissenschaftler davon aus, dass das Gehirn in dieser Zeit zur Großbaustelle wird, es die Kanäle, auf denen Informationen und Emotionen weitergeleitet und verarbeitet werden, neu justiert. Intensiv benutzte neuronale Netzwerke werden verstärkt, die weniger in Anspruch genommenen schalten sich ab. Längst ist noch nicht alles erforscht. Aber so viel scheint klar zu sein: Die Ausraster, die emotionalen Achterbahnfahrten der Jugendlichen, sind nicht allein mit Hormonschüben zu erklären, sondern wohl auch Nebenwirkung dieser Hirnreifung.

Inzwischen glaubt man zu wissen, dass sich im Frontalhirn, das für vorausschauendes, zielgerichtetes Handeln und dessen moralische Bewertung sowie für die Kontrolle der Emotionen - also für die Vernunft - zuständig ist, die Baustelle befindet, an der am meisten umgebaut wird. Teenager wissen also womöglich tatsächlich nicht immer, was sie tun.

Starke Eltern, starke Kinder

Was aber nicht heißt, dass sich alle Pubertätsexzesse und Stimmungsschwankungen auf den Aufruhr der Hormone und die Bauarbeiten im Gehirn zurückführen lassen. Auch Hirnforscher glauben, dass das Lebensumfeld und die Erfahrungen, die Kinder machen, enorme Rückwirkung darauf haben, was im Kopf passiert. "Wenn Eltern ihren Nachwuchs schon in den Jahren vor der Pubertät stark gemacht haben, kommt er in der Regel besser durch diese schwierige Zeit", sagt der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther. Weniger anstrengend werden diese Jahre aber leider dennoch nicht. Sie müssen da durch. So wie Ihr Kind.

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