"Meldungen schreiben ist ein Hobby von mir", sagt Wachtmeister Zhang. An der Computertastatur ist er Dirigent eines Zehn-Finger-Orchesters, seinem Mund aber fallen Formulierungen bedeutend schwerer. Auf der Insel Hengsha vor Shanghai redet man nicht so viel. Fischer sind wortkarge Leute.
Dabei gäbe es eine Menge zu erzählen. "Auf Hengsha passieren so viele Dinge wie an jedem anderen Ort der Welt", sagt Wachtmeister Zhang. Gestern erst wollte ein Restaurantgast seine Rechnung nicht bezahlen und schlug die Tür kaputt. Über besoffene Fischer und Fahrraddiebe könnte Zhang Bücher schreiben.
Seine schönste Meldung, das gibt er zu, war "Mann beißt Hund tot". Auch in China wird mit dem Satz "Mann beißt Hund" jungen Journalisten erklärt, was eine interessante Nachricht ausmacht. Zhang lacht, seine Meldung ist ja noch viel besser, soviel versteht er vom Journalismus. Dass seine Wachstation die Nachricht gleich zwei Mal an die Shanghaier Presse gab, im Abstand von einem halben Jahr und beim zweiten Mal mit ganz anderen Namen, dafür konnte er nichts. "Das war ein Kollege, der den Fall nicht kannte."
Aber ihm, Wachtmeister Zhang, hat an jenem 20. Oktober der Hundebeißer genau ins Protokoll diktiert, was in der Nacht zuvor geschehen war: "Ein Fischer, der als Li identifiziert wurde, befand sich nach einem Treffen mit Freunden auf dem Heimweg und machte am Kutter eines anderen Fischers Halt, um mit dessen Hund zu spielen. Der Hund namens Tian Tian kannte Li und hatte ihn sonst immer mit wedelndem Schwanz begrüßt. Diesmal aber roch Li so intensiv nach Wein, dass ihn der Hund für einen Fremden hielt und in die Finger biss. Li schüttelte Tian Tian ab, nur um kurz darauf das Hundegebiss in seiner Wange zu spüren. Blutüberströmt und zornentflammt stürzte sich Li auf Tian Tian und biss ihn tot."
Trotz der Sprachgewalt
der Meldung bewahrt Wachtmeister Zhang einen sachlich-spröden Ton, wenn er sie nacherzählt. Schließlich geht es um einen Kriminalfall, allerdings - und hier muss Wachtmeister Zhang doch wieder lachen - von kurioser Art. Entsprechend schwierig war die Schlichtung zwischen den Ansprüchen des Hundebesitzers Zhou auf Schadensersatz und des Beißers Li auf Schmerzensgeld. Wachtmeister Zhang schlug den streitenden Parteien vor, die Kosten für zwei Spritzen zu teilen, die Li in der Erste-Hilfe-Station von Hengsha Island zum Schutz vor Tetanus erbeten hatte.
Doch zu dem Vergleich kam es nie. Lis Zeit als illegaler Wanderarbeiter in Shanghai war abgelaufen. Wie die meisten seiner über drei Millionen Leidensgenossen entschwand er wieder in die Provinz, aus der er gekommen war, ohne Spuren oder Heimatanschrift zu hinterlassen.
"Es hat ihn gegeben", beteuert auch Hundebesitzer Zhou, "allerdings kann niemand mit Gewissheit sagen, ob's nun die Zähne waren oder die Faust." Nicht einmal Zhous Mutter, die zur Tatzeit in der Koje des Kutters schlief und Schreie, Jaulen und Knurren vernahm, bevor ein Gegenstand von der Größe eines Schoßhundes im Jiangtse aufklatschte.
"Er war so brav
wie ein Sohn zu seinem Vater", erinnert sich Zhou und streichelt Tian Tians einzigen Nachkomme zu seinen Füßen, der Erbe einer Hundedynastie, die Zhou über zehn Jahre gezüchtet hat. "Meine Frau kochte jeden Tag eine Extraportion Reis mit Rind." Tian Tian verschmähte Phönix-Schwanz, Flussaale und Wollhaarkrabben, die in den Restaurants von Shanghai als Delikatessen verehrt werden. Vor Hengsha Island paaren sich Jiangtse und Pazifik und treiben den Fischern ein reiches Sortiment an Süß- und Salzwasserfischen in die Netze. Die Shanghaier vergelten den Fischern ihre mühsam gefangenen Köstlichkeiten mit Verachtung. Mädchen auf Hengsha-Island träumen vom Prinzen aus der Stadt, der sie in eine aufregende Zukunft auf dem Festland entführt.
"Wir können mit nichts prahlen," sagt Hundepapa Zhou, "außer mit Fischen und guter Luft." Die "Insel der Langlebigkeit" nennt man in Shanghai Hengsha Island. Das gilt selbst für Hunde - vorausgesetzt, sie sind geimpft. Einmal im Jahr durchstreift die Polizei die Insel und erschießt alle Tiere ohne Impfschutz. Den Besitzern geht ihr Liebster nicht verloren. Langes Kochen tötet die Keime, Sojasauce und viel Chili besorgen den Rest. "Jiang Gou Rou" heißt das Gericht.
Auch Zhou
hat es schon genossen, "allerdings nur bei Freunden". Tian Tian wäre als Hundegericht ungeeignet gewesen. "Zu wenig Muskeln", sagt Zhou. Hunger fällt als Mordmotiv also flach. Warum bloß, fragt sich Zhou heute noch, musste Tian Tian sterben? Die Behauptung, der Hund habe Li angefallen, überzeugt ihn nicht. "Tian Tian hatte nie zuvor gebissen, nur gebellt."
Auch am Fumin Kai, wo rostige Fischkutter eng vertaut nebeneinander ankern und sich die Männer nach tagelangen Ausfahrten zum Besäufnis treffen, wollen die Zweifel an der offiziellen Version von Wachtmeister Zhang nicht verstummen. "Li hat nicht gebissen," sagt ein Fischer, "der war viel zu besoffen." Die Hundeleiche nahm der Jiangtse mit sich, selbst Zhang war die Beweisaufnahme verwehrt. Mehr Informationen, als in seiner Meldung stehen, könne er nicht geben. Aber warum eigentlich so viele Fragen nach dem Hundebeißer? "Haben Sie schon eine Rundfahrt auf unserer wunderschönen Insel gemacht?"