Der Trend beunruhigt Ärzte und Sozialexperten gleichermaßen: Seit Jahren steigt die Zahl der Abtreibungen unter Minderjährigen in Deutschland. Dabei geht die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche insgesamt zurück. 2003 verzeichnete das Statistische Bundesamt rund 128.000 Fälle, 2.400 oder 1,8 Prozent weniger als 2002. Damals hatte der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr sogar 3,4 Prozent betragen. Schon länger beklagen Experten, dass der Grad der sexuellen Aufklärung unter Jugendlichen deutlich nachlässt.
2003 verzeichneten die Statistiker einen Anstieg der Abtreibungen bei den unter 18-Jährigen um 2,7 Prozent auf insgesamt 7.645 Fälle. Besonders hoch war diesmal die Zunahme bei den älteren Minderjährigen, also den 15- bis 18-Jährigen: Hier wurde eine Zunahme von 3,7 Prozent verzeichnet. Bei den unter 15-Jährigen sank die Zahl dagegen von 761 Fällen im Vorjahr auf 715.
Neben Abtreibungen nehmen auch die Geschlechtkrankheiten zu
Zwar machen Abtreibungen bei Minderjährigen nur 6 Prozent der Statistik aus, Experten beobachten aber seit längerem mit Sorge, dass die Zahl der ungewollten Schwangerschaften unter Jugendlichen zunimmt. Nach Angaben der Techniker Krankenkasse stieg die Zahl der Abtreibungen bei unter 15-Jährigen von 1996 bis 2002 um fast 70 Prozent, bei den 15- bis 18-Jährigen betrug der Anstieg ein Drittel. Laut Roland Lehmann vom Diakonischen Werk wird seit längerem auch eine extreme Zunahme von Geschlechtskrankheiten bei Jugendlichen beobachtet.
Schuld ist Lehmann zufolge vor allem mangelnde Aufklärung. "Das Thema Verhütung hat nicht mehr den Stellenwert, den es bei Jugendlichen vor zehn Jahren hatte", betont er. Das wiederum ist womöglich eine Folge des Zurückweichens der Themen Aids und HIV aus dem öffentlichen Bewusstsein. "Die heutige Jugend-Generation hat den Aids-Schock der 80er Jahre nicht im Kopf", sagt Lehmann.
Sexuelle Reife tritt früher ein
Doch die Statistik der unter 15-Jährigen zeigt auch, dass Jugendliche ihre ersten sexuellen Erfahrungen immer früher machen. Wissenschaftler erklären das unter anderem damit, dass sich in Industriegesellschaften die sexuelle Reife immer weiter vorverlagert. So wurden in den 90er Jahren in Deutschland die ersten Fälle von Abtreibungen bei 10-Jährigen registriert. Nach Recherchen des Landauer Sexualforschers Norbert Kluge stieg auch die Zahl der Geburten von minderjährigen Müttern zwischen 1996 und 2001 deutlich an. Nimmt man Abtreibungen und Geburten zusammen, hat die Zahl der Teenager-Schwangerschaften in dem Zeitraum um 34,5 Prozent auf 12.845 zugenommen.
Allheilmittel ist Aufklärung auch nicht
Während Kluge fordert, mit der Aufklärung früher zu beginnen, verweisen andere auf die Grenzen der Freiheit: "14-jährige Mädchen, die sich auf einmal im Bett mit einem Freund wiederfinden, können mit ihrer Biologieunterricht-Aufklärung nichts anfangen", sagt Gisela Gille von der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau. "Die wissen oft gar nicht, wie Jungs ticken", fügt die Ärztin hinzu.
Ein weiteres Problem sei, dass sich junge Mädchen aus zerbrochenen Elternhäusern oft in Beziehungen flüchteten. "Da muss der Traumboy dann das Vakuum auffüllen", berichtet Gille. Betreuung sei deshalb oft besser als "alle Tore aufzumachen".