Es ist vor allem der Rhythmus, der uns in die Glieder fahren und unsere Wahrnehmung verändern kann. Viele Schlagzeuger und Perkussionisten berichten von rauschähnlichen Zuständen, die sich gelegentlich beim Trommeln einstellen. Der aus Guinea stammende Trommelvirtuose Mamady Keita spricht vom "Gefühl zu fliegen", das entstehen kann, wenn der Funke zwischen ihm und den Zuhörern überspringt: "Ich habe dann keine willentliche Kontrolle mehr über das, was meine Hände machen. Es ist, als würde jemand anderes spielen, und ich sehe zu."
Das Erlebnisspektrum der durch rhythmische Klänge und Tanz hervorgerufenen Trance reicht von leicht hypnotischen Zuständen mit veränderter Körper- und Zeitwahrnehmung bis zur völligen Ekstase. Ein erfahrener Trancetänzer kann sich so tief in eine Ekstase hineinsteigern, dass der bewusstseinsverändernde Effekt auf das Gehirn durchaus mit halluzinogenen Drogen wie LSD vergleichbar ist.
Trommeln als Stimulanz
Befriedigende wissenschaftliche Erklärungen dafür gibt es bislang kaum. Fest steht: Ob und wie weit jemand auf eine Trancereise geht, hängt von seiner inneren Bereitschaft und von seinen kulturellen Erfahrungen ab.
Das, was einen nordamerikanischen Schamanen in Ekstase versetzt, sei nicht dasselbe wie bei einem Ba-Benzele-Pygmäen in Zentralafrika, sagt der französische Völkerkundler und Tranceforscher Gilbert Rouget. Der Weg in die Trance sei häufig ein kompliziertes Ritual, das in einer langwierigen Initiation gelernt werden müsste. Trommelmusik diene dabei vor allem als Auslöser und Stimulanz.
Musikpsychologen warnen davor, Trancekulte fremder Kulturen zu konsumieren, ohne die dazugehörige geistige und religiöse Weltsicht zu verstehen. Taucht jemand beispielsweise aus einer tiefen Trance nicht wieder vollständig auf, können schwer wiegende psychische Störungen die Folge sein.
Puls, Atem und gehen im Gleichgewicht
Jahrelang hat der österreichische Musiker Reinhard Flatischler nach einem Weg gesucht, der es auch dem abendländisch geprägten musikalischen Laien ermöglicht, rhythmusinduzierte Trance zu erleben, ohne dass er fürchten muss, "den Boden unter den Füßen zu verlieren". Flatischler wurde Tablaist in Indien, studierte Trommelkulte auf Kuba, spielte in Brasilien in den Surdoensembles der großen Sambaschulen und ging bei einem der wenigen noch lebenden koreanischen Schamanen in die Lehre. Die Essenz seiner Erfahrungen floss ein in ein Lehrgebäude, dem er den Namen "Ta Ke Ti Na" gegeben hat.
Die vier Silben stehen für ein System aus Übungen, bei denen es darum geht, elementare Körperrhythmen wie den Puls, den Atem oder das Gehen mit musikalischen Rhythmen in Verbindung zu bringen. Der Körper wird dabei durch Tanzen und Klatschen selbst zum Instrument.
Beine, Hände und Stimme führen unterschiedliche Rhythmen aus
Während Flatischlers Frau Cornelia mit einer Surdotrommel einen tiefen, gleichmäßigen Puls schlägt, tanzen 18 Kursteilnehmer mit Schellen an den Beinen und Rasseln in den Händen im Kreis um sie herum. Flatischler bewegt sich außerhalb des Kreises, schlägt einen etwas schnelleren Rhythmus auf einem Berimbau-Musikbogen und spricht rhythmische Silben vor: "Ga-Ma-La-Ga-Ma É" Die Teilnehmer sprechen sie ihm nach.
Anfänglich decken sich die gesprochenen Silben mit den Schrittmustern, doch allmählich verändert der Kursleiter die Betonungen und bringt neue Silben ins Spiel. Die Ersten im Kreis geraten ins Stolpern. Nun sollen sie auch noch mit den Rasseln einen Rhythmus schütteln, der gegenläufig zu den Beinbewegungen ist. Reihenweise kommen die Tänzer aus dem Takt; gestützt vom Pulsieren der Surdo finden sie aber bald wieder Anschluss. Nach mehr als drei Stunden unermüdlichen Stampfens, Murmelns und Rasselns klappt bei den meisten, was sie zu Beginn niemals für möglich gehalten hätten: Beine, Hände und Stimme führen unterschiedliche Rhythmen aus, die sich in einem Punkt immer wieder überlagern.
Wohltuender Ausstieg aus dem Alltag
"Normalerweise ist es den meisten Menschen im normalen Wachbewusstsein unmöglich, zwei völlig verschiedene Bewegungen zur gleichen Zeit auszuführen", erklärt Flatischler. "Wenn wir jedoch mit einer Seite des Körpers in den Zustand des passiven Geschehenlassens kommen, dann wird es möglich, auf der anderen Seite eine unterschiedliche rhythmische Bewegung aktiv zu kreieren. Wir sind hellwach und befinden uns zugleich in einem leichten Trancezustand."
Die Kommentare aus der Gruppe scheinen das zu belegen: Kaum einer fühlt sich erschöpft. Fast alle unterschätzen die Zeit, die sie auf den Beinen waren. "Bei jedem Rausfallen aus dem Grundrhythmus spürte ich nach dem Wiederhereinkommen eine tiefere Entspanntheit und Sicherheit", erzählt eine Teilnehmerin.
Das Erlebnis einer Trance könne ein "ungemein wohltuender Ausstieg" aus der von Zeitdruck und Verpflichtungen beherrschten Alltagserfahrung sein, sagt Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin in Hannover. Er wisse aus eigener Erfahrung: "Durch Musik hervorgerufene Trance ist im besten Sinn Psychohygiene."