Wallace "Keine Garantie, dass es nicht schlechter wird"

Er hat 2003 die US-Invasion im Irak befehligt: General William S. Wallace. Fünf Jahre danach spricht er im stern.de-Interview über die schwierige Lage des Irak, die Lehren aus der Invasion und warum im Irak nach dem US-Einmarsch die Infrastruktur kollabierte.

General, Sie haben in Ihrem Vortrag von der "Power of information" gesprochen - was wussten die Amerikaner zu Beginn dieses Krieges wirklich über den Gegner und den Irak?

Ich denke, wir hatten einen ziemlich guten Überblick was Saddams Armee betraf. Wir wussten nicht so genau, was uns im Kampf gegen die paramilitärischen Kräfte erwartete. Wir wussten, dass es sie gibt, aber wir wussten nicht, was sie machen würden. Wir wussten nicht so viel über die Kultur und die Mentalität des irakischen Volkes. Und wir wussten nicht, wie die irakische Bevölkerung nach Saddams Sturz reagieren würde - und wie sie mit uns umgehen würde.

Warum wussten die USA das nicht? Warum war das so schwierig heraus zu bekommen?

Weil wir nicht die Zugänge zu diesen Informationen hatten. So sind wir natürlich davon ausgegangen, dass die Bevölkerung in Bagdad sich freuen würde, wenn wir Saddams Regime zu Fall bringen. Die Menschen dort waren auch zum Teil froh darüber, aber sie brachen nicht in Jubel aus, sie feierten nicht ihre Befreiung. Vor allem aber entstand gleichzeitig ein Machtvakuum. Viele Iraker waren irritiert - was wird jetzt passieren? Wer wird mir jetzt sagen, was ich am nächsten Morgen zu tun habe und was nicht? Das brachte die Institutionen und die Infrastruktur zum Erlahmen, wenn nicht sogar zum Kollaps. Der Busfahrer kam am nächsten Morgen nicht zur Arbeit. Der Lehrer ging nicht zur Schule. Der Elektriker ging nicht zum Elektrizitätswerk. Und so weiter. Einige, weil sie Angst hatten vor den Kämpfen, die noch in der Stadt stattfanden; andere, weil ihnen keiner gesagt hatte, dass sie ganz normal weiter zu ihrer Arbeit gehen sollten. Wir aber waren davon ausgegangen, dass die Infrastruktur und die Institutionen nach dem Sturz des Regimes weiter funktionieren würden.

Eine der vielen Fehlannahmen in diesem Krieg. Wer hat am Ende mehr versagt? Die Politik oder das Militär?

Ich würde nicht sagen, die Politik hat es nicht hinbekommen, oder das Militär hat es schlecht gemacht. Es war für uns alle im Irak eine schwierige, komplexe Situation, die sich immer wieder neu darstellte. Sie veränderte sich derart, dass weder unsere Regierung, noch wir vom Militär, aber auch nicht die Regierungen der anderen involvierten Staaten Lösungen parat hatten. Alle hatten Schwierigkeiten, sich darauf einzustellen.

Die Amerikaner haben im vergangenen Jahr mehr Truppen in den Irak geschickt. Iraks Regierung ist dadurch bei der politischen Einung des Landes keinen großen Schritt nach vorne gekommen. Aber, so behauptet die USA, durch die Truppenaufstockung würde es zumindest weniger Chaos und weniger Tote geben.

Das stimmt auch. Es ist aber nicht allein die Truppenaufstockung gewesen, die für diesen Erfolg gesorgt hat. Es ist auch die neue Art, wie wir unseren Job da unten erledigen. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass wenn man die Menschen dort beschützen will, ihr Vertrauen gewinnen will, dann muss man sich unter sie mischen, mit ihnen gemeinsam wohnen. Wir haben jetzt kleinere Basen, die vernetzt sind mit der Bevölkerung. Wir verstehen nun besser, was im Land vorgeht, was zwischen den Bevölkerungsgruppen vorgeht, wir können stärker Einfluss darauf nehmen, wir können intensiver mit den Gruppen sprechen. Und nicht zu vergessen: Die irakische Armee macht auch einen besseren Job. Vor allem aber: Die Bevölkerung hat die Gewalt satt. Das sind alles erfreuliche Schritte. Aber es gibt keine Garantie, dass es nicht wieder schlechter wird. Ein einzelner Vorfall allein kann vieles kaputt machen.

Die amerikanische Bevölkerung ist des Krieges müde, er hat schon mehr als 600 Milliarden Dollar gekostet. Die Mehrheit der Amerikaner will einen teilweisen oder ganzen Abzug. Wann werden die amerikanischen Soldaten den Irak verlassen?

Da fragen sie den Falschen.

Dann nochmal zu dem neuen Handbuch der US Army. "Man muss ein Problem genauestens kennen, bevor man hingeht, um es zu lösen" - was meinen Sie mit diesem Satz genau?

Das bedeutet: Man muss nicht nur das Problem kennen, sondern auch die ganzen Umstände, die zu dem Problem geführt haben und dazu gehören. Man muss die Umstände des Problems kennen. Die Kultur, die Gesellschaft, die politischen, die religösen Begleitumstände, alles, was die Reaktionen und die Gefühle der Menschen in der betreffenden Region beeinflussen kann. Das darf kein militärisches Problem, kein militärischer Ansatz allein sein.

Interview: Giuseppe di Grazia