Die Nachricht von dem ersten künstlich erzeugten Erreger der Kinderlähmung hat unter amerikanischen Wissenschaftlern und Sicherheitsexperten eine heftige Debatte ausgelöst. Das in der Zeitschrift »Science« vorgestellte Polio-Virus war aus Genbausteinen (DNA) zusammengefügt worden, die die Forscher per Versand von der Firma Integrated DNA Technologies in Coralville (US-Staat Iowa) bestellt hatten. Den genetischen Bauplan der Viren hatten Eckard Wimmer und Kollegen von der Staatlichen Universität New Yorks (SUNY) in Stony Brook einer öffentlichen Datenbank.
Bestellungen aus aller Welt
Integrated DNA Technologies nimmt nach einem Bericht der »Washington Post« vom Mittwoch Bestellungen per Fax und E-Mail aus aller Welt entgegen. Das Unternehmen produziert gewünschte Folgen von DNA, so genannte Snippets, und verschickt sie an Universitäten, Institute oder andere Auftraggeber - bisher ohne Überprüfung ihrer Absichten. »Der Kunde bestimmt die (DNA-)Sequenz, die er hergestellt haben möchte, und wir haben wenig Möglichkeiten zu überprüfen, was er damit macht«, sagte Roman Terrill, zuständig für rechtliche und regulatorische Fragen bei Integrated DNA Technologies.
Virenerzeugung im Hauslabor
Tatsächlich brauchen motivierte Forscher nicht mehr als 10 000 Dollar (10 000 Euro) und ein paar Monate Zeit, um die genetischen Komponenten eines tödlichen Virus selbst zu erzeugen. »Jeder kann einen gebrauchten DNA-Syntheziser kaufen und in der Abgeschiedenheit seiner Garage mit ihm das erzeugen, was er will«, warnt Terrill.
Verkauf von »Oligos«
Sein Unternehmen ist eine von einem halben Dutzend Firmen in den USA, die kurze DNA-Folgen unter dem Handelsnamen »Oligonukleotide« oder »Oligos« anbieten. Ein Oligo besteht im Normalfall aus 25 bis 30 genetischen Bausteinen, die einen winzigen Ausschnitt aus dem Erbgut oder Genom eines Organismus darstellen. Ein Virus setzt sich im allgemeinen aus Tausenden bis Zehntausenden DNA-Bausteinen zusammen.
Bald gefährlichere Erreger?
»Bei wenig mehr Fortschritten in der Technologie könnte es bald einen komplexeren Erreger als das Polio-Virus geben«, warnt der pensionierte Air Force-Offizier und Biochemiker Jim Cornette, der an der strategischen Planung zur Abwehr von Biowaffen im Golfkrieg mitgearbeitet hatte. »Pocken brauchen vermutlich noch zwei bis drei Jahre, vielleicht auch weniger«, sagte er der Zeitung.
»Verantwortungslose Wissenschaft«
Zu den Experten, die nach der Vorstellung des Polio-Erregers Alarm schlugen, gehört auch Craig Venter, der vor zwei Jahren als erster eine Skizze vom Erbgut des Menschen vorgelegt hatte. Venter, derzeit Präsident des Zentrums für die Förderung der Genomforschung in Rockville (Maryland), nennt den Bau des Virus »verantwortungslose Wissenschaft«. Er fordert, dass Forschungsprojekte dieser Art künftig einem Beraterausschuss in Washington zur Genehmigung vorgelegt werden müssen.