Alle reden vom Krieg, nur Anne Will redet über Corona. Okay, sie hat der Ukraine-Krise ja jüngst erst eine Sendung gewidmet. Aber wann waren derlei thematische Wiederholungen bei der Pandemie zuletzt ein Problem für ihre Talkshow? Eben. Also reden wir übers Impfen: "Impfpflicht auf der Kippe, Lockerungen umstritten – planlos in den Corona-Frühling?"
Wer hat diskutiert?
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit
Markus Blume (CSU), Generalsekretär
Jana Schroeder, Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
Joachim Stamp (FDP), Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen und stellvertretender Ministerpräsident
Elke Keiner, Geschäftsführerin Soziale Dienste Pesterwitz GmbH in Sachsen und dort Leiterin eines Pflegeheims
Wie lief die Diskussion?
Elke Keiner ist Leiterin eines Pflegeheims in Sachsen mit 81 Mitarbeitenden – 27 davon sind nicht geimpft, bisher. Was passiert mit denen, wenn die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht nun wirklich kommt? Gibt es dann Kündigungen, Betretungsverbote und Bußgelder für Ungeimpfte? Und was wird aus der Versorgungssicherheit für zu Pflegende? Sie weiß es nicht! "Und die Lage in der Pflege ist schon jetzt sehr angespannt". Sie vergleicht die Situation mit einem maroden Hausdach, über das man nun den Sturm schicke. Komme jetzt ein Betretungsverbot für ungeimpfte Mitarbeitende in ihrem Heim, wäre die Lage "nicht mehr zu beherrschen", sagt Keiner, die selbst durchaus geimpft ist. Die gegenwärtige politische Debatte macht sie "fassungslos".
Karl Lauterbach, der seinen Ministerposten nicht zuletzt den TV-Talkshows der Pandemie verdankt, kommt heute als staatsmännischer Erklärbar seiner Politik und verweist auf eine 23-seitige Handreichung, die neulich noch ein paar Seiten weniger hatte. Auf eine Debatte über die neuerdings von der Union in Bund und Ländern geforderte Aussetzung oder Verschiebung der Pflege-Impflicht will er sich gar nicht erst einlassen. Er fordert die Einhaltung des entsprechenden, vom Bundestag mit den Stimmen der Union beschlossenen Gesetzes und kämpft weiter für eine allgemeine Impfpflicht. Eine echte, detaillierte Antwort auf die Fragen von Frau Keiner hat er aber nicht.

Karl Lauterbach: Impfpflicht kommt für Omikron zu spät
Zwar gibt auch er zu, dass die Impfpflicht in der Pflege im Kampf gegen die aktuelle Omikron-Welle nicht viel helfe. Lauterbach aber hat "Angst" vor dem Herbst, dem nächsten, und neuen, aggressiveren Virus-Varianten. "Die Welt ist schlechter geworden durch Corona", sagt der Minister, und dass es eine "gefährliche Legende" sei, dass das Virus nun "immer harmloser werde". Er wolle im Herbst nicht wieder über 2G+, Kitaschließungen und Homeschooling reden, sagt er. "Aber das Leben wird nicht mehr so sein wie vor Corona".
Bei der FDP denkt man da noch etwas anders. Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident verlangt wie auch seine Parteifreunde "umfassende Lockerungen", denn es drohe derzeit keine Überlastung der Krankenhäuser mehr. Ansonsten fordert er erst einmal eine Beratungspflicht für alle Ungeimpften, mit Impfangebot und Bußgeldandrohung. Über eine Impflicht will er nur für über 50-jährige reden. CSU-Generalsekretär Markus Blume verteidigt die neue Linie der Union derweil mit der "neuen Phase der Pandemie" und hält die Impflicht in der Pflege für "nicht umsetzbar". Im übrigen verweist er auf die Bundesregierung bei der Frage, wie sich das ändern könnte.
"Es fehlen viele Vorgaben", sagt auch die Virologin Schroeder mit Blick auf die Politik, und dass das Gesetz "nicht einfach anzuwenden" sei. Ohne Immunität gebe es aber keine Normalität, sagt die Medizinerin – und dass die Politik alles dafür hätte tun müssen, um die Impfpflicht "unnötig" zu machen. Und was sagt Karl Lauterbach? Er will "jeden Einzelnen abholen" – und verspricht, dass der neu im Umlauf kommende Totimpfstoff Novavax ganz prioritär an Pflegende verimpft werde. Immerhin: Viele der ungeimpften Mitarbeitenden von Frau Keiner warten auf genau so einen Impfstoff.

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Die Erkenntnisse
Umfragen zufolge glauben 75 Prozent der Bundesbürger:innen nicht mehr, dass eine allgemeine Impfpflicht kommt.
Wir haben derzeit ein "Plateau bei den Inzidenzen" erreicht, sagt die Virologin Schroeder – aber die Hospitalisierungsrate steige trotzdem weiter an.
Fazit
Die Impfpflicht kommt – vielleicht, oder auch nicht, oder ein bisschen, also: für manche – aber im Detail sind alle Fragen weiter ungelöst.