"Passagiere des Fluges 748 nach Sydney, bitte begeben Sie sich zu Gate 3, ihr Flugmodul steht zum einsteigen bereit". So oder zumindest so ähnlich könnten sich die Aufrufe auf Flughäfen anhören, wenn die kühne Idee von Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg umgesetzt würde. Die heute zum Teil langen Wartezeiten am Gate bis der Flieger bereit ist zum Einsteigen und das anschließende Gedrängel im Flugzeug könnte nach den Vorstellungen der Studenten überflüssig werden. Ihre Idee ist denkbar einfach: Sie haben Passagierkabine und Flugzeug getrennt. Die Passagiere würden samt Kabine in das schon startbereite Flugzeug geschoben. Das spart Zeit. Und Zeit ist das größte Kapital im modernen Flugverkehr.
"Aertos"
Vor zwei Jahren wurde die studentische Gruppe "Aertos" mit Hilfe des DGLR gegürndet. Weitere Informationen zu den Konzepten der Studenten, Kontaktadressen und alle Mitglieder finden sich auf der Homepage von "Aertos"
http://www.aertos.de
Fliegende Hüllen
"Betrachtet ein Flugzeug als fliegende Hülle". Dies gab Airbus den dreizehn Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg mit auf den Weg. Die Jungs der Studentengruppe mit dem luftig-passenden Namen "Aertos" (Aeronautical Engineering Research Team of Students) sehen sich als studentischer "Think Tank", der neue Konzepte für die Flugzeugindustrie entwickelt. Der Startschuss für "Aertos" fiel vor rund zwei Jahren, als Danny Körber, Yandong Di, Benjamin Viebahn, Lars Lange und Ronny Wittkopp mit Hilfe der Bezirksgruppe Hamburg der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) die studentische Initiative gründeten. Der Kontakt zu Airbus war schnell hergestellt: In der Hamburger Bezirksgruppe der DGLR saßen einige Airbus-Ingenieure. Die Gruppe umfasst mittlerweile dreizehn Studenten der verschiedensten Fachrichtungen, denn die Probleme, die es zu lösen gilt, sind vielgestaltig.
Mobile Kabine noch Science-Fiction
Ein weiterer großer Vorteil des mobilen Kabinensystems: die flexiblere Nutzungsweise des Fliegers. In der umsatzschwächeren Reise-Nebensaison könnte das Flugzeug von einem Passagierflieger leicht zu einem Frachtflugzeug umgerüstet werden. Einfach das Kabinenmodul raus und ein Frachtmodul rein. Ganz neue Industriezweige könnten sich entwickeln, Firmen würden sich auf die Herstellung individuell zugeschnittener Module spezialisieren, mit denen die Fluggesellschaften ihre Flieger bestücken könnten. Doch die mobile Kabine war wohl noch zu sehr Science-Fiction. Das Projekt wurde von Airbus vorerst auf Eis gelegt. Der Konzern sah keine Möglichkeit der Realisierbarkeit in naher Zukunft. Davon ließen sich die Jungingenieure von "Aertos" aber nicht entmutigen und blieben zumindest teilweise bei ihrer Idee. Sie beschränkten sich darauf, das Kabinenmodul wenn schon nicht mobil, dann doch so flexibel wie möglich zu gestalten. In ihrem aktuellen Projekt haben die Studenten die Idee einer variabel modifizierbaren Flugkabine entwickelt, die aus einem Baukasten individuell zusammengestellt werden kann. Schnell und kostengünstig soll die Kabine aus ihren Bauteilen zusammen- und umgebaut werden können. Unter anderem kritische Punkte beim Umbau sind die Küche und die Toiletten. Idealerweise wären diese komplett ausbaubar, sodass man eine Passagierkabine möglichst schnell und einfach in einen großen durchgängigen Frachtraum verwandeln kann.
"Boeing" und "Airbus", die "Global Player"
Damit sich die "fliegende Hülle" einmal wie ein Handschuh einwandfrei um die flexibel umbaubaren Kabinen schließen kann, muss auch das Flugzeug selbst nochmal auf den Prüfstand. Die Struktur der "fliegenden Hülle" muss überdacht werden. Hier sind es in erster Linie strukturelle Probleme, die beachtet werden müssen, z.B. wie und wo welche Leitungen verlegt werden.
Ziel ist es, Flugzeuge noch effizienter als bislang zu nutzen. Ein Flieger ist nur dann wirtschaftlich, wenn er das tut, wozu er gebaut wurde: fliegen. "Jede Minute, die ein Flugzeug steht, kostet Geld", sagt Lars Lange, 27 Jahre alt und Elektrotechnik-Student im siebten Semester. Standzeiten entstehen zum Beispiel durch Beladungsverzögerungen, oder weil ein Flieger nicht voll ausgelastet und die Fracht dadurch unwirtschaftlich wird. Gäbe es eine Möglichkeit, Flieger sowohl schneller als auch flexibler zu beladen, ließe sich viel Geld einsparen. So machten sich die Jungingenieure in ihrem ersten Projekt Gedanken, wie man zum Beispiel das Boarding straffen und die Passagiere schneller ins Flugzeug bekommen könnte.
Mobile Kabinen
Ein zentraler Ansatzpunkt zur Weiterentwicklung ist die Kabine des Flugzeugs. Hierzu zerbricht sich speziell Sebastian Ahlefelder den Kopf. Der 21-jährige studiert im dritten Semester Flugzeugbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. "Nach jedem Flug müssen die Kabinen erst hergerichtet und gesäubert werden. Das kostet, neben Betankung und Wartung, die meiste Zeit. Viel besser wäre es, wenn es mehrere Kabinenmodule gäbe, die man einfach austauschen könnte", sagt Sebastian. Kernidee war, die Kabine vom Flugzeug, der "fliegenden Hülle", ganz zu trennen. Wenn es zu umständlich ist, die Passagiere zu den Kabinen zu bringen, dann bringt man die Kabinen eben zu den Passagieren. Konkret würde das so aussehen: Nachdem ein Flugzeug gelandet ist, wird das vollbesetzte Kabinenmodul mitsamt den ankommenden Passagieren ganz aus dem Flieger in die Ankunftshalle gefahren. Zeitgleich checken schon die neuen Passagiere ein und zwar schon im Flughafen, wo bereits ein neues Kabinenmodul auf sie wartet. Dann wird das alte Modul mit den ankommenden Passagieren einfach gegen das Modul mit den neuen Passagieren ausgetauscht und der Flieger könnte sofort wieder starten. Die gelandeten Passagiere verlassen ihre Kabine wiederum erst im Flughafen und das alte Kabinenmodul wird dort in Ruhe erneut hergerichtet und gesäubert.
Die Jungs von "Aertos" sind hungrig auf die Praxis. Sie wollen nicht Jahre warten, um das in der Hochschule theoretisch Erlernte endlich in die Praxis umsetzen zu können. Zwar bekommen sie kein Geld für ihre Arbeit, aber die Mühe zahlt sich für sie dennoch aus: Mit ihrer Arbeit knüpfen sie wertvolle erste Kontakte zur Industrie. "Es ist wichtig, bei den Firmen schon mal einen Fuß in der Tür zu haben, am besten schon während des Studiums", sagt Sebastian. Für Sebastian und die anderen Flugzeugbau-Studenten in der Gruppe ist das umso wichtiger, weil es für sie nicht sehr viel Auswahl gibt. "Es gibt nur zwei Global Player unter den Flugzeugbauern. Das sind 'Boeing' und 'Airbus'", sagt Sebastian. Und "Airbus" liegt mit dem Standort Hamburg sozusagen gleich um die Ecke.
Professionell organisierte Studenten
Viel Zeit investieren die Studenten in ihre konzeptionelle Arbeit, wobei natürlich auch Kosten entstehen. Doch das Raumproblem ist nach wie vor das drängendste. Weil die Hochschule ihnen keinen Raum zur Verfügung stellte, trifft sich die Gruppe immer in der Mensa. Nicht optimal, aber machbar. Trotz der sich läppernden Unkosten, möchten die Studenten aber finanziell unabhängig bleiben. Würden sie für ihre Arbeit bezahlt werden, entstünde aus der Initiative eine Verpflichtung. "Wir wollen zeitlich flexibel bleiben", sagt Lars. "Wenn doch mal Prüfungsstress dazwischen kommt, wollen wir selbst entscheiden können, wann und wie wir weiter arbeiten". Sponsoren sind jedoch herzlich willkommen. "Aertos" ist gut organisiert: Anstatt immer alle Mann zu großen Versammlungen einzuberufen, haben sich die dreizehn Studenten in drei Untergruppen mit jeweils einem Leiter aufgeteilt. Je nach Studiengang und Know-How beschäftigt sich jede Untergruppe nur mit einem Teil des Gesamtproblems.
Die Kabine soll keine Wünsche offen lassen
Dreh- und Angelpunkt bleibt die Kabine. Mehr Platz wünschen sich meist die Kunden der Economy-Class. Und gerade Langstreckenflüge können zur echten Tortur werden. Dieses Problem will die Kabinen-Untergruppe lösen, in der auch Sebastian ist. Sie überlegen sich, wie die Passagierkabinen der Zukunft einmal aussehen könnten. Doch nicht nur der Komfort beispielsweise durch den Einbau von Duschen und Schlafgelegenheiten soll verbessert werden. Für Sebastian sollte die perfekte Kabine nahezu alle Möglichkeiten bieten, die man am Arbeitsplatz oder auch zu Hause hat. "Der Passagier sollte nicht das Gefühl haben, dass die Flugzeit verlorene Zeit ist". Also: breites Multimedia-Angebot mit individuell erfüllbaren Wünschen statt vorgesetztem Video- und Radioprogramm. Außerdem sollten alle Kommunikationsmöglichkeiten wie Internet und Mobilfunk vorhanden sein.
Was sich die Kabinen-Untergruppe an multimedialen Rafinessen überlegt, versuchen Lars und die Untergruppe "Systeme" in die Realität zu verwandeln. "Wenn Sebastian DVD-Player oder Klimaanlagen in den Kabinen haben will, überlege ich mir die Elektrotechnik dahinter", sagt er. Alle mechanischen und konzeptionellen Fragestellungen fallen ins Ressort der Untergruppe "Struktur". Wie sollen die Kabinen überhaupt raus und rein in den Flieger? Aus welchem Material werden die Wände gestaltet? Welche Leitungen werden in ihnen verlegt? Wie soll der Boden beschaffen sein? Massiv oder kann er Lücken haben? Denn letzten Endes geht es immer ums Gewicht, das es in der Fliegerei natürlich so weit wie möglich einzusparen gilt.
Ideen von heute = Patente von morgen?
Jede Untergruppe trifft sich einmal wöchentlich und konzentriert sich auf ihren Teilaspekt des großen Gesamtproblems. Einmal im Monat ist dann eine große Runde angesagt und die erarbeiteten Ideen werden vorgestellt. Damit das auch weiterhin effizient und sachlich abläuft, haben sich die Studenten auf eines geeinigt: "Keine Killerphrasen". Diskussionen werden sachlich geführt und Ideen nicht einfach abgewatscht. Das Projekt könnte der langfristige Einstieg in die Entwicklung sein. Es wäre ein leichtes, die einzelnen Teilaspekte im Zuge einer Diplomarbeit in der Flugzeugindustrie weiter zu entwickeln. Und wer weiß? Vielleicht sind die Studenten-Ideen von heute die Entwicklungsprojekte von morgen? Einen Rat beherzigt Sebastian auf jeden Fall schon jetzt: "Schreib' auf jedes Blatt das Datum und deinen Namen". Denn falls einmal aus einer Idee mehr werden sollte, will er klarstellen, dass sie von ihm war.