Herr Krüger, stellen wir uns einen Misanthropen vor. Er hat keine Freunde - muss daher nicht Seelentröster am Telefon spielen, leidet nicht mit anderen mit, ist sich selbst genug und muss an keine Geburtstage denken. Ist doch prima, oder?
Das ist furchtbar. Wenn wir keine Bindung haben, gleichen wir einem Weltraumfahrer, der außerhalb einer Kapsel hängt. Wir brauchen ein kleines soziales Dorf um uns herum - eine Partnerschaft und Freundschaften - um eine innere Stabilität zu erreichen und nicht unter Unsicherheitsgefühlen zu leiden. Diese können Ängste und Depressionen begünstigen. Die meisten seelischen Probleme sind Folge einer mangelnden Bindung zu anderen Menschen.
Freunde sind also lebenswichtig?
Ein australische Studie zeigt: Wer gute Freunde hat, hat eine höhere Lebenserwartung. Der positive Einfluss von Verwandten, Kindern aber auch dem Partner war dagegen deutlich geringer.
Eine andere, vor Kurzem erschienene Studie geht in eine ähnliche Richtung: Keine Freunde zu haben, ist genauso schädlich wie 15 Zigaretten am Tag zu rauchen, so das Ergebnis. Und Einsamkeit ist demnach sogar schlechter für die Gesundheit, als keinen Sport zu treiben.
Alle diese Studien zeigen: Wir brauchen sozialen Rückhalt, um uns aufgehoben zu fühlen und Stress besser abzufangen. Wer das nicht hat, bezahlt mit vielen Jahren seines Lebens.
Sie haben ein Buch darüber geschrieben, wie man Freunde fürs Leben gewinnt. Was empfehlen Sie?
Am leichtesten finden wir Freunde in Gruppen mit ähnlichen Interessen. Spontan auf jemanden zuzugehen, dazu haben die meisten Menschen eher nicht den Mut. Wir brauchen also Situationen, in denen wir jemand mehrfach treffen und einen Grund haben, ihn anzusprechen, beim Sport zum Beispiel. Die meisten Freundschaften beginnen mit einer banalen Frage - etwa ob man nicht Lust hat, mal gemeinsam einen Kaffee zu trinken. Viele Beziehungen bleiben im Stadium einer Bekanntschaft. Bei anderen geht es irgendwann tiefer, wenn ich anfange, über mich zu sprechen, über Ängste, Schwächen, Neigungen. Mit der Zeit entsteht eine gemeinsame Basis, ein Geben und Nehmen.
Was verbindet Menschen?
Es gibt drei Arten von Freundschaften: Freizeitfreunde, Vitamin-B-Freunde und Herzensfreunde. Wirklich gute Freunde, denen wir blind vertrauen, mit denen wir alles besprechen können, haben wir etwa drei bis fünf. Aber auch die lockereren Bindungen sind wichtig.
Wie suchen wir uns unsere Freunde denn aus?
Ähnlichkeiten bringen uns anderen näher. In vielen Freundschaften ist zu beobachten, dass beide Freunde denselben Beruf haben. So sind Lehrer etwa häufig mit anderen Lehrern befreundet oder werdende Mütter mit anderen Frauen in derselben Situation. Entscheidend ist auch: Der Freund sollte eine Ergänzung sein. Wer gerne redet, braucht jemanden, der gut zuhören kann. Frauen suchen sich in der Regel Freundinnen, mit denen sie sich gut besprechen können. Männer hingegen legen mehr Wert darauf, etwas gemeinsam zu unternehmen.
Sind das nicht Klischees?
Es ist tatsächlich so. Das große Drama sind Männerfreundschaften. Nur ein Drittel aller Männer hat Freundschaften, in denen sie auch über Ängste, Schwächen und peinliche Situationen reden können. Häufig sehen sich Männer schnell als Rivalen, jeder will den anderen im Gespräch übertrumpfen.
Dann bleiben wir doch gleich bei den Klischees. Seit Harry und Sally wissen wir ja auch: Freundschaften zwischen Männern und Frauen - das geht schief, oder?
Kommt darauf an. Wenn keine erotische Spannung da ist, funktioniert es. Notwendig ist auch, dass der Mann in der Lage ist, über seine Gefühle zu reden und über Worte Nähe herzustellen.
Woran erkenne ich gute Freunde?
Erstens kann ich mit guten Freunden über alles reden und bekomme keine pauschalen Ratschläge. Zweitens kennzeichnet gute Freundschaften ein Gefühl der Verlässlichkeit: Wenn wirklich die Hütte brennt, sind gute Freunde da - egal um welche Uhrzeit ich anklopfe. Drittens: Ein guter Freund muss Geheimnisse bewahren können. Wer Dinge gleich weitertratscht, verdient das Vertrauen nicht. Wer gute Freunde gefunden hat, muss sie vor allem pflegen. Mindestens ein bis zwei Stunden sollten sie pro Woche für eine Freundschaft aufwenden. Verreisen sie doch auch einmal mit ihren guten Freunden oder schreiben einen Freundesbrief, in dem sie formulieren, warum sie den anderen mögen.
Manchmal hilft auch das nicht mehr. Warum zerbrechen Freundschaften?
Generell gesagt: Auch das gehört zum Leben. Alle sieben Jahre verlieren wir etwa die Hälfte unserer Freunde. Die meisten Freundschaften werden allerdings nicht wie Partnerschaften mit einem großen Krach beendet, sondern sie verlaufen sich allmählich. Freundschaften sterben häufig einen leisen Tod. Man ist verstimmt, hat weniger Gemeinsamkeiten, lebt sich auseinander. Wie alte Klamotten, die zu eng geworden sind, passen manche Freundschaften einfach nicht mehr. Doch es lohnt sich, in gute Freundschaften zu investieren. Vieles spricht dafür, dass unsere Partnerschaft von einem stabilen Freundesnetz profitiert. Wer gute Freunde hat, kann Konflikte in der Partnerschaft besser aushalten.
Zurück zum Misanthropen vom Beginn unseres Gesprächs. Angenommen er hätte doch ganz gerne Freunde: Wie schafft er es, aus der Einsamkeit auszubrechen?
Ich glaube, dass er erst einmal eine Freundschaft mit sich selbst schließen muss. Um ein guter Freund zu sein, muss ich mich selbst kennen, meine Ängste und Leidenschaften. Das ist die Basis, auf der andere Freundschaften entstehen können.
Zur Person
Dr. Wolfgang Krüger arbeitet als Psychotherapeut in Berlin. Er ist Autor von mehreren Büchern zum Thema Partnerschaft und Freundschaft. Sein Buch "Wie man Freunde fürs Leben gewinnt" ist 2010 im Herder Verlag erschienen. Krüger hat nach eigenen Angaben drei sehr gute Freunde und 12 bis 15 weitläufigere Freundschaften.