"Anthropozän" Hat ein neues Erdzeitalter begonnen? Ein See in Kanada soll genau das beweisen

Crawford Lake in Kanada
Der Crawford Lake in Kanada: Was nach einem x-beliebigen See aussieht, ist Wissenschaftlern zufolge der Beweis für einen Epochenwechsel
© Peter Power / AFP
Das Holozän ist vorbei, willkommen im Anthropozän! So heißt die Epoche, in der wir leben. Zumindest behauptet das eine Gruppe aus Geologen und anderen Wissenschaftlern. Ihr Beweis: ein unscheinbarer See in Kanada. 

In welcher Epoche der Erdzeit leben wir eigentlich und können die Menschen die Erdgeschichte, die sich in Jahrmillionen abspielt, verändern? Das ist die Frage, mit der sich seit 2009 eine Forschungsgruppe aus Geologen und anderen Wissenschaftlern beschäftigt. Am Dienstag haben die Wissenschaftler, aus deren Sicht ein neues Erdzeitalter namens Anthropozän angebrochen ist, bekannt gegeben, an welchem Ort der Erde sich dies am besten nachweisen lässt: am Crawford Lake, einem kleinen, aber sehr tiefen See im Osten Kanadas.

Die Arbeitsgruppe Anthropozän war 2009 eingesetzt worden, um drei Fragen zu beantworten. Erstens: Würden Außerirdische, die in einer Million Jahren Gestein und Sediment auf der Erde untersuchen, eindeutige Spuren unserer heutigen Aktivitäten finden und zweitens: Wenn Ja, ab wann? 

Das Anthropozän begann in den 1950er-Jahren

Diese beiden Fragen hat die Arbeitsgruppe bereits beantwortet. Menschliches Einwirken auf die Natur hat die Epoche des Holozäns, das vor etwa 11.700 Jahren begonnen hat, demnach beendet. Der Planet heizt sich überdurchschnittlich auf und die lebensrettenden Entlastungssysteme wie Urwälder oder die Ökosysteme in den Weltmeeren drohen zu kollabieren.

Und die Schwelle für das Anthropozän, die Erdepoche der Menschen, die der inzwischen verstorbene niederländische Chemienobelpreisträger Paul Crutzen 2002 vorgeschlagen hatte, liegt nach Ansicht der Arbeitsgruppe in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Von dem Zeitpunkt an gab es einen drastischen Anstieg von Treibhausgas-Emissionen, Mikroplastikverschmutzung, invasiven Arten und radioaktiven Spuren von Atombombenversuchen. Zusammengenommen führte all dies zur sogenannten Großen Beschleunigung.

Crawford Lake in Kanada: ein geologisches Archiv

Exemplarisch ablesen lässt sich das nach Ansicht der Anthropozän-Arbeitsgruppe am besten am Crawford Lake im Osten Kanadas. Er wurde aus zwölf Orten ausgewählt, weil seine jährlichen Sedimentschichten besonders gut unterscheidbar sind. Damit bilde er ein stabiles geologisches Archiv, erklärte die Max-Planck-Gesellschaft in Berlin. 

Nun muss die Entscheidung aber noch von unabhängigen Forschern überprüft und von der Fachgesellschaft International Union of Geological Sciences abgesegnet werden. In der Fachwelt gibt es allerdings Zweifel, dass die Menschheit so massiv in die Umwelt eingegriffen hat, dass sie sogar ein neues Erdzeitalter einläutete.

Die Anthropozän-Arbeitsgruppe hingegen ist überzeugt, dass zum ersten Mal in der Erdgeschichte eine einzige Spezies die Erde selbst massiv verändert hat – und das sehenden Auges. Nobelpreisträger Crutzen hoffte, dass ein dramatisches Konzept wie das Anthropozän die Menschen dazu bringen könnte, sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu werden. "Es könnte einen Paradigmenwechsel im wissenschaftlichen Denken bedeuten", sagte er 2011.

Ein Jahrzehnt später stimmen ihm viele Wissenschaftler zu, die sich mit den Schnittstellen der Erdsysteme beschäftigen. Der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Johan Rockström, spricht von der Erkenntnis, dass es Wendepunkte gibt, hinter die die Menschheit nicht mehr zurück könne, sogenannte Kipppunkte, und dass nur das Holozän den Menschen erhalten könne. "Der Paradigmenwechsel ist die Bewusstwerdung, dass wir das Holozän verlassen und ins Anthropozän eintreten." 

Fachwelt ist skeptisch

Zu den Skeptikern des neuen Konzepts gehört Phil Gibbard, Generalsekretär der Internationalen Kommission für Stratigraphie. "Die Bedingungen, die zur Gletscherbildung führen, haben sich nicht geändert, deshalb könnten wir erwarten, dass das Holozän nur ein Zwischenstadium (zwischen zwei Mini-Eiszeiten) ist", sagte er im Podcast "Geology Bites" im vergangenen Jahr. Ihm zufolge könnte es noch 50 Millionen Jahre so weitergehen und das Anthropozän sei nur ein "Ereignis" in der Erdgeschichte, das eben einige tausend Jahre dauere.

Den britischen Geologen Jan Zalasiewicz, der die Arbeitsgruppe zum Anthropozän seit ihrer Gründung im Jahr 2009 bis 2020 leitete und ihr weiterhin angehört, überzeugt das nicht. Ohne formelle Anerkennung des Begriffs Anthropozän werde der Eindruck erweckt, dass die Bedingungen des Holozäns, die zur Blüte der Menschheit geführt haben, noch existierten. "Das tun sie eindeutig nicht", sagte er AFP. Und er fügt hinzu: "Wissenschaft heißt, festzustellen, was wirklich ist und was nicht. Und das Anthropozän ist real."

AFP
yks / Marlowe Hood

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