Wo ist der rote Faden, der die verheerenden Bombenanschläge, die Indien in den vergangenen Jahren erlebte, miteinander verknüpft? Seit Samstagabend eine Serie von sage und schreibe sechzehn wohlkoordinierten Bombenanschlägen innerhalb von siebzig Minuten Ahmedabad, die Hauptstadt des indischen Bundesstaats Gujarat heimsuchte und über dreißig Todesopfer forderte - am Tag zuvor hatte es in der 1500 km entfernten IT-Hauptstadt Bangalore sieben Explosionen mit glücklicherweise nur einer Toten gegeben - stochern die Ermittler noch mehr im Nebel als zuvor.
Es gibt Gemeinsamkeiten. Der verwendete Sprengstoff war in fast allen Fällen hausgemacht aus Substanzen, die frei im Handel erhältlich sind: Düngemittel, Gelatine, Nagellackentferner. Zur Explosion gebracht mit Zeitzündern billigster Quarzuhr-Herkunft. In Ahmedabad wie in Jaipur waren sie auf den Gepäckträgern abgestellten Fahrrädern befestigt, verborgen meist in den Blechbüchsen, in denen Indiens arbeitende Bevölkerung ihren von Muttern zubereiteten Lunch transportiert.
Weitere Anschläge angedroht
Und es scheint, dass hinter den Terrorakten eine islamische Terrorgruppe namens "Indian Mudschahedin" steckt, zumindest hat sich in Ahmedabad wie zuvor schon in Jaipur in einer Email an mehrere Medien wenige Minuten vor der ersten Explosion eine schemenhafte Organisation dieses Namens bekannt. Sie sprach vom auf den "Heiligen Krieg" gegen die Ungläubigen, forderte die Freilassung inhaftierter islamischer Fundamentalisten und drohte weitere Anschläge für den Fall der Nichterfüllung dieser Forderungen an.
Als Grund ihre blutigen Feldzugs nannte sie unter anderem Vergeltung für die Massaker in Gujarat im Jahr 2002, als es bei schweren Zusammenstößen zwischen Hindus und Muslimen über 1000 Tote gab, die große Mehrheit davon Muslime. Bis heute verteidigt Narendra Modi von der nationalistischen Hindu-Partei BJP, 2002 wie heute Ministerpräsident des Bundesstaats, die damalige Hatz auf islamische Mitbürger als verständlichen Ausbruch des Volkszorns.
Analysten der ersten Stunde weisen jetzt darauf hin, dass auch in den Bundesstaaten, in denen Jaipur und Bangalore liegen, die BJP am Ruder ist, die "Indischen Mudschahedin" ihre Attentate also anscheinend auf deren Herrschaftsgebiete konzentrieren. Doch es hat in den vergangenen Jahre auch viele Anschläge in Regionen gegeben, wo die Hindu-Nationalisten nicht an der Macht waren - der fundamentalistische Bombenterror scheint eher gegen die hinduistische Mehrheit Indiens allgemein zu zielen, die nach Ansicht der Extremisten ihre islamischen Mitbürger unerträglich benachteiligt und unterdrückt.
Darin steckt ein Körnchen Wahrheit. Muslime werden in Indien von vielen Hindus misstrauisch und oft abschätzig gesehen. Doch unerträglich ist ihre Lage nicht. Die politischen Führer der indischen Muslime verurteilen daher auch kategorisch die blutigen Attentate der Fundamentalisten, über deren Hintergrund die notorisch unterbesetzten Sicherheitskräfte wenig wissen. "Diese Zellen scheinen lokal begrenzt und auf Hilfe von außen kaum angewiesen, daher ist es fast unmöglich sie zu orten und zu stoppen", sagt resigniert ein Terrorfahnder.
Alte Muster brechen auf
Das alte Muster, den Terror im Lande mit dem Kaschmir-Konflikt und der traumatischen Teilung der ehemaligen britischen Kolonie in das heutige - mehrheitlich hinduistische - Indien und das überwiegend islamische Pakistan in Zusammenhang zu bringen, scheint nicht zu greifen. Die Indischen Mudschahedins haben sich in ihrer jüngsten Email ausdrücklich als Einheimische bezeichnet und sogar die von Pakistan gesponserte Fundamentalisten-Gruppe Lashka-e-Taiba gewarnt, fälschlich die Urheberschaft des Bombenanschlags für sich zu beanspruchen. Besonders misstrauische Kräfte in den indischen Sicherheitsdiensten sehen darin allerdings einen raffiniertes Täuschungsmanöver des pakistanischen Geheimdienstes zu verschleiern, doch die Hand im Spiel zu haben.
Nun fragt man sich beklommen in Indien, wo der hausgemachte Terror als nächstes zuschlagen wird. Wieder in einem Staat mit BJP-Regierung? Oder dort, von wo die Email für Ahmedabad verschickt wurde? Sie kam aus Mumbais Satellitenstadt Navi Mumbai. Sie enthielt Vorwürfe über die angeblich Belästigung islamischer Frauen und Studenten in den stets überfüllten Vorortzügen und warnte die politische Führung: "Habt ihr den Abend des 11.Juki 2006 so schnell und leicht vergessen?" Am 11. Juli 2006 hatten sieben Sprengkörper in einem Pendlerzug über 200 Menschen getötet.