Der Zeitpunkt hätte kaum besser sein können. Nur wenige Tage vor seiner Abreise zum G-8-Gipfel in Genua erhielt US-Präsident George W. Bush eine der für ihn bisher besten Nachrichten seiner Amtszeit: Nach zwei Misserfolgen in Serie unter seinem Vorgänger Bill Clinton gelang beim vierten Raketenabwehr-Test der ersehnte Volltreffer. Bush, der sonst gern frühzeitig schlafen geht, hatte im Weißen Haus hellwach auf das Ergebnis des Probelaufs über dem Pazifik gewartet. »Ihm muss ein Felsbrocken vom Herzen gefallen sein«, kommentierte ein Fernsehmoderator. »Man hat es fast bis hier hin hören können.«
Test nur »Zwischenstopp auf einer Reise«
Nach außen gab sich die US-Regierung zumindest in den ersten Stunden des Triumphs bescheiden. General Ronald Kadish als Raketenabwehr-Programmchef blieb auf einer nächtlichen Pressekonferenz im Pentagon der vor dem Test für den Fall einer Pleite verfolgten Strategie treu, die Bedeutung dieses einzelnen Probelaufs herunterzuspielen. Der Test sei nur ein »Zwischenstopp auf einer Reise«, sagte Kadish verhalten. Aber auch ihm war die Erleichterung anzumerken - ein krasser Gegensatz zum Juli vergangenen Jahres, als die zweite Test-Schlappe verkündet werden musste.
Faktisch, darin waren sich Verteidigungsexperten einig, hat Kadish durchaus recht. Vor der Verwirklichung des ehrgeizigen Bush-Ziels eines komplexen Abwehrsystems mit land-, see- und luftgestützten Elementen steht noch eine lange Reihe von Tests bevor, so dass ein einzelner nur begrenzt ins Gewicht fällt. Auch hatte die US-Regierung schon vor dem Unternehmen vom Sonntag klar gemacht, dass ein Fehlschlag nichts an ihrer Entschlossenheit ändern würde, das Programm zu forcieren. Daher ging es bei diesem Test nicht um Sein oder Nichtsein der Abwehrpläne.
Aber trotzdem ging es um viel. Ein Misserfolg hätte Bushs Werbekampagne für das Programm erheblich erschweren können, meint zum Beispiel Tom Collins von der Vereinigung Besorgter Wissenschaftler (Union of Concerned Scientists). Kritiker im In- und Ausland, die die Machbarkeit des Systems anzweifelten, hätten nun zweifellos in der öffentlichen Debatte etwas an Boden verloren.
Demokraten sind wenig begeistert
Damit hat Bush auch bessere Karten im bevorstehenden Tauziehen mit dem Kongress um die 8,3 Milliarden Dollar, die er im Etat 2002 für seine Abwehrpläne haben möchte. Die Ankündigung der Regierung vor wenigen Tagen, das Programm voranzutreiben und im nächsten Jahr mit dem Bau einer Testanlage in Alaska zu beginnen, hat bei vielen Demokraten in den USA einen Sturm der Empörung ausgelöst. Ohnehin schlägt Bush seit dem Machtverlust der Republikaner im Senat ein schärferer Wind entgegen. Der Test-Erfolg zu diesem Zeitpunkt stärkt Bushs Position in den bevorstehenden Haushaltsberatungen, wie auch Demokraten selbst bereits sorgenvoll eingeräumt haben.
Einige von ihnen hatten vor dem Test hinter vorgehaltener Hand zugegeben, dass ihnen eine Pleite über dem Pazifik am liebsten wäre. Das könne zumindest einen Bremseffekt haben und mehr Zeit für Verhandlungen mit Moskau über die Zukunft des ABM-Vertrages zur Begrenzung von Raketenabwehr-Systemen geben, sagte ein demokratischer Kongressabgeordneter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Bei einem Erfolg, so befürchtete er, »gehen dann die Pferde richtig mit ihm (Bush) durch.«
Ein kleiner Hoffnungsschimmer blieb diesen Kritikern am Sonntag noch. Beim ersten erfolgreichen Test 1999 hatte sich erst später herausgestellt, dass das Militär ein wenig nachgeholfen hatte. In der Abwehrwaffe zur Vernichtung der Sprengkopf-Attrappe war der Zielkurs vorab programmiert worden. So wollten Skeptiker auch jetzt nicht völlig ausschließen, dass der Test wegen des Erfolgsdrucks unter vereinfachten Bedingungen erfolgte. »Unsinn«, hieß es dazu im Pentagon. »Das sind Wünsche, die nicht in Erfüllung gehen werden.«
Gabriele Chwallek, dpa