Vergessen wir hier Bischof Richard Williamson mit seiner abstrusen Leugnung des Holocausts. Der Extremist hat ohnehin schon zu viel unverdiente Publicity bekommen. Vergessen wir an dieser Stelle auch, welches seltsame Spektakel der Vatikan in der Affäre um die Piusbrüder geboten hat und vielleicht noch bieten wird. Denn abgesehen von diesen aktuellen Ereignissen stellt sich durchaus die grundsätzliche Frage: Warum werden Menschen eigentlich so?
Was bringt im Grunde intelligente und gebildete Männer und Frauen dazu, eine sektiererische Ideologie mit solcher Sturheit zu vertreten, wie wir das jetzt von den katholischen Traditionalisten erleben? Nicht viel anders kennen wir das von rechtsgerichteten Evangelikalen, von Islamisten oder auch von skurrilen Sekten wie "Heaven's Gate", deren Mitglieder 1997 im Glauben an ein im Kometen Hale-Bopp verstecktes Rettungs-UFO gemeinsam in den Tod gingen. Fundamentalisten gibt es überall.
Selbstmord aus Angst vor dem Tod
Gerade angesichts des Beispiels einer Selbstmord-Sekte kann überraschen, was Psychologen schon seit längerem als Antwort auf die Ausgangsfrage anbieten: Demnach steckt hinter allzu absolut gesetzten Wahrheiten oft eine tief erschütternde Angst vor dem eigenen Ende. Wer davon gepackt wird - und sei es nur unbewusst -, flüchtet sich womöglich in Hoffnungen, die himmlische Erlösung vom sicheren irdischen Schicksal versprechen. Und in einem Extremfall wie "Heaven's Gate" wird daraus ein Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
Frank Ochmann
Der Physiker und Theologe verbindet als stern-Redakteur natur- und geistes-
wissenschaftliche Interessen und befasst sich besonders mit Fragen der Psychologie und Hirnforschung. Im März erschien sein Buch "Die gefühlte Moral: Warum wir Gut und Böse unterscheiden können".
Weil die Naturgesetze weiter für alle gelten und der Verstand eines mindestens durchschnittlich begabten Menschen auch noch befriedigt werden muss, wenn die Gefühle schon bedenklich brodeln, werden oft fantastische Gedankengebilde konstruiert, um vermeintlich oder tatsächlich tröstende Ewigkeitsfantasien vor der beängstigenden Wirklichkeit des biologischen Todes zu schützen. Schon länger gibt es diese Auffassung unter Psychologen. Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, nahm das an. Auch der amerikanische Anthropologe Ernest Becker hat diese These in den 1970er Jahren eindrucksvoll dargelegt.
Ach ja, wird mancher denken, da spinnt wieder einmal einer herum, der sich einfach nicht damit abfinden will, dass auch intelligente Menschen religiös sein und Glauben und Verstand versöhnt werden können. Aber nur verstockte Atheisten (und auch die haben einen Glauben) werden das ausschließen wollen. Trotzdem muss es erlaubt sein, auch mit den Methoden der experimentellen psychologischen Forschung auf ein Phänomen zu blicken, das weltweit zu entdecken ist - Nichtglaubende sind, von Pol zu Pol gerechnet, eine verschwindende Minderheit. Und innerhalb der Gruppen - ganz gleich welchen Glaubens - finden sich nahezu überall Fraktionen mit dem Anspruch, sie allein seien im Besitz der (einen, ewigen) Wahrheit und alle anderen täten darum gut daran, sich ihnen geistig und oft auch politisch anzuschließen.
Doch wer im Wald am lautesten pfeift, muss nicht der Mutigste sein. Ist es also möglich, dass solcher Fundamentalismus aus der Angst und damit die nach außen demonstrierte Stärke letztlich aus innerer Schwäche geboren wird?
Todesangst und religiöse Ideologie
Der Psychologe Mike Friedman von der belgischen Université catholique de Louvain versucht bereits seit einigen Jahren mit Experimenten zu ergründen, wie stark die Beziehung zwischen Todesbewusstsein/Todesangst und einer rigiden religiösen Ideologie ist. Besonders interessant ist ein Versuch, bei dem er den Umkehrschluss testete: Danach müssten religiöse Fundamentalisten, deren Glauben erschüttert werden konnte, sich stärker ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst werden. Genau das konnte Frieman mit seinen Mitarbeitern zeigen, als er ihrer eigenen Einschätzung nach christliche Fundamentalisten und Nichtfundamentalisten versammelte und sie mit Unstimmigkeiten ihrer heiligen Schrift, der Bibel, konfrontierte.
Zwar scheinen den Fundamentalismus anderen Arbeiten zufolge auch Gruppeneffekte zu stützen, die auf die simple Formel "Einigkeit macht stark, und Stärke schützt" gebracht werden könnten. Und wie sehr solche Phänomene ausgeprägt sind, hängt natürlich auch von solchen Faktoren wie dem allgemeinen Selbstwertgefühl ab. Doch auch, wenn das berücksichtigt und aus den Studiendaten herausgerechnet wird, ist die Bedeutung der Todesgewissheit für die Ausprägung eines religiösen Fundamentalismus nicht zu übersehen. Das macht ihn nicht angenehmer, aber vielleicht verständlicher.
Literatur:
Becker, E. 1973: The Denial of Death, New York: Free Press; deutsch 1976: Die Überwindung der Todesfurcht, München: Goldmann
Friedman, M. & Rholes, W. S. 2007: Successfully Challenging Fundamentalist Beliefs Results in Increased Death Awareness, Journal of Experimental Social Psychology 43, 794-801
Friedman, M. 2008: Religious Fundamentalism and Responses to Mortality Salience: A Quantative Text Analysis, International Journal for the Psychology of Religion 18, 216-237
Navarrete, C. D. et al. 2004: Anxiety and Intergroup Bias: Terror Management or Coalitional Psychology?, Group Processes & Intergroup Relations 7, 370-397