Bewegen sollen sich die Leute: Laufen, Joggen, Powerwalken - ganz egal, Hauptsache auf Trab kommen. Täten sie das in großer Zahl und auf die richtige Weise, dann wären nicht nur die alsbald fitteren, leichtgewichtigeren und attraktiveren Neu-Sportler zufrieden. Auch ihre Krankenkassen wären hocherfreut. Mehr Fitness bedeutet geringeres Risiko für chronische Erkrankungen, weniger Infarkte, weniger Diabetes. Kein Wunder also, dass die Kassen mit vielen Aktionen für den Breitensport werben, besonders fürs Laufen.
Damit die schöne Idee vom fitteren Volk Wirklichkeit werden kann, gilt es nicht nur, Millionen innerer Schweinehunde zu überwinden. Die frisch Motivierten müssten auch richtig trainieren. Denn Maß und Methode des Trainings bestimmen darüber, ob es der Gesundheit förderlich ist. Zu schnell, zu hektisch, zu radikal gerannt - und schon war es nur eine Übung in Draufgängertum, aber kein gutes Werk für den Körper.
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Die meisten Freizeitläufer wissen das. Sie haben davon gehört, dass es einen optimalen Belastungspuls gibt ("etwa 140 sind genug"), ein inneres Metronom, auf das sie sich einlaufen sollten. Und dass es beim Ausdauersport entscheidend ist, keine zu hohe "Sauerstoffschuld" aufzubauen, also nicht so schnell zu rennen, dass sie völlig außer Atem kommen. Aber wirkt die Einsicht auch? Um das herauszufinden, hat der AOK-Bundesverband jetzt von Sportwissenschaftlern und -psychologen der Deutschen Sporthochschule Köln eine Studie anfertigen lassen. Untersucht wurden Läufer aus verschiedenen "Bewegungswelten", wie die Wissenschaftler es nennen: Mitglieder eines Fitnessstudios, die auf dem Laufband trainierten, Teilnehmer eines Volkslaufs, Einzelläufer und solche, die in der Gruppe joggten. Insgesamt 171 zufällig ausgewählte Männer und Frauen wurden jeweils am Ende ihres Laufpensums befragt, das Durchschnittsalter beträgt knapp 40 Jahre. Das Ergebnis der AOK-Studie: Die Mehrzahl der untersuchten Freizeitjogger trainiert falsch, viele sogar so sehr, dass das Training ihrer Gesundheit eher schaden könnte.
Bestimmung des Lakat-Spiegels im Blut
Den Studienleitern, dem Internisten Prof. Hans-Georg Predel und dem Psychologen Prof. Henning Allmer, kam es nicht nur darauf an, den Gesundheitswert des Trainings anhand medizinischer Messungen zu beurteilen (so bestimmten sie etwa den Laktatspiegel im Blut der Läufer), sie wollten auch den psychologischen Hintergrund erkunden: Mit Fragebögen wurde festgestellt, wie sich die Läufer fühlten und ob sie eine richtige Einschätzung darüber hatten, was ihnen wirklich gut tut. Es zeigte sich: Viele liegen ziemlich falsch - und trainieren deshalb in gutem Glauben verkehrt. Und: Es gab dabei große Unterschiede zwischen den einzelnen "Trainingswelten". Auch die Messwerte belegten das.
Sportwissenschaftler gehen davon aus, dass die Konzentration von Laktat (dem Salz der Milchsäure) im Blut bei einem auf die Optimierung der Gesundheit ausgerichteten Training unter 2 Millimol pro Liter (mmol/l) bleiben sollte (das Mol ist ein gebräuchliches chemisches Maß für eine Stoffmenge). Jenseits dieses Bereiches beginnt die ganz anderen Gesetzen folgende Welt des Leistungstrainings. Deshalb teilten die Kölner Forscher die erwarteten Laktatspiegel in drei Gruppen ein: Bis zu 2 mmol/l galten als grüner Bereich. Bis 4 mmol/l reicht der gelbe Bereich, in dem der gesundheitliche Trainingsnutzen schon reduziert ist. Alles, was darüber liegt, bildet den roten Bereich: Hier ist der Körper bereits stark von Stresshormonen belastet, von zunehmender Übersäuerung durch die angestaute Milchsäure geplagt und der Läufer fühlt sich wesentlich angestrengter. Unter diesen Bedingungen nimmt auch das Verletzungsrisiko deutlich zu. Der rote Bereich ist das, was einst für die Flucht vor dem Säbelzahntiger reserviert war: das Auspowern der Reserven, als ginge es ums nackte Überleben. Bald ringt man dabei um Luft.
Für alle der befragten Läufer war die bei weitem wichtigste Trainingsmotivation, die Gesundheit zu fördern. Die Volksläufer räumten der Verbesserung ihrer Leistungen (also der Zeit bis zum Ziel) eine recht hohe Wichtigkeit zu, fanden aber die Gesundheitsförderung ebenfalls am bedeutendsten. Bei der Messung der Laktatspiegel fielen sie jedoch sofort auf: Niemand erreichte derartig hohe Werte wie die Volksläufer: 69,5 Prozent von ihnen stürmten in den roten Bereich. Zudem fühlten sie sich am angestrengtesten im Vergleich zu allen anderen Gruppen. Den Volkslauf im grünen Bereich hinter sich zu bringen, gelang nur 1,7 Prozent - offenbar verführten Ehrgeiz und Wettkampfsog die Läufer zu übertriebenen Anstrengungen.
Ganz anders diejenigen, die ihren Lauf auf dem rollenden Band eines Studios absolvierten. 82,9 Prozent waren "grün" und taten so tatsächlich das Beste für ihre Gesundheit. Die kontrollierten Bedingungen des Fitness-Betriebs scheinen dafür nützlich zu sein. 75,6 Prozent der Einzelläufer schafften ebenfalls "grün", verglichen mit 58,3 Prozent der Rudelrenner aus dem Lauftreff. Von denen lagen jedoch 33,3 Prozent im gelben und 8,4 Prozent im roten Bereich. Dieses schlechte Ergebnis kommt offenbar dadurch zustande, dass die Läufer - obwohl sie es, wie die Fragebogen belegten, besser wissen - von der zu schnellen Gruppe gezogen werden. Statt ihr Idealtempo zu laufen, wollen sie den Anschluss nicht verlieren und werden zu schnell. Das führt dazu, dass die physische Belastung vieler Gruppenläufer und noch viel mehr der meisten Volksläufer zu hoch liegt. "Wenn dieses Laufverhalten über einen längeren Zeitraum gezeigt wird", so das Fazit der Studienleiter, "sind gesundheitsschädliche Wirkungen naheliegend, da das Belastungsniveau ungünstig wird."
Die gesteigerte Erschöpfung führt zu einer Kaskade unerwünschter Effekte - zum Beispiel dazu, dass der Muskel, um weiter die geforderte Kraft liefern zu können, mehr und mehr auf seine "schnellen" Fasern zurückgreifen muss. Diese sind eigentlich fürs Sprinten optimiert und erschöpfen unter Dauerbelastung noch schneller als ihre langsameren Verwandten. Ein Geheimnis der erfolgreichen Ausdauerläufer liegt darin, dass sie die Balance ihrer Muskelfasern genau im Griff haben. Selten - außer im Endspurt - müssen alle Fasern gleichzeitig an einem Strang ziehen. Sonst gilt: Die einen arbeiten, die anderen ruhen, immer im Wechsel. Auch das kann man lernen, aber nicht, wenn man von vornherein zu schnell rennt.
Raser verbrennen weniger Fett
Fett verbrennt die High-Speed-Fraktion zudem schlechter als die Freunde der gemächlichen Gangart. Bei der Raserei kommt der Stoffwechsel nicht dazu, es wirksam umzuwandeln und muss Kohlehydratreserven aufzehren. Die Forscher empfehlen deshalb: "Gruppenläufer sollen mehr auf ihre Gesundheit achten und ihr eigenes, gesundheitsförderndes Tempo laufen." Frauen gelingt das besser als Männern. Bei gleicher Motivation - beide Geschlechter wollen gleichermaßen ihre Gesundheit fördern -, hatten die Frauen deutlich niedrigere Laktatwerte: 56 Prozent von ihnen liefen im grünen Bereich, verglichen mit nur 41 Prozent bei den Männern, die offenbar für falschen Ehrgeiz und schlechte Selbsteinschätzung anfälliger sind. Im roten Bereich lagen 31 von hundert Männern, aber nur 24 Frauen.
Helge Knigge, Co-Autor der Studie und Diplom-Sportlehrer, hat aus den Ergebnissen Ratschläge für ein sinnvolleres Training abgeleitet: > Trotz der drohenden Nachteile des Gruppentrainings muss niemand auf das motivationsfördernde Gemeinschaftserlebnis verzichten. Es kommt aber darauf an, auch in der Gruppe sein eigenes Tempo zu laufen. Es macht nichts, später als die anderen anzukommen. "Zeitfetischismus", sagt Knigge, "ist für diejenigen, die sich gesund laufen, wollen total verkehrt." Was zählt, ist das richtige Belastungsniveau. Und das kann man gemeinsam mit anderen ermitteln: "Man sollte so laufen, dass man sich noch normal unterhalten kann. Wer einen Satz mit zwölf bis fünfzehn Wörtern sagen kann, ohne nach Luft schnappen zu müssen, ist nicht überlastet."
>?Hilfsmittel wie eine Uhr mit Herzfrequenz-Zähler können nützlich sein, um seinen Körper besser kennen zu lernen. Der entscheidende Punkt ist jedoch, die Wahrnehmung aller Belastungsreaktionen des Körpers zu verbessern. Wer sich diese Sensibilität "erläuft", benötigt die Pulsuhr zunehmend weniger.
>?Individualisierte Trainingsansätze sind richtig. Der eigene Körper zählt, nicht allgemeine Normen. Wer zum Beispiel die Anstrengung beim Berglaufen fürchtet, sollte die Anstiege betont langsam und entspannt laufen. Und wird sich in der Folge auf diese Laufabschnitte sogar freuen.
> Für gesundheitsorientiertes Laufen ist es nicht sinnvoll, eine bestimmte Strecke in ein bestimmtes Zeitfenster pressen zu wollen, um etwa einem Termin hinterher- zurennen. Besser die Strecke kürzen und das ideale Tempo beibehalten.
> Lauftrefftrainer sollten ihr Programm so ausrichten, dass viel Raum für Individualität bleibt und jeder sein Tempo laufen kann - "etwa dadurch, dass es kürzere oder längere Parcours gibt, die gemeinsame Zwischentreffpunkte besitzen und wieder am Ausgangspunkt enden", sagt Knigge.
> Es ist nicht tabu, sich hin und wieder mal der eigenen Leistungsgrenze zu nähern. Wer ein regelmäßiges, gutes Basistraining macht, darf beim Volkslauf auch mal voranstürmen. Aber: Das Verhältnis muss stimmen. Auf keinen Fall darf man einmal im Jahr wie wild losrennen und für die restlichen 364 Tage wieder im Sofa versinken.
Silke Umbach