Bundespräsident Kritik an Wulff - unangemessen und ungerecht

  • von Hans Peter Schütz
Stolperstart, unangemessene Einmischung in Sachen Sarrazin, Inhaltslosigkeit: Es hagelt Kritik an Bundespräsident Wulff. Angemessen ist sie nicht - viele müssen sich erst noch an ihn gewöhnen.

Geht da ein Bundespräsident hin? Ins "Bandol sur Mer"? Gelegen an der vielbefahrenen Berliner Torstraße, früher eine Döner-Bude, heute sechs eng stehende, schwarze, schäbige Tische, den Wein schenkt man sich selber ein. Die französische Küche ein Genuss, aber einen Richard von Weizsäcker kann man sich hier nicht vorstellen. Vor kurzem war Christian Wulff da.

Die Kantine des Bundespräsidialamts neben dem Schloss Bellevue hat den spröden Charme aller Schnellabfütterungsanlagen. Selbstbedienung selbstverständlich. Christian Wulff stört das nicht. In den ersten zwei Monaten seiner Amtszeit hat er hier schon weit öfter gegessen als frühere Präsidenten während ihrer ganzen Amtszeit.

Im "Bandol sur Mer" wie in der Kantine dabei: Ein ebenso groß gewachsener Mann wie Wulff, Olaf Glaeseker, offiziell der Sprecher des Bundespräsidenten. Wie erklärt er die gänzlich unpräsidialen Auftritte des Staatsoberhaupts? Er lacht und sagt: "Christian Wulffs großes Plus ist, dass er an Menschen interessiert und neugierig ist. Er ist offen und zugänglich und in all den Jahren normal geblieben."

Kein Altvorderer der Politik

Ein Satz, der Sprechers Pflicht sein könnte. Gesagt wird er indes von einem Mann, der Wulff besser kennt als alle anderen, die dem Präsidenten im politischen Geschäft nahe standen und stehen. Glaeseker ist zugleich kritischer Freund und freimütiger Ratgeber, seit über zehn Jahren sein engster Vertrauter. Ohne Glaeseker, sagen Kenner dieser Beziehung, säße Wulff wohl nicht im Schloss Bellevue.

Als erster Präsident mit rund 50 Jahren. Keiner, der bereits zum Staatsmann taugt. Kein Altvorderer der Politik, der sich seit Jahren aus der aktuellen Politik verabschiedet hat. Und jedenfalls keiner, der schon als Bundespräsident auf die Welt gekommen ist. Damit scheinen viele ein Problem zu haben, vorneweg politische wie mediale Beobachter. Sie müssen sich erst daran gewöhnen. An einen Präsidenten in zweiter Ehe, mit kleinen Kindern im Schloss Bellevue. Kein Richard von Weizsäcker, der dem Amt des Staatsoberhaupts zeitgeschichtliches Profil gab, an dem sich Vorgänger wie Nachfolger messen lassen müssen. Den Typ Wulff hatte die Republik bislang als Präsidenten nicht. Einen, der hin will zu den normalen Menschen.

Sitzt er im "Bandol sur Mer" bei einem Schoppen Rotwein, erwartet er nicht, dass man sich ihm respektvoll auf Zehenspitzen und Hut in der Hand nähert. Und weshalb soll er sich mittags nur in seinen Amtsräumen auftischen lassen? Horst Köhler kannte keine Selbstbedienung.

Außen soft, innen knallhart

Wie schwer sich viele mit diesem Präsidenten tun, war nachzulesen, als er "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupery als sein Lieblingsbuch nannte. Da erkannte ein Literaturkritiker, der sich als Seelenforscher gab, scharfsinnig, wer das lese, sei oft von besonderer Machart: "Außen soft, innen knallhart, ein Weichei aus Berechnung."

Noch immer wird der frühere Spruch Wulffs gegen ihn aufgewärmt, die Kanzlerschaft traue er sich nicht zu. Dabei war das keine Selbsteinschätzung sondern ein taktischer Schachzug. Er wollte lediglich raus aus der ewigen Kanzlerdebatte um die Nachfolge Angela Merkels. Denn was hätte ihn gehindert, später zu sagen: Jetzt traue ich es mir zu?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die zahlreichen Ratschläge an die Adresse Wulffs sind alles andere als angemessen im Umgang mit der präsi-dialen Instanz, wenn man die denn schon auf einem ganz hohen Sockel sieht. Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles etwa empfiehlt ihm "über sein Amtsverständnis nachdenken". Gleichzeitig rät sie ihm, bei der Prüfung der Verlängerung der Atomkraftwerke ja nicht auf den Gedanken zu kommen, das dazu gehörende Gesetz der Bundesregierung sei nicht verfassungswidrig. Also: Nachdenken doch strikt verboten?

Wulff zu normal?

Natürlich kann man kritisieren, dass der Präsident sich in Sachen Sarrazin den Hinweis an die Bundesbank erlaubt hat, sie könne einiges tun, um Schaden von Deutschland abzuwenden, vor allem international. Aber kann man ihm einen ernsthaften Vorwurf machen, dass der Fall Sarrazin ohne langwierige juristische Gefechte gelöst worden ist?

Im Präsidialamt spöttelt man ironisch über die Kritik vor allem der konservativen Medien. Die "Frankfurter Allgemeine" nöle, die "taz" lobe - "das sind endlich einmal neue Fronten". Offenbar sei Wulff den Konservativen zu liberal. Aber da müsse man Nachsicht üben. "Die tun sich schwer mit einem Präsidenten, der erst 51, katholisch und geschieden ist, eine 15 Jahre jüngere Frau hat, die auch noch ein Tatoo schmückt."

Gerne verdrängen die Kritiker Wulffs auch den Umstand, dass er ohne jeden zeitlichen Vorlauf ins Schloss Bellevue gekommen ist. Im Normalfall wird ein Kandidat fürs Präsidentenamt im Januar gekürt, gewählt wird im Mai und das Amt nimmt er im Juli auf. Wulff dagegen musste von jetzt auf gleich amtieren. An einem Mittwoch gewählt, am Donnerstag darauf erste Pflichten als Präsident. Mittlerweile besuchte er Rom, Paris, Warschau und Brüssel, war auf Staatsbesuch in der Schweiz und hat ganz nebenbei einige Termine seines Amtsvorgängers abgearbeitet.

Zu seiner ersten grundsätzlichen thematische Rede tritt Wulff am Tag der Deutschen Einheit an. Ihr Thema: Integration und was zu tun ist für den Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft. Vergleiche mit der Rede Richard von Weizsäckers vom 8. Mai 1985 werden im Präsidialamt schon im vornherein als unzulässig bezeichnet. In der Tat: Präsident von Weizsäcker sprach damals über ein historisches Thema der deutschen Geschichte. Gegen die häufige Verdrängung der deutschen Schuld am Tod von Millionen Menschen. Wulffs Rede wird einer ungelösten politischen Aufgabe gelten, vor der die Volksparteien CDU/CSU, SPD samt Liberalen sich jahrelang gedrückt haben. Soll diese Rede gut werden, muss sie unbequem sein.