Der Gazakrieg hat die Frage, ob es künftig einen eigenständigen Palästinenserstaat geben soll, weiter angeheizt. Zuletzt haben Staaten wie Frankreich, Großbritannien oder Portugal angekündigt, Palästina anzuerkennen. Ziel ist es, Druck auf Israel auszuüben, den grausamen Krieg im Gazastreifen zu beenden und die Zweistaatenlösung mit Blick auf eine Friedenslösung am Leben zu halten.
Dafür wollen Frankreich und Saudi-Arabien am Montag bei einem Gipfeltreffen werben. Es wird erwartet, dass weitere Länder bei dem Treffen in New York einen palästinensischen Staat formell anerkennen. Dieser Schritt dürfte scharfe Reaktionen aus Israel und den USA nach sich ziehen. Beide Länder boykottieren das Treffen. Deutschland nimmt an der Konferenz teil, die Bundesregierung will einen palästinensischen Staat vorerst aber nicht unterstützen. Am Dienstag beginnt bei den Vereinten Nationen zudem die Generaldebatte der Vollversammlung. Deutschland wird in New York von Bundesaußenminister Johann Wadephul vertreten.
Wie sind wir an diesen Punkt gekommen?
Nach dem Ersten Weltkrieg stand Palästina unter britischer Verwaltung. London versprach sowohl Juden eine "nationale Heimstätte" als auch Arabern Unterstützung, was zu wachsenden Spannungen führte. Nach dem Holocaust und der Ermordung von rund sechs Millionen Juden durch Nazideutschland beschlossen die UN 1947 die Teilung: ein Staat Israel für Juden, ein Staat Palästina für Araber. Während die Araber ablehnten, riefen die Juden 1948 Israel aus. Der folgende Krieg gegen mehrere Nachbarstaaten endete mit Israels Sieg und der Flucht von mehr als 700.000 Palästinensern ("Nakba"). Weitere Hunderttausende flohen 1967 im Sechstagekrieg ("Naksa").
Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) rief 1988 einen unabhängigen palästinensischen Staat aus. Diesen erkannten die meisten Staaten des globalen Südens schnell an. In den 1990er-Jahren brachte der Friedensprozess zunächst Hoffnung, doch zentrale Fragen wie Grenzen, der Status Jerusalems, Flüchtlinge und Siedlungen blieben ungelöst. Gewaltakte von Extremisten sowie die Spaltung der größten Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah schwächten die Chancen auf einen eigenen palästinensischen Staat zusätzlich.
Was soll bei der Konferenz in New York passieren?
Nach dem Willen der Veranstalter soll das hochrangige Treffen zur Zweistaatenlösung heute den Ton für die am Folgetag startende Generaldebatte der UN-Vollversammlung bilden. Die Botschaft: Die Weltgemeinschaft verlangt ein Ende des Gaza-Kriegs und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch – unverzüglich. Den Anfang machten am Wochenende bereits Großbritannien, Kanada und Australien, die Palästina als erste große westliche Wirtschaftsnationen anerkannten.
Der britische Ministerpräsident Keir Starmer und sein kanadischer Amtskollege Mark Carney werden ebenfalls auf der Konferenz sprechen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dürfte heute nachziehen und den zunächst vor allem symbolischen Schritt der Anerkennung Palästinas ebenfalls vollziehen – auch Belgien, Neuseeland und weitere kleinere Staaten haben eine Anerkennung angekündigt oder angedeutet.
Was soll das bringen?
Obwohl bereits etwa 150 der 193 UN-Mitgliedstaaten Palästina anerkannt haben, wiegt die Entscheidung mehrerer zentraler Weltmächte, die traditionell zu Israels engsten Partnern zählen, besonders schwer. Noch entscheidender ist, dass diese Anerkennung die bedrohte Zweistaatenlösung stützen soll – sie ist gefährdet durch Israels Siedlungsausbau im Westjordanland, Annexionspläne und die Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah.
Für die Palästinenser bedeutet der Schritt zusätzliche Legitimität im Streben nach einem eigenen Staat; er könnte den Weg zur vollen UN-Mitgliedschaft ebnen. Die Zweistaatenlösung sieht das gleichberechtigte Nebeneinander eines israelischen und eines palästinensischen Staates vor. Der palästinensische Botschafter in Großbritannien, Hussam Somlot, sagt, dass eine Anerkennung zu strategischen Partnerschaften führen könnte: "Wir werden auf Augenhöhe stehen."
Skeptiker verweisen auf China, Indien, Russland und viele arabische Staaten. Sie haben Palästina zwar vor Jahrzehnten anerkannt, nehmen auf den Nahostkonflikt aber wenig Einfluss. Denn ohne einen vollen UN-Sitz oder die Kontrolle über die eigenen Grenzen kann die PA nur eingeschränkt bilaterale Beziehungen führen.
Wie groß ist das Risiko einer Anerkennung?
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gibt sich im Gaza-Krieg unbeirrt und könnte die Situation dafür nutzen, den Konflikt weiter zu eskalieren. Beobachter halten es sogar für möglich, dass er die staatliche Anerkennung Palästinas damit kontern könnte, die Annexion von Palästinensergebieten zu verkünden, um eine Zweistaatenlösung damit faktisch zu begraben. Netanjahu wird die Vollversammlung am Freitag adressieren.
Frankreich, Großbritannien und Kanada riskieren mit ihrer Entscheidung zudem auch die Unzufriedenheit von Israels engstem Partner USA. Präsident Donald Trump – berüchtigt für sein unberechenbares Verhalten – könnte die Entwicklung als Affront betrachten.
Warum lehnt Israel die Anerkennung Palästinas ab?
Die israelische Regierung sieht die Zweistaatenlösung als existenzielle Gefahr und wirft der Palästinensischen Autonomiebehörde vor, Terror zu fördern; eine Anerkennung Palästinas jetzt gelte zudem als "Belohnung für die Hamas", die Israels Zerstörung anstrebt und für das beispiellose Massaker vom 7. Oktober 2023 verantwortlich ist. Zuletzt hatten sich allerdings 142 Staaten unter französischer und saudischer Führung für eine Entmachtung der Hamas ausgesprochen.
Unterdessen baut die rechtsreligiöse Regierung Netanjahus die Siedlungen im 1967 eroberten Westjordanland und in Ost-Jerusalem weiter aus, wo inzwischen über 700.000 Siedler neben rund drei Millionen Palästinensern leben – übrig bleibt aus Sicht vieler nur ein "Flickenteppich" für einen möglichen Staat.
Wie verhält sich Deutschland?
Für die deutsche Bundesregierung um Kanzler Friedrich Merz (CDU) ist es ein Drahtseilakt, die Krise in Nahost zwischen Solidarität mit Israel und Druck der europäischen Verbündeten sowie der Stimmung der deutschen Bevölkerung zu navigieren. Zuletzt hatte die Bundesregierung das israelische Vorgehen im Nahostkonflikt kritisiert und den Export von Waffen an Israel eingeschränkt.
Doch eine Anerkennung des Staates Palästina lehnt Deutschland gegenwärtig trotz allem ab. Dies komme erst am Ende eines Friedensprozesses infrage, betont Berlin immer wieder. Deutschlands Außenminister Johann Wadephul wird deshalb zwar als Unterstützer einer Zweistaatenlösung an der Konferenz teilnehmen, dort aber keine neue Position der Regierung verkünden. Zuletzt war noch nicht einmal klar, ob Deutschland in der dreistündigen Veranstaltung überhaupt reden darf – den Außenminister dürfte das angesichts des schwierigen Themas vielleicht nicht einmal besonders stören. Israel und die USA boykottieren die Veranstaltung. Auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas wird physisch nicht anwesend sein – weil die Trump-Regierung ihm ein Visum verweigerte, muss er per Videostream sprechen.