Vor der Bäckerei im Stadtviertel Karade im Zentrum von Bagdad bildete sich am Donnerstagmorgen eine lange Schlange. Es gab wieder Brot. Die Nachfrage war einen Tag nach dem Zusammenbruch des Saddam-Regimes groß. Aber die wartenden Männer und Frauen konnten sich nicht richtig freuen.
Überall wird geplündert
"Was für eine Befreiung? Was für eine Freiheit?", ereifert sich der Musiker Fais Chalil. "Überall wird geplündert", stellt der 35-Jährige fest. Die Amerikaner sollten das abstellen und zumindest eine nächtliche Ausgangssperre verhängen. Auch den Sinn des von außen erzwungenen Regimewandels sieht er nicht ein. "Wir haben hier ganz normal gelebt", sagte er. Die Kritik an der diktatorischen Machtausübung von Saddam Hussein lässt er nicht gelten. Das sei "Propaganda der oppositionellen Exil-Iraker". Der 63-jährige Rentner Chalid Abduldschabar bringt es für sich so auf den Punkt: "Unser Land ist von den Amerikanern besetzt. Sie wollen unser Öl und unseren Reichtum."
Die zum Teil brutale Vorgangsweise der Amerikaner verstärkt die Abneigung gegen sie. Der Gelegenheitsarbeiter Hajdar Abbas (37) sah "mit eigenen Augen", wie US-Soldaten am Dienstagabend an einem Kontrollpunkt im Osten von Bagdad wie wild auf zivile Fahrzeuge schossen. "15 Menschen starben, darunter vier Kinder, ich kann es bezeugen", sagt Abbas. Die Zahl ist nicht überprüfbar. Aber der Zwischenfall ist belegt. Westliche Journalisten sahen noch am Tag danach mehrere Leichen an der betreffenden Stelle liegen. Am selben Tag waren auch drei Journalisten durch ungerechtfertigten amerikanischen Beschuss ums Leben gekommen.
Hauptsorge gilt der öffentlichen Sicherheit
Die Geschäfte sind in Bagdad noch geschlossen. Außer der Bäckerei arbeiten in Karade gerade noch einmal ein paar Gemüsestände. Der Händler Hajdar Abdulhussein (30) sagt auf die Frage, ob er sich nun als befreit oder besetzt fühlt: "Als irgendetwas dazwischen." Auch seine Hauptsorge gilt der öffentlichen Sicherheit. "Der Stand hier ist alles, was ich habe", deutet er um sich. Viel ist es nicht: Kartoffeln, Gurken, ein Regal mit Konserven, eine Tiefkühltruhe. Zum Sturz von Saddam hat er sich noch keine rechte Meinung gebildet: "Die Zeit wird es erweisen." Wenn unter den Amerikanern eine Normalität zurückkehrt, dann sei ihm auch das recht.
Als am Mittwoch die Saddam-Statue vor dem "Palestine"-Hotel gestürzt wurde, zeigten Fernsehbilder eine Menge von jubelnden Menschen. Man mochte sich an den Fall der Berliner Mauer 1989 oder an den Sturz der Ceausescu-Diktatur im selben Jahr in Rumänien erinnert fühlen. Doch Bilder täuschen manchmal. Zum einen war die Menge nicht so groß. Und zum anderen war es nicht unbedingt ein repräsentativer Querschnitt der Bagdader Bevölkerung. "Da jubeln und applaudieren Leute", meinte ein abgeklärter Iraker, "die gestern noch bei jeder Gelegenheit Saddam-Losungen geschrien haben."
Anlass für urbanes Freibeutertum
Andere verstehen wiederum die "Befreiung" als Anlass für urbanes Freibeutertum. Wohlorganisierte Gruppen, viele von ihnen aus dem schiitischen Armen-Viertel Saddam City im Osten von Bagdad, strömen mit Kleinlastern und Taxis durch die Stadt. Wo sie ein leer stehendes Gebäude erblicken, werden sie aktiv. Da wird dann alles, was nicht niet- und nagelfest ist, herausgeschleppt und weggefahren.
Sogar die deutsche Botschaft wurde am Donnerstag zum Ziel der Plünderer. Das Volk von Saddam City brach in das seit dem Regimekollaps unbewachte Gebäude ein und trug davon, was es in die Hände bekam. Möbel, Computer, Tiefkühltruhen und sogar simple Bettmatratzen verschwanden auf Lastwagen. Der 60-jährige Ali stand mit grinsendem Gesicht daneben und zuckte mit den Achseln: "Das ist ein Ergebnis der Ungerechtigkeit. Wir sind alles arme Leute." Sein Traum ging allerdings auch an diesem Tag nicht in Erfüllung. Er hatte den botschaftseigenen Mercedes-Geländewagen für sich ausgesucht. Doch ein anderer, durchsetzungsfähigerer Bruder in der Armut war ihm zuvorgekommen.