Lange Nacht des Wissens Eine Nacht im Elfenbeinturm

Von Jens Lubbadeh
Blasse Menschen, die in dunklen Laboren vor sich hin murkeln. So stellt man sich ihn vor, den typischen Wissenschaftler. Am 29. Oktober öffneten Hamburgs Forscher ihre Elfenbeintürme - und die Leute kamen. Und staunten.

Wissenschaft hat das Flair des Unantastbaren, Abstrakten, Entrückten. Während in den USA Öffentlichkeitsarbeit und populärwissenschaftliches Engagement zur wissenschaftlichen Kultur dazugehören, dort Wissenschaftler auch zuweilen zu regelrechten Popstars werden, scheint der Drang zur Öffentlichkeit hierzulande bei Forschern noch etwas Anrüchiges zu besitzen. Zu tief ist der Graben über die Zeit geworden, der die (sogenannten) Experten und die (sogenannten) Laien trennt. Es mag daran liegen, dass die wissenschaftliche Arbeit nicht so leicht zugänglich ist wie ein Bild, eine Musik, ein Theaterstück oder ein Buch.

Wissenschaft ist Kulturgut

Wissenschaft ist Detailarbeit an einem großen Ganzen. Man muss sich Zeit nehmen - beide Seiten, denn die Arbeit steht nur selten selbsterklärend für sich. So müssen sich die Experten Zeit nehmen, um die Hintergründe zu erläutern, die nötig sind um Gesehenes zu erfassen. Und die Laien müssen verstehen wollen. Das ist manchmal anstrengend und braucht Geduld - auf beiden Seiten. Geduld, die Laien selten aufbringen und Zeit, die die Experten schlichtweg meist nicht haben.

Dennoch: es verwundert, dass Wissenschaft so zurückgezogen agiert in einer westlichen Gesellschaft, die ihre Errungenschaften maßgeblich selbiger zu verdanken hat und sich durch sie definiert. Wissenschaft ist ein Kulturgut, das jedermann so zugänglich sein sollte wie die Bilder Picassos in einem Museum oder die Stücke Shakespeares auf einer Theaterbühne. Vielleicht noch umso mehr, weil die Ergebnisse der Wissenschaft letztlich jedem gehören, der Steuergelder bezahlt.

Diesen Graben wenigstens für eine Nacht zuzuschütten, Türen zu öffnen, die normalerweise verschlossen bleiben - das hatte sich die Stadt Hamburg für den 29. Oktober vorgenommen, der "Langen Nacht des Wissens". Vorbild für diese Aktion ist die "Lange Nacht der Museen", die bereits seit einigen Jahren etabliert ist. Selbiges mit wissenschaftlichen Inhalten durchzuführen, haben Städte wie Berlin, Nürnberg, Jena, Tübingen und Stuttgart bereits mit Erfolg vorgemacht. Und Hamburgs erste "Lange Nacht des Wissens" war nicht minder erfolgreich. Nach Informationen der Initiatoren verzeichneten die beteiligten Institutionen 35.000 Besuche, 10.000 Tickets zu Preisen von 10 Euro wurden verkauft.

Ganz groß und ganz klein

Das Angebot war reichlich: Das Hamburger Tropeninstitut, die Hochschule für angewandte Wissenschaften, das Kernforschungszentrum Desy, das Hansekompetenzzentrum Nanotec und andere Topforschungsinstitutionen Hamburgs zeigten, was sie hatten. Ein eigens eingerichtetes Verkehrsnetz sorgte dafür, dass die staunende Menge von Ort zu Ort kutschiert wurde - zum Teil auch zu Wasser: Barkassen verkehrten von den Hamburger Landungsbrücken bis zur Technischen Universität Hamburg-Harburg. Beliebteste Schauplätze, teilweise bis zur völligen Verstopfung, waren das Teilchenforschungszentrum Desy, das Planetarium und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften, bei der sich vieles um den neuen Airbus drehte, der in Hamburg teilweise gefertigt wird.

Doch nicht nur Großes in der Luft hat die Hansestadt zu bieten, auch im ganz ganz Kleinen hat man viel vor: im Kompetenzzentrum HanseNanoTec wurde erläutert, was man für die nächsten zehn Jahre in Sachen Nanotechnologie plant (ein Nanometer = ein Milliardstel Meter). Auf der Suche nach den Speichermedien der Zukunft wäre es ein Traum, Informationen mit einzelnen Atomen zu speichern, statt wie heute mit Magnetisierungen auf Festplatten oder mit kleinsten Vertiefungen auf DVDs oder CDs.

Lotuseffekt für jedermann

Prinzipiell möglich ist es heute schon, einzelne Atome hin- und her zu schieben - doch bislang gelangen damit nur nette Gimmicks, wie zum Beispiel Firmenschriftzüge aus Atomen zu schreiben. Die Nano-Festplatte der Zukunft müsste jedoch in Sekundenbruchteilen Nullen und Einsen mit Atomen schreiben - und das wird noch dauern. Mit welchen Materialien man das mal machen könnte und vor allem, ob sich deren Oberflächen dazu eignen, um auf ihnen Atome umherzuschubsen, ist daher eines der spannendsten Forschungsfelder des HanseNanoTecs. Sollte dieser Traum des atomaren Speichers einmal Wirklichkeit werden, wären die Möglichkeiten grenzenlos. Nicht ohne Stolz erzählen die Nano-Forscher, dass dann die gesamte Weltliteratur auf einer einzigen Briefmarke Platz fände.

Auch die Chips werden kleiner und kleiner - so klein, dass man in absehbarer Zeit die Nanogrenze durchbrechen wird. Wie man dann Leitungen auf diese Chip-Winzlinge bekommen will, ist noch ein ungelöstes Problem. Werden die in der Wissenschaftswelt gerade ziemlich hippen Nanoröhrchen aus Kohlenstoff (Nanotubes genannt) einmal die Transistoren von morgen sein? Oder doch eher elektrisch leitende DNA-Moleküle, mit denen man Nanopartikel auf den Chips verbinden will?

Mach' den Mückentest

Groß einschenken will man die kleinen Teilchen aber auf jeden Fall schon im Haushalts- und Sportbereich: Lotuseffekt heißt das Zauberwort, das die schmutz- und wasserabweisende Eigenschaft der Lotusblüte für den Alltag verfügbar machen will. Aufgrund ihrer mikroskopisch rauen Oberfläche bleibt nichts an der Lotusblüte haften - ein Traum für jede Hausfrau. Geschirr, das man nur mal kurz unter den Wasser- oder auch nur Luftstrahl halten muss, damit es wieder sauber ist. Oder auch Häuslebauer könnten wieder ruhiger schlafen, denn Grafitti würden ein für allemal ihren Schrecken verlieren. Die interessierten Nacht-des-Wissens-Besucher konnten jedenfalls schon einmal einen Vorgeschmack auf die Küche der Zukunft bekommen, als sie in einem mit Nanotechnologie hochgerüsteten Geschirrspültuch Wasser herumbalancierten…

Kleine Stars hatte auch das Hamburger Tropeninstitut an diesem Abend zu bieten. Erreger von allen möglichen schrecklichen Krankheiten, vor denen wir gottlob in unseren Breiten (noch) verschont sind, waren ausgestellt - mit oder ohne Mikroskop. Star unter den Krankheiten: die Malaria. Denn ihr Erreger wird bekanntlich noch von einem anderen Quälgeist übertragen: der Anopheles-Mücke. Diese unangenehmen Geschöpfe gab es im Multipack in kleinen Käfigen aus der Nähe zu bestaunen. Man konnte sogar seine Mückenattraktivität auf den Prüfstand stellen, indem man Hand anlegte: Hielt man die nämlich an die Käfig-Trennwand aus mückenfestem Stoff, kamen die Anopheles durch den Schweiß angelockt sofort angeschwirrt - so dicht, dass sie die Handform mit ihren Leibern komplett abbildeten. In freier Wildbahn möchte man das nicht wirklich erleben.

Eine zweite Nacht des Wissens hingegen gerne.

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