Zwischenruf Willy contra Maggie

Schluss mit Sparen, Ende der Schmerzen! Gerhard Schröder inszeniert sich neu: Als Friedenskanzler will er die Radikalreformerin Merkel schlagen. Aus stern Nr 20/2004.

Die Not ist groß. Pläne gescheitert, Hoffnungen verdorrt, Vertrauen verspielt. Kanzler und Koalition sind in verzweifelter Lage. Objektiv. Und doch subjektiv weit von Verzweiflung entfernt. Gerhard Schröder durchleidet solche Zeiten nicht zum ersten Mal. Stets hat er sich - Virtuose der Stimmungs- und Erregungsdemokratie - neu inszeniert, den Spielplan gewechselt. Und den zu früh feixenden Gegner verblüfft, am Ende überrumpelt.

In diesen Tagen erleben wir erneut jene notgeborene Chuzpe, als atemraubende Wende. Der Kanzler der Reformen erfindet sich neu als Prophet des Friedens, der Präzeptor der Sparsamkeit als Stratege der Schulden. Sprunghaft bis zum Irrwitz: Kaum hat er den SPD-Vorsitz aufgegeben, weil er mit seiner Partei nicht kann und sie nicht mit ihm, wird er lupenrein sozialdemokratisch. Die Reformen sind wichtiger als ich, hatte er gerade verkündet. Jetzt dementiert er sich selbst. Und wieder erwischt er die Opposition in unklarer Formation, aufgescheucht und unvorbereitet. Von nun an ist die deutsche Politik restlos der Machtfrage unterworfen. Nichts geschieht mehr nur um der Sache willen, alles mit Blick auf 2006. Und das Land verliert zwei weitere Jahre.

Wohlwollend applaudiert Lafontaine dem wendigen Erzfeind

In Enthaltung geflüchtet

Die Mobilisierung enttäuschter Sympathisanten durch eine ebenso simple wie emotional packende Konfrontation ist die einzige und letzte Chance der Sozialdemokraten. Ihre Anhänger sind ja keineswegs in Scharen zur Union übergelaufen - auch wenn deren Umfragetriumphe solches suggerieren; sie sind, vergrätzt durch vermeintlich ungerechte Sozialreformen, in Enthaltung geflüchtet. Schröders Kalkül aber, sie durch puren ökonomischen Erfolg an die Urnen zu locken, ist gescheitert. Die Bilanz ist desaströs. Die Konjunktur kommt nicht auf die Beine: Selbst die auf 1,5 Prozent verblasste Wachstumsprognose für 2004 ist noch optimistisch - nur zusätzlichen Arbeitstagen geschuldet. Die Modernisierung der Arbeitsvermittlung wird Anfang 2005 noch nicht gelingen. Aus Hans Eichels Etat grinsen Milliardenlöcher: 18 in diesem Jahr, mindestens 15 im nächsten. Die Amnestie für Steuerflüchtlinge - fünf Milliarden waren eingeplant - hat nichts gebracht, dürftige 77 Millionen im ersten Quartal.

Offenbarungseid? Ach woher. Alles oder nichts! Wer jetzt spart, bringt sich um. Wahlzeiten sind Wohlfühlzeiten. Jetzt sind Schulden wieder gut, und zur Verschleierung des Desasters werden Milliarden für Bildung und Forschung draufgepackt - auch wenn Europas Drei-Prozent-Hürde 2005 zum vierten Mal gerissen wird. Wohlwollend applaudiert Oskar Lafontaine dem wendigen Erzfeind.

Nur der Frieden ist den Deutschen wichtiger als ihr Wohlstand

Ist die Nacht am dunkelsten, ist der Tag am nächsten. Also knipst die SPD schon mal das Morgenrot des Friedenskanzlers an - und der zeigt sich nur noch strahlend und scherzend, um vom Volk geliebt zu werden. Als Brücke ins Land des Lächelns wird - déjà vu - ein Thema gebraucht, um das Elend der Ökonomie zu überwölben. Nur der Frieden ist den Deutschen wichtiger als ihr Wohlstand. Im Irak-Krieg lag Schröder goldrichtig, die Union mit Angela Merkels Amerikatreue heillos schief. Damit gewinnt ein asymmetrischer Wahlkampf Konturen: harte Reformen gegen sanfte Außenpolitik, Maggie (Thatcher) Merkel contra Willy (Brandt) Schröder.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Die Wahlen dieses Jahres sind das Exerzierfeld; die "Friedensmacht" SPD verschanzt sich in Halbdistanz zu den USA. Denn mehr als 90 Prozent der eigenen und 70 Prozent der Unionsanhänger lehnen Amerikas Irak-Politik ab. Horst Köhler und diverse CDU-Granden mühten sich zwar, auch die Union von der arroganten Vormacht abzurücken. Doch damit gaben sie dem Thema des Gegners notgedrungen Bedeutung, zumal Merkel eisern und verwirrend schwieg. Ein Nein zum EU-Beitritt der Türkei offensiv dagegenzusetzen, würde die CDU auch hier nur zerreißen.

Schröder wird außenpolitisch punkten. Als erster Kanzler ist er zu den Jubiläumsfeiern des Warschauer Aufstands und der alliierten Landung in der Normandie geladen. Spanien und Polen beugen sich seinem Druck für die EU-Verfassung. Joschka Fischer lässt ihm um den Preis eigenen Bedeutungsverlustes freie Hand - nur ein rot-grüner Wahlsieg 2006 sichert seine fortwährenden Ambitionen auf das Amt des europäischen Außenministers. Auch personell zieht damit ein asymmetrischer Wahlkampf herauf: Schröder und Fischer treten als gewichtiges Tandem an, Merkel indes hätte in turbulenter Weltlage eine außenpolitische Achillesferse. Ein Außenminister light würde sie verwundbar machen: Guido Westerwelle.

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Hans-Ulrich Jörges