Tapfer sang der 17jährige Guy Môquet noch einmal die Marseillaise und lehnte die Augenbinde ab. Er sah, wie 25 seiner Kameraden vor ihm erschossen wurden, dann stand er selbst am Richtpfahl. "Es lebe Frankreich", rief er in einer Sandgrube nahe der bretonischen Stadt Châteaubriant und blickte unerschrocken in die Gewehrläufe der deutschen Besatzer.
Guy Môquet ist fast in Vergessenheit geraten; kaum jemand erinnerte sich in den letzen Jahren noch an den Jungen aus Paris, der am 22. Oktober 1941 von Nazi-Schergen hingerichtet wurde. Doch das dürfte sich nun gründlich ändern. Heute wird Môquet an seinem 66. Todestag mit einer medialen Großoperation geehrt. Landesweit wird sein Abschiedsbrief verlesen. In 2500 Kinosälen und auf mehreren TV-Kanälen läuft zu seinem Gedenken ein Kurzfilm, von dem 30.000 DVD-Kopien in den Schulen verteilt werden. Aktionen auch auf Bahnsteigen und in der Metro; die Post bringt Guy Môquet-Marken heraus - Auflage: fünf Millionen.
Ehrung schon bei Amtseinführung
Und wie immer, wenn im Frankreich dieser Tage etwas Wichtiges geschieht, steckt ein einziger Mann dahinter: der neue Staatschef Nicholas Sarkozy höchstpersönlich. Die Ehrung des jungen kommunistischen Widerstandskämpfers war dem rechten Hardliner-Präsidenten so wichtig, dass er dessen Adieu während einer Zeremonie bereits bei seiner Amteinführung im Mai vortragen ließ: "Meine liebe Mama, mein kleiner geliebter Bruder, mein lieber Papa! Ich werde sterben! Ich will von Euch nur, und ganz besonders von Dir, liebe Mama, dass Ihr tapfer seid. Ja, ich hätte gern noch gelebt, aber ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass mein Tod zu etwas gut ist..."
Hunderte von Résistance-Mitgliedern schrieben vor ihrer Hinrichtung ähnliche Abschiedsbriefe; sie sind in Frankreich seit langem publiziert. Warum Sarkozy ausgerechnet an dem 17-Jährigen Gefallen fand, liegt auf der Hand: Fotos zeigen Moquet als gut aussehenden Jungen mit positiver Ausstrahlung, und an keiner Stelle ist in seinem Brief vom Kommunismus, vom Kampf gegen Nazi-Deutschland und dem mit ihm verbündeten französischen Vichy-Regime die Rede. Seine anrührenden Zeilen wecken vielmehr ausschließlich patriotische Emotionen und Opferbereitschaft fürs Vaterland - genau das, was Frankreichs neuer Rambo-Präsident gut brauchen kann in seinem von Streiks, Wirtschaftskrise und Vorstadt-Unruhen bedrohten Land.
Kein Wort der Mitschuld am Tod von Môquet
Nie, behauptete Sarkozy bereits mehrfach, habe Frankreich in seiner Geschichte Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Kein Wort davon, dass ein Franzose, der Vichy-Innenminister Pierre Pucheu, mitschuldig am Tod des jungen Môquet war, weil er ihn den Nazi-Schergen zur Exekution übergab. Sein Land habe "die Endlösung nicht erfunden", tönte dagegen Sarkozy bereits im Wahlkampf: "Ich träume von einem Frankreich, wo wir nicht mehr von unseren Söhnen verlangen, für die vermeintlichen Fehlern ihrer Väter zu büßen."
Gegen diesen Hurra-Patriotismus laufen prominente Kritiker Sturm. "Der ewige Frankreich-Stolz des neuen Präsidenten" gehe ihm auf die Nerven, sagt der Pariser Star-Intellektuelle Bernard-Henri Lévy. Der Historiker Gilles Manceron wirft dem Staatschef gar einen "unterschwellig fremdenfeindlichen Nationalismus" vor. Und viele Lehrer quer durch die Republik weigern sich, Moquets Brief in den Schulklassen vorzulesen. Doch Sarkozy blieb unbeeindruckt. Flog im September forsch nach Châteaubriant, blieb knappe 10 Minuten an der Gedenkstätte, sagte nichts, war einfach nur da, und als sein Helikopter wieder aufstieg, stöhnte ein Lokalpolitiker nur: "Ach, diese Sarkomania".
Abschiedsbrief der Rugby-Mannschaft vorgelesen
Erstaunlich, wie "Sarko" mit seinem rastlosen Aktionismus ein ganzes Land in Atem halten kann. Geradezu grotesk, welche Formen der von ganz oben entfachte Kult um Guy Môquet inzwischen angenommen hat. Dessen ergreifender Abschiedsbrief wurde neulich gar Frankreichs Rugby-Nationalmannschaft vorgelesen, um deren patriotische Kampfeskraft vor der WM-Begegnung gegen Argentinien zu stärken. Die Idee kam von Trainer Bernard Laporte, einem Sarkozy- Intimus.
Gegen Argentinien gingen die "Blauen" danach zweimal unter, zuletzt am Wochenende im Match um Platz 3. Ein Trauerspiel für Rugby-Fan Sarkozy, der dazu schwer unter der endgültigen Scheidung von seiner Frau Cécila am vorigen Donnerstag leidet.
Auch diese Woche begann für "Solo-Sarko" mit einer Niederlage - am heutigen Montag wollte er sich eigentlich ins Carnot-Gymnasium im 17. Bezirk von Paris begeben, wo Guy Môquet einst die Schulbank drückte, um dort an einer feierlichen Lesung von dessen Abschiedsbrief teilzunehmen. Doch viele Carnot-Lehrer kündigten Proteste gegen "Sarkozys Instrumentalisierung der Geschichte" an - um Auseinandersetzungen vorzubeugen, wurde der hohe Besuch im Carnot-Gymnasium kurzfristig abgesagt. Begründung aus dem Elysée-Palast: "Der Präsident hat zu viele Termine."