Wachkoma Zurück ins Leben

  • von Frauke Hunfeld
Bei einem Autounfall wird ein Jugendlicher schwer verletzt. Die Ärzte glauben zunächst: Er hat keine Chance. Doch seine Eltern geben ihn nicht auf, und nach Wochen erwacht er aus dem Koma. Heute lacht er wieder und macht erste Schritte. Eine Geschichte über die beharrliche Kraft der Liebe

Er kann die Beine bewegen, aber mit dem Laufen ist es noch schwer. Manchmal vergisst er, dass man den linken Fuß vor den rechten setzen muss und danach wieder den rechten vor den linken. Dann steht er da und sieht ratlos an sich herab. Manches kann Daniel sich merken, das meiste aber nicht. Was gerade war, das ist noch da. Was vorhin war, manchmal. Was gestern war, ist ungewiss. Daniel Huckebrink ist heute 18 Jahre alt. Ein lustiger Typ. Er lacht viel, gern auch über sich selbst. Er mag die Toten Hosen und die Ärzte. Neuerdings auch Wir sind Helden. Friseurbesuche mag er nicht. Leute, die an seinem Kopf was schneiden wollen, machen ihm Angst. Warum, kann er nicht sagen. Es erinnert ihn an irgendetwas Dunkles, Schlimmes. Aber dafür, dass er eigentlich schon tot war, ist Daniel sehr lebendig.

In der Zeitung stand nur eine kleine Meldung: "Auf winterglatter Straße ist gestern in Menden ein Autofahrer tödlich verunglückt. Der 21-Jährige verlor die Kontrolle über seinen Wagen, prallte gegen zwei Bäume und überschlug sich mehrfach. Er war sofort tot. Ein 17-Jähriger erlitt lebensgefährliche Verletzungen, ein weiterer Beifahrer wurde verletzt. Vermutlich war überhöhte Geschwindigkeit die Unfallursache." Wie oft liest man das? Passiert ja jeden Tag. Wie oft vergisst man es gleich wieder. Bis zu dem Moment, da es einen selbst betrifft. Wie betäubt saß Heike Huckebrink in dieser Nacht zum Rosenmontag 2006 auf der Intensivstation des Dortmunder Unfallklinikums. Noch heute wundert sie sich, dass ihre Worte einen so langen Satz ergaben. "Wenn es keine Chance mehr gibt, dann soll mein Sohn nicht umsonst gestorben sein. Dann soll Daniels Tod helfen, dass andere weiterleben können", hatte sie gesagt. Organspende. Dass man in so einem Moment gleich daran denkt. Die Ärzte mussten nicht mal fragen. Sie mussten nur den Blick senken und den Kopf schütteln. Da hat sie es von sich aus gesagt. Daniel ist Rüdiger und Heike Huckebrinks einziges Kind. Ein Clown, ein Witzbold, ein Kämpfer. Die Schule fertig, die Ausbildung gerade angefangen.

Jetzt sollte das Leben losgehen. An diesem Karnevalsabend hatte er sich mit den Freunden getroffen. In ihrer Hütte im Wald, die sie schon als Kinder hatten, um zu spielen und zu träumen, später dann um abzuhängen und zu quatschen, Bier zu trinken, Musik zu hören. Daniel und Kai kennen sich aus dem Kindergarten, Peter kam in der Grundschule dazu, Mark später. Freunde fürs Leben. Sie wollten feiern gehen. Hier ein Bier und dort eins und dann zum Zelt in die Innenstadt. Peter musste früh nach Hause. Gegen drei Uhr in der Nacht der Unfall. Mark, der Fahrer, starb noch am Unfallort. In den Armen von Kai, der auf dem Beifahrersitz fast unverletzt geblieben war. Daniel lag bewusstlos auf dem Rücksitz. Der Notarzt glaubte nicht, den Jungen noch lebend ins Krankenhaus zu bekommen. Zu gravierend waren die Verletzungen: schweres Schädelhirntrauma. Dazu linksseitig ein Schlaganfall. Die Polizisten, die Daniels Eltern aus dem Schlaf klingelten, hatten es nicht weit; der Unfall war keine 80 Meter entfernt passiert. Die Huckebrinks rasten nach Dortmund und redeten sich ein, dass es bestimmt so schlimm nicht sein würde. Wäsche für zwei, drei Tage hatte die Mutter zusammengerafft, und sie ahnte doch, dass es anders kommen würde.

Nach dem Gespräch mit den Ärzten durften Heike und Rüdiger Huckebrink noch einmal hinein zu ihrem Kind. Abschied nehmen. Daniel atmete ruhig und gleichmäßig, die Augen geschlossen, geschlossen, die Gesichtszüge entspannt, nur eine Schramme am Kopf. Das war doch ihr Daniel, da war er doch noch, was redeten die denn? Die Schläuche, die Beatmung, die Geräte, das alles übersahen sie. Aber das war nicht Daniel. Daniel war schon weg. Fast. Sie weinten. Was genau in diesem Moment passierte, haben sie bis heute nicht verstanden. Hörte Daniel ihre Stimmen? Spürte er ihre Tränen? Wollte er einfach noch nicht gehen? Oder war es eine Laune der Natur, eine elektromagnetische Entladung, ein letztes Zucken wie bei einem Fisch, dessen Kopf schon ab ist? Physik und Chemie? Seele und Bewusstsein? Oder doch ein Wunder? "Zustand nach Verkehrsunfall in Menden: Untersuchung zeigt weite lichtstarre Pupillen", notiert der Arzt in seinem Bericht. "HWS ohne Befund. Schädel-CT ohne weitere Diagnostik: massive Drucksymptomatik im 4ten und 3ten Ventrikelbereich mit bereits Auflösen mit Hirnerweichung und starkem Hirndruck. Prognose infaust, daher keine weitere bildgebende Diagnostik zum Ausschluss von weiteren Verletzungen." Infaust. Mit baldigem Ableben wird gerechnet. Ein Haufen Wörter für den einfachen Sachverhalt: keine Chance.

Irgendetwas tat sich plötzlich an einem der Überwachungsmonitore. Die Eltern wurden weggeschubst, Hektik brach aus, man raste mit Daniel in den OP. Das Gehirn des Hirntoten hatte sich zurückgemeldet. Jetzt brauchte es mehr Platz, als da war. Man sägte Daniels Schädeldecke ab und fror sie ein, um sie ihm später wieder einsetzen zu können. Schafft er es, fragten die Eltern aufgeregt, gibt es Hoffnung? Sie müssen warten, sagten die Ärzte nach der stundenlangen Operation. Nichts dauert länger als warten. Er war nicht mehr tot, der Junge, aber er war auch noch nicht wieder lebendig. Endlos lange Tage warteten sie. Jeden Tag: nichts Neues. Warten Sie. Kommen Sie morgen wieder. Wir melden uns, wenn was ist. Jedes Telefonklingeln wie ein Ende. Jeden Abend angezogen ins Bett. Nach elf Tagen hieß es: Er könnte es schaffen. Überleben. Mehr nicht. Mehr wollten sie ja gar nicht. Was für ein Leben das sein würde, danach fragten sie nicht. Und niemand sagte es ihnen. Daniel verbrachte vier Wochen im künstlichen Koma. Jeden Tag machten die Eltern ein Foto. Wenn er wieder aufwachte, wollten sie ihm zeigen können, wo die ganze Zeit geblieben war. Sein Kreislauf stabilisierte sich, die Schwellung im Hirn ging zurück, die Narkosemittel wurden nach und nach abgesetzt.

Und die Eltern standen an seinem Bett und warteten. Darauf, dass Daniel aufwacht und sagt: "Hallo, hier bin ich." Die Ärzte redeten von einer Reha-Maßnahme. "Wir dachten, die meinen so eine Art Kur", sagt die Mutter. "Mit viel Sport und gutem Essen. Aber bei uns dachten wir: Ist das nicht ein bisschen früh? Er liegt da doch noch wie ein Toter." Dann machte Daniel die Augen auf. Das erste Mal, nach vier Wochen. Die Eltern jubelten. Und sahen ihn an. "Und da war: nichts", sagt der Vater. "Kein Erkennen. Keine Freude, keine Trauer, kein Schmerz. Nur dieser leere Blick, der alles sieht oder nichts. Wir waren enttäuscht, erschrocken und hilflos. Und wir fragten uns: Wo ist Daniel, unser Kind?" Das erste Mal hörten sie dieses Wort: Wachkoma. Nur ein Wort für eine rätselhafte Zwischenwelt. Irgendwo zwischen Himmel und Erde. Zwischen tot und lebendig. Wie ein fernes Land, von dem niemand zu berichten weiß, weil jeder, der zurückkehrt, seine Erinnerungen daran abgeben muss.

Daniel wurde zur Rehabilitation nach Hattingen verlegt. Wenn er die Augen offen hatte, sah er ins Irgendwo. Er ließ sich herumschieben wie eine Schaufensterpuppe. Reagierte nicht auf Ansprache, nicht auf Berührung, nicht auf Hitze oder Kälte. Falls er etwas dachte, wusste man es nicht; wenn er etwas fühlte, blieb es sein Geheimnis. Hier waren die meisten so. Einatmen, ausatmen. Herzschlagen, schwitzen, zucken. Augen auf, Augen zu. Aber kein Hunger, kein Durst, kein Schmerz. Keine Freude, keine Angst. Kein Ich und kein Du. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Kein Jetzt. Reha?, dachten die Eltern empört, das soll ja wohl ein Witz sein. Das hier war keine Reha. Das hier war ein Aufbewahrungsort für menschliche Pflanzen. Wenn das Daniels Leben ist, dachte die Mutter, dann wäre es besser, er hätte keins mehr. Und dann schämte sie sich gleich wieder für diese Gedanken. Jeden Tag fuhren sie zu ihrem Sohn die 70 Kilometer nach Hattingen. Anfangs nur nachmittags, später war Heike Huckebrink jeden Morgen schon ab sieben da, Rüdiger, der Vater, kam am Nachmittag dazu.

Sie taten, als wäre er wach: Sie erzählten ihm von zu Hause, von den Katzen und wie die wieder rumgetobt hatten, vom Fernsehprogramm, von Telefonaten mit Leuten, die wissen wollten, wie es ihm geht. Sie spielten ihm seine Musik vor, sie streichelten seine Arme. Manchmal, wenn sie alleine waren, fing die Mutter an, Fragen zu stellen. Daniel, wie findest du das? Ist dir kalt? Daniel, nun sag doch was. Sag endlich was. "Manchmal hätte ich ihn am liebsten wachgeschüttelt. Aber ich wusste ja, dass das nichts bringt." Das Personal war freundlich. Man hatte Verständnis. Aber die Huckebrinks glaubten zu spüren, dass ihre Anwesenheit nicht nur willkommen war. Irgendwie störten sie. Aber warum? Sie wollten doch nur ihr Kind zurück. Sie wollten hoffen dürfen und sich nicht damit abfinden, dass alles blieb, wie es jetzt war. Nach Monaten kamen die ersten Zeichen. Ein Wimpernschlag. Ein ganz kurzer Blick. Er will Kontakt aufnehmen! Da war dieses Drücken mit der Hand in der Hand des Vaters, er hat es doch ganz genau gespürt. Das Blinzeln. Der Mund, dieses winzige Lächeln, haben Sie es nicht auch gesehen, bedrängten sie die Pfleger. Aber wenn sie es beweisen wollten, den Arzt holten oder die Schwester und riefen, Daniel, hallo Daniel, blieb Daniel reglos und stumm und starrte ins Nichts. Die Pfleger sahen sie mitleidig an. Die meisten von ihnen verstanden ja ihre Not. "Aber wenn man lange genug in das Grisselbild eines Fernsehers starrt, dann sieht man auch irgendwann Figuren", sagte einer. Doch die Eltern waren sich sicher.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Dann wieder nicht. Wo endet Hoffnung, wo beginnt die Illusion? Manchmal kam ihnen das alles vor wie ein absurdes "Ich sehe was, was du nicht siehst". Aber sie wollten nicht aufgeben. Also machten sie weiter. Die Ärzte gaben ihnen wenig Hoffnung. Ein Wunder, wenn Daniel noch aufwachen würde. Sprechen? Eher nicht. Laufen? Keine Chance. Kommunizieren? Erwarten Sie nicht zu viel. Die Eltern nickten. Dann sprachen sie mit ihm. Schoben ihn spazieren, beobachteten ihn, um kein Zwinkern zu verpassen. Die Logopädin gab Daniel in Saft getränkte Wattestäbchen, um seinen Geschmackssinn zu reizen. Die Eltern hatten das Gefühl, er will mehr, und probierten es mit Eiscreme. Heimlich. Daniel schleckte. Die Therapeutin ließ ihn in Mullsäckchen gefüllte Weingummis kauen, aber nicht schlucken. Sie hatten den Eindruck, er kann mehr, und gaben ihm Minisalami. Daniel aß. Einmal hatte er einen Wurstrest in der Backentasche, den die Pfleger entdeckten. Sie wurden zum Gespräch bestellt wie ungezogene Kinder zum Direktor. Ob sie nicht verstünden, wie gefährlich das sei. Wenn Daniel sich verschluckt. Sie wurden gebeten, solche Alleingänge zu unterlassen. Die Eltern guckten schuldbewusst. Sie sahen es ja ein. Sie sind nicht die Art Leute, die glauben, dass sie alles besser wissen. Aber dann haben sie ihm doch wieder Biskuitwaffeln gekauft.

Es war ihnen schon klar, dass sie langsam zum Albtraum der Pfleger wurden. Hier die Profis, da die liebenden Eltern. Jeder auf seine Weise im Recht. "Man hat es nicht gerne gesehen, dass wir uns so intensiv gekümmert haben", sagt Rüdiger Huckebrink. "Weil daraus Forderungen erwachsen." Die Magensonde war bequem und zuverlässig, aber die Eltern wollten, dass Daniel wieder isst. Daniel hatte nur einen uralten Rollstuhl, in dem er immer zur Seite kippte. Die Eltern beschwerten sich so lange, bis er einen neuen bekam. Einmal kamen sie, da war "das Bett geflutet", sagt die Mutter. Die Pfleger hatten über längere Zeit nicht bemerkt, dass die Windel nicht saß. "Wir wollten unterstützen, die fühlten sich kontrolliert. Oft haben wir was gesagt, noch öfter nichts. Wir hatten Angst, Daniel müsste es ausbaden. Wir fühlten uns ausgeliefert. Für uns war Daniel nicht irgendein Patient. Er war unser Kind." Dann dieser Tag im Herbst. Daniel kann inzwischen schlucken. Der Vater hat Pizza geholt, schneidet sie klein, führt die Gabel zu Daniels Mund. Der nimmt den Happen, dann dreht er den Kopf weg und sagt: "Scheiße, ist die heiß.2 Der erste Satz. Nach sieben Monaten des Schweigens. "Scheiße, ist die heiß." Daniels Eltern sind fassungslos vor Glück. Das Kind, es spricht wieder.

Eineinhalb Jahre ist Daniels Unfall jetzt her. Die Reha-Klinik hat er inzwischen verlassen. Er lebt in einem Wohnheim für Hirngeschädigte in Unna. Seine Eltern besuchen ihn jeden Tag. Sie haben zusätzlich eine Physiotherapeutin angeheuert. Im Wohnheim sieht man das nicht allzu gern. Die Eltern verstehen das. Aber sie machen es trotzdem. Sie haben gelernt, ihrem Gefühl zu vertrauen. Samstags und sonntags kann er nach Hause. Daniel will raus aus dem Rollstuhl. Er kämpft wie ein Löwe um jeden Schritt. Erst hat er den Rollstuhl selbst bewegt. Dann hat er gelernt zu stehen. Neulich ist er mit Hilfe 18 Treppenstufen hinaufgegangen. Danach war er erschöpft, aber glücklich. Jeden Sonntag stehen seine Freunde auf der Matte. Peter und Kai. Treu wie eine Straßenbahn. Dass Mark tot ist, weiß Daniel noch nicht. Er hat nicht gefragt, sie haben es nicht erzählt. Er erinnert sich an die Stunden vor dem Unfall. Was danach passiert ist, weiß er nur aus Erzählungen. Dann reden die drei wie früher. Daniel versteht wahrscheinlich nicht alles, manchmal fragt er nach. Neulich haben sie versucht, seinen E-Mail-Account wieder in Gang zu setzen. Um den Chat-Freunden in aller Welt mitzuteilen, warum Daniel sich so lange nicht gemeldet hat. Sie hatten das Passwort nicht. Mensch, Daniel, jetzt streng dich doch mal an. Wie war dein Passwort? Daniel grübelt. "Später", sagt er.

Bald gehen sie zusammen in ein Konzert. Und dann wollen sie mal wieder durch die Kneipen ziehen, wie früher, und damit Daniel sich nicht so angestarrt fühlt, wollen Kai und Peter sich einen Rollstuhl ausleihen. Auch für Kai und Peter teilt sich das Leben in "davor" und "danach". Kai hat nie über den Unfall gesprochen, mit niemandem. Er hat alle Ansprüche, die ihm auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz zustehen, zurückgewiesen. Er will nichts, nur vergessen. Seine einzige Äußerung findet sich im Internet, eine Botschaft an den toten Freund. „Warum bist du gestorben. Warum nicht ich?“ Peter sagt, er sei im Schnelldurchgang erwachsen geworden. War eh dran, sagt er. Die Unbeschwertheit ist weg, auch der jugendliche Größenwahn. Er freut sich eher über Dinge, die gelingen, statt sich immer nur zu ärgern über das, was nicht geht. Ob er Daniel erreicht, in diesen Sonntagnachmittagsstunden, den Daniel, den er Bruder nannte? Peter hat keine Antwort. "Ich glaube, es ist alles da", sagt Peter. "Es kann nur nicht raus. Noch nicht." Nicht alle verstehen, warum sie immer noch zu Daniel gehen. Das bringt doch nichts, haben Peters Eltern gesagt. Das bringt sehr viel, hat der widersprochen. Er findet keine großen Worte dafür und redet nicht von Mitleid. "Er ist mein Freund", sagt der 19-Jährige. "Das reicht ja wohl als Antwort."

Und er träumt davon, mal mit Daniel in den Urlaub zu fahren, wie sie es geplant hatten, "davor". Muss ja nicht gleich sein. "Von mir aus in fünf Jahren", sagt Peter. "Wir sind ja noch jung." Für Heike und Rüdiger Huckebrink ist die Sorge um Daniel ein Fulltime-Job geworden. Ein Kampf um jeden kleinen Schritt nach vorn. Zuversicht und Angst, Momente des Glücks und Tage voller Selbstzweifel. Sie wissen selbst nicht, wohin dieser Weg sie führen wird. Teile von Daniels Hirn sind aufgrund der schweren Verletzung abgestorben. Aber das Hirn ist ein erfinderisches Organ. Es sucht ständig neue Wege. Manchmal findet es welche, manchmal nicht. Und so kann Daniel inzwischen wieder sprechen, etwas gehen und manches kann er auch behalten. Die Eltern wollen ihren Jungen so bald wie möglich ganz nach Hause holen. Sie hoffen auf weitere Fortschritte, auch wenn das Leben nie wieder so sein wird wie vorher. Was "normal" ist, hat für sie schon lange keine Bedeutung mehr. Rüdiger Huckebrink lässt sich zum Ergotherapeuten umschulen. Den Keller ihres Hauses lassen sie umbauen und Therapieräume einrichten.

Der Vater saust über die Ämter, um den Kampf mit der Bürokratie, der zu einem solchen Schicksal unweigerlich gehört, jeden Tag neu auszufechten. Der Kampf um Rollstühle, Therapien, Krankengeld, um Vormundschaft und die Genehmigung, das eigene Kind im Rollstuhl festzuschnallen, die nur ein Richter erteilen kann, sonst ist es Freiheitsberaubung. Am Anfang hat Rüdiger Huckebrink noch gesagt, mein Sohn ist krank. Es kostete Überwindung zu sagen, mein Sohn ist behindert. Viel Eigenes ist ihnen nicht geblieben, "danach". "Alles blieb liegen", sagt Rüdiger Huckebrink, "das Leben blieb liegen." Haben sie nicht manchmal Angst, dass ihnen irgendwann die Kraft ausgeht? Sie hoffen darauf, dass es nicht passiert. Und wenn sie eines gelernt haben in den vergangenen eineinhalb Jahren, dann, dass es sich lohnt, die Hoffnung nicht aufzugeben. Jeden Tag besuchen sie Daniel, üben laufen, Buchstaben, Zahlen, Zusammenhänge. "Wir fangen noch mal ganz von vorne an", sagt Heike Huckebrink. "Wir ziehen ihn einfach noch mal groß."

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