Linguistik "Tacheles reden" nicht auf Jiddisch

Während in den USA und Israel das Jiddisch neu auflebt, spricht es in Deutschland fast keiner mehr. Sprachforscher der Universität Jena wollen jetzt die historische Entwicklung der jiddischen Grammatik untersuchen.

"Tacheles reden", "Schmiere stehen", "Malochen" und "Zocken" – wie selbstverständlich verwenden wir diese Redewendungen. Doch dass sie ursprünglich aus dem Jiddischen stammen, wissen die wenigsten. Aber auch in den jüdischen Gemeinden wird die Volkssprache der Juden Mittel- und Osteuropas kaum noch gesprochen. "Sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust ist Jiddisch nahezu in Vergessenheit geraten", sagt die Sprachforscherin Esther-Miriam Wagner von der Philosophischen Fakultät der Universität Jena. Sie erforscht Grammatikaspekte in der jiddischen Sprache.

Seit etwa eineinhalb Jahren läuft dazu ein Gemeinschaftsprojekt mit der Hebräischen Universität Jerusalem (Israel), das die Deutsch-Israelische Stiftung für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung (München) fördert. Im nächsten Jahr wollen die Wissenschaftler eine Arbeit über die historische Entwicklung der jiddischen Grammatik vorlegen. Die Forschungen sind schwierig. "Die Nationalsozialisten haben nicht nur Millionen Juden aus ganz Europa ermordet, sie haben auch sehr viele schriftlichen Überlieferungen wie Lehrbücher, Briefe oder andere Unterlagen in jiddischer Sprache vernichtet", erläutert Henrike Kühnert, die sich gemeinsam mit Wagner an der Jenaer Universität mit dem Thema befasst.

Tote Sprache

"Im Grunde gibt es die Sprache in Deutschland nicht mehr", schätzt der Direktor des Centrum Judaicum in Berlin, Hermann Simon. Dabei ist Deutschland Ursprungsort des Jiddischen. "Die Sprache entstand im Mittelalter als Mix aus dem Mittelhochdeutschen und dem Hebräischen", sagt Kühnert. Nach den so genannten "Pestpogromen", den ersten großen Judenverfolgungen in Westeuropa, flüchteten tausende Juden nach Osten. Im heute östlichen Teil Polens, der Ukraine, Weißrussland und Litauen mischten sich slawische Einflüsse in die jiddische Sprache. So entstand die "Schtetl-Sprache" der so genannten Ostjuden.

"Die Juden in Deutschland haben die jiddische Sprache allerdings schon im 18. Jahrhundert aufgegeben", berichten die jungen Jenaer Wissenschaftlerinnen. "Das Bildungsbürgertum war interessiert, sich anzupassen und bevorzugte Deutsch." Trotzdem habe Jiddisch die deutsche Alltagssprache um Sprichwörter und Wortwendungen bereichert.

Nur noch einige Wörter

Für ihre Forschungen suchten Wagner und Kühnert den Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Thüringen. Vereinzelt verstünden alte Menschen noch ein paar jiddische Worte, sagt deren stellvertretender Landesvorsitzender Ilja Rabinovitch aus Jena. Die meisten der etwa 600 Gemeindemitglieder wanderten aus der ehemaligen Sowjetunion ein, sie sprechen Russisch. "Meine Eltern haben darauf geachtet, dass wir ja nicht Jiddisch sprechen - aus Angst vor Diskriminierung", schildert der 54-Jährige eigene Erfahrungen. Heute müssten die Einwanderer vordringlich Deutsch lernen, um sich integrieren zu können. Daneben würden ihnen Kenntnisse des Hebräischen - der Sprache der Gebete und der Gottesdienste - vermittelt. "Jiddisch ist da leider kein Thema."

Während Jiddisch in den USA und in Israel gerade durch Einwanderer eine Renaissance erlebt, ist die Sprache in Deutschland heute eher Forschungsgegenstand. Einige Universitäten bieten Studiengänge in Judaistik oder Jiddistik an. Die Chancen auf die Wiederbelebung einer verlorenen Sprache stehen nach Ansicht von Kühnert eher schlecht. "Selbst wenn einzelne Menschen die Worte heute noch kennen - wenn man sich untereinander nicht verständigen kann, bleibt von einer Sprache nicht mehr viel."

DPA

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