Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
in letzter Zeit reagieren Sie gerne auf offene Briefe. Deshalb will auch ich versuchen, auf diesem Weg Ihr Gehör zu finden. Der Bundespräsident hat es schon gesagt: Lange Vorreden sind tabu. Kein Schnickschnack, keine Schnörkel. Zur Sache also. 5,216 Millionen Arbeitslose waren es im Februar, im März sind es immer noch 5,176 Millionen. Das ist unerträglich. Was haben Sie bisher dagegen getan? Körperschaftsteuer? Gewerbesteuerhebesatz? Die Unternehmer mag das interessieren, die Steuerrechtler auch, aber mit Verlaub, Herr Bundeskanzler, an Ihren gemeinen Untertanen zieht das Gipfel-Gedöns rauschend vorbei.
Sie müssen in die Niederungen des Volkes
Nein, so geht das nicht. Ihre Untertanen brauchen etwas anderes. Die wollen sehen, lieber Herr Schröder, wie Sie die Gipfelhöhen verlassen, wie Sie herabsteigen in die Niederungen des Volkes, wie Sie ackern, wie Sie kämpfen, wie Sie leiden. Deshalb, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, schlage ich Ihnen ein "Pfand für Deutschland" vor, einen Pakt der besonderen Art. Riskieren Sie etwas: Hören Sie einfach auf, sich zu rasieren. Lassen Sie die Haare sprießen, den Bart wachsen, lassen Sie den Apparat stecken bis es Ihnen gelingt, die Zahl der Arbeitslosen, sagen wir, unter die Grenze von vier Millionen zu drücken. Das wäre mal was. Ein Opfer. Ein Versprechen. Ihre bare Gesichtshaut als Pfand, das es einzulösen gälte.
Schrödersches Reform-Testosteron
Sicher, toll sähe das nicht aus. Bei den Damen konnten Sie bisher auch ohne Bart wunderbar punkten. Aber schließlich soll das Ganze ja auch kein Spaß sein, sondern eine Bürde. Und außerdem, das darf ich Ihnen verraten, hätte Ihr neuer Bart auch Vorteile. Schließlich wäre er ein Zeichen des Zupackens, der Stärke, Symbol Schröderschen Reform-Testosterons. Hach, ich sehe Sie schon vor mir, wie Sie, ganz Himalaya-Bezwinger Messner, im Holzfäller-Hemd an das Rednerpult des Bundestags treten. Das wäre eine Schau. Und auch der Sieg wäre zuckersüß. Stellen Sie sich das vor. Am Tag des Triumphes, nach Bekanntgabe der Zahlen aus Nürnberg, würden Sie bei "Kerner" einlaufen, Angela Merkel wäre gezwungen, Sie vor einem Milliardenpublikum zu rasieren, nass selbstverständlich. Alle würden zuschauen. Was für ein Sieg! Am Wahltag würden Sie die absolute Mehrheit für die SPD holen. Wozu braucht einer wie Sie Hochwasser und Irak-Kriege, Herr Bundeskanzler?
Sicher, Ihre Herren und Damen Chefberater werden versuchen, Ihnen den Plan auszureden, ihn zu vermiesen. Aber lassen Sie sich nicht irritieren, Ihre Einflüsterer verpassen den Zug der Zeit. Männer mit Bart sind "in". Das Volk will den Bart. Nehmen Sie nur Peter Harry Carstensen, den Kieler Ministerpräsidenten in spe - von der Lachnummer zum Regierungschef in Nullkommanix. Mit Bart. Oder Ihr rheinland-pfälzischer Freund Kurt Beck - 1. FC Kaiserslautern, ZDF, ein regelrechter Volkstribun. Mit Bart. Oder Matthias Platzeck - Deichgraf, Regierungschef in Potsdam, Ihr Kronprinz. Immerhin Dreitagebart.
No risk, no fun
Freilich, lieber Herr Bundeskanzler, das will ich Ihnen nicht verheimlichen, diese Strategie birgt Risiken. Das mit der Arbeitslosigkeit müssen Sie schon hinkriegen, bevor sich der demokratische Vollbart nach Carstenscher oder gar Scharpingscher Manier verwächst. Wahlkampftechnisch käme es gar nicht gut, wenn die Arbeitslosenzahlen Ihrem Antlitz einen Castro-Bart verpassen würden, oder, Himmel hilf, gar ein Bin-Laden-Gewächs. Aber, gemach, gemach, noch haben Sie Zeit. Entweder greift bis dahin schon die Sache mit der Körperschaftsteuer oder Sie sagen einfach, dass der Thierse ja auch ein Demokrat ist. Haha.
Aber was mache ich mir Gedanken um Ihre Wiederwahl? Mir geht es um ein politisches Signal - an das Volk. Ich fordere Sie deshalb auf, sich auf ein Pfand für Deutschland einzulassen - zum Wohle des sozialen Friedens und zum Wohle der politischen Klasse. Ihnen, Herr Bundeskanzler, würde ein solcher Schritt jedenfalls gut zu Gesicht stehen.
Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich

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Ihr
Florian Güßgen