Hans-Martin Tillack Verdächtig, aber mächtig

Herr X von der Behörde TINNEF ermittelt gegen Frau Y von der EU-Kommission. Gleichzeitig entscheidet Frau Y im Auswahlkomitee von TINNEF über die Karriere von Herrn X. Wo gibt es denn so was? Nur in Brüssel, in der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde. Sie heißt aber nicht TINNEF, sondern OLAF. Der Verdacht ist nicht neu, dass OLAF eher eine Organisation zum Schutz der Betrüger ist, als zu ihrer Bekämpfung. Jedenfalls, solange es um mehr geht als den Kampf gegen den Schmuggel von Knoblauchzehen und Einwegfeuerzeugen.

Neue Nahrung erhält dieser Verdacht nun durch eine Episode, die so unglaublich klingt, dass ich sie selbst kaum für möglich hielt - bis mir jetzt ein Sprecher der EU-Kommission die Hinweise bestätigte, die ich von empörten EU-Beamten erhalten hatte.

Es ging um zwei der vier Direktorenposten bei OLAF. Am 3.Oktober wurden sie neu ausgeschrieben. Mit mindestens 11 597 Euro Grundgehalt sind sie recht gut bezahlt. Aus den 269 Bewerbungen sollte ein dreiköpfiges Auswahlkomitee ("Panel") eine Vorauswahl treffen. Mitglieder des Komitees waren OLAF-Chef Franz-Hermann Brüner und sein Vize Nick Ilett. Sowie außerdem eine hohe Kommissionsbeamtin. Gegen die lief aber gerade (und läuft bis heute) eine OLAF-Untersuchung. Und zwar unter Leitung eines OLAF-Beamten, der sich ebenfalls um einen der Direktorenposten bewarb.

Die Verdächtigen entscheiden über die Karriere der für sie zuständigen Ermittler! Von solch einem System kann selbst ein Peter Hartz in Deutschland nur träumen.

Auch für Brüsseler Verhältnisse ging diese Konstruktion dann doch etwas zu weit. Glaubt man dem Sprecher des zuständigen EU-Kommissars Siim Kallas, dann wurde "das Auswahlverfahren angehalten", als die "Befangenheit" des dritten Panel-Mitglieds bekannt wurde. "Nach Einsetzung eines neuen Panels", so der Sprecher, wurde das Auswahlverfahren jetzt "erneut aufgenommen".

Das "gehobene Management" von OLAF sei sich "eines potenziellen Interessenkonflikts nicht bewußt" gewesen, entschuldigt eine OLAF-Sprecherin die Panne. Sie schiebt die Verantwortung auf die Generaldirektion Personal, die Kommissar Kallas untersteht: diese habe das "externe Panel-Mitglied" vorgeschlagen. Doch warum hatte OLAF den Leumund der Beamtin nicht geprüft? Erst "in Zukunft" will Brüner nun "Kontrollen" einführen, "um eventuelle potentielle Interessenkonflikte bei Auswahlverfahren zu vermeiden".

Das scheint bitter nötig. Immerhin hatte die OLAF-Führung in einem anderen Fall geduldet, dass ein Abschlussbericht in einem Betrugsfall entscheidend von einem Ermittler geprägt war, der ebenfalls in einem Interessenkonflikt steckte. Dieser Mann hatte als Beamter der EU-Finanzkontrolle selbst mit die Gelder bewilligt, die an das EU-geförderte Institut Irela (geleitet von dem früheren SPD-Europaabgeordneten und heutigen Atomlobbyisten Rolf Linkohr) flossen. Dort verschwanden Millionen Euro an Steuergeldern. Laut OLAF war Linkohr unschuldig. Und im OLAF-Abschlussbericht war eine Passage aus dem Entwurf gestrichen, in der der Finanzkontrolle des späteren OLAF-Ermittlers eine "schwache Kontrolle" der Irela-Gelder angekreidet wurde. Der Europäische Gerichtshof Erster Instanz bescheinigte der Anti-Korruptions-Einheit im April 2006 darum nackte "Illegalität" und eine "schwere und offensichtliche Verletzung des Prinzips der Unparteilichkeit" - wegen der Beteiligung des Beamten, der selbst früher mit dem Fall zu tun hatte.

Wenn eine Ermittlungsbehörde mehr Skandale produziert als aufklärt, ist eigentlich etwas faul – sollte man meinen. Doch bei OLAF scheinen vergurkte Ermittlungen fast schon die Regel. Wenn OLAF ermittelt, kommt allzu oft erst wenig bis gar nichts raus. Lässt man andere Untersuchungsbehörden ran, finden die oft prompt gravierende Missstände. So war es beim EU-Statistikamt Eurostat oder bei der EU-Berufsbildungsagentur mit dem drolligen Namen Cedefop.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Erst dieser Tage schilderte ein Journalist des Luxemburger Magazins Forum einen neuen Fall, in dem die OLAF-Ermittler partout kein Fehlverhalten entdecken wollten, obwohl offensichtlich war, dass hohe Beamte des EU-Parlaments EU-Gesetze gebrochen hatten. Zufälligerweise scheint der Untersuchungseifer bei Brüners Leuten besonders schwach ausgeprägt, wenn es um mächtige Politiker und ihr Zusammenspiel mit einflussreichen Lobbies geht - zum Beispiel der Brüsseler Immobilienwirtschaft.

Insofern hätte die verdächtige Dame eigentlich gut in das Auswahlkomitee gepasst. Und Brüner und Co haben sicher weiter Narrenfreiheit. Jedenfalls solange sie nur Skandale produzieren. Und nicht etwa auf die Idee kommen welche aufzuklären.