Der Patient ist verstört. Er liegt auf dem OP-Tisch. Doch weder Ärzte noch Schwestern sind in Sicht. Am Narkosegerät ein Zettel: "Personalmangel wegen neuer Ferienregelung". Dann eine Stimme aus dem Off: "Sechs Wochen Ferien für alle. Klingt gut. Aber die Folgen werden wir alle spüren." Das Video ist Teil einer Kampagne der Schweizer Arbeitgeber. Sie soll verhindern, dass sich die Eidgenossen per Volksentscheid einen gesetzlichen Mindesturlaub von sechs statt wie bisher vier Wochen genehmigen.
Je näher die Abstimmung am diesem Sonntag rückte, desto dringender wurden mahnende Auftritte führender Unternehmer und bürgerlicher wie sozialdemokratischer Regierungspolitiker. Sie lehnen die Initiative einhellig ab. Überall - in Zeitungen und im Fernsehen, auf Straßen, Bahnstationen und Flughäfen ist eine Warnung unübersehbar: "MEHR FERIEN = WENIGER JOBS", steht in weißen Lettern auf rotem Grund.
Millionenschwere Kampagne
Die millionenteure Kampagne sei "Angstmacherei", schimpft Therese Schmid, Sprecherin des Gewerkschaftsdachverbandes Travail.Suisse. Er hatte den Volksentscheid durch die Sammlung von mehr als den dafür verlangten 100.000 Unterschriften erzwungen. "Die Gegner von mehr Ferien haben offensichtlich kalte Füße bekommen und in den letzten Wochen für Inserate noch einmal tief ins Portemonnaie gegriffen."
Seit einem Vierteljahrhundert betrage der Anspruch auf Urlaub (Schweizer nennen ihn Ferien) vier Wochen; das reiche nicht mehr aus, argumentiert Travail.Suisse. Durch steigenden Wettbewerbsdruck, technische Entwicklungen und die Globalisierung sei "die Wirtschaft immer schneller und härter" geworden. "Viele Arbeitnehmende macht die steigende Arbeitsbelastung krank. Familienleben und Freizeit kommen unter die Räder." Deshalb sollten sich die Schweizer am 11. März mehr Urlaub als "Schritt zu einer gesünderen Arbeitswelt" gönnen.
Jüngere dafür. Ältere dagegen
Die Arbeitgeber machen geltend, dass sechs Wochen "Mindestferien" Mehrkosten in Höhe von sechs Milliarden Franken (fünf Milliarden Euro) verursachen würden. Und das in einer Zeit, da die Schweizer Exportwirtschaft unter der enormen Stärke des Franken ächze - eine Folge der Turbulenzen im Euro-Raum, die eine Fluchtbewegung in den mutmaßlich sicheren Hafen der Schweizer Währung ausgelöst haben. Kurzum: Mehr Lohnkosten werde Firmen ins Euro-Billigland abwandern lassen und zum Verlust von Jobs in der Schweiz führen.
Die Argumentation - per Posterkampagne auf einen griffigen Slogan reduziert - scheint Wirkung zu zeigen. Bei einer Umfrage im Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks SRG lehnten 63 Prozent der Teilnehmer Ende Februar mehr Mindesturlaub ab. Andere Umfragen ergaben kein so eindeutiges Bild.
Je jünger die Befragten, desto größer die Begeisterung für längere Ferien. Schweizer über 60 hingegen, die am ehesten etwas mehr Erholung brauchen könnten, aber mit einer traditionellen Arbeitsethik aufgewachsen sind, scheinen den Vorstoß klar abzulehnen. Egal, wie die Sache ausgeht - der nächste Schweizer Arbeitskampf per Wahlurne ist schon in Sicht: Demnächst hoffen die Gewerkschaften, einen gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen zu können.
Mindestlohn, reichlich
Was dabei in der Schweiz gefordert wird, dürfte Arbeitnehmer in benachbarten "Billiglohnländern" wie der Bundesrepublik beeindrucken: 22 Franken pro Stunde (18,50 Euro) halten die Gewerkschaften der Alpenrepublik für ein nötiges Minimum. In Deutschland, wo das Volk keine Chance hat, solche Entscheidungen per Referendum zu treffen, verlangen die Gewerkschaften gerade mal 8,50 Euro.