Einige Tage mussten ins Land gehen. Inzwischen hat Friedrich Merz doch noch erklärt, was er mit seiner Kritik am deutschen Stadtbild gemeint hat. Ihm gehe es nur um all jene, sagte der Bundeskanzler, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, nicht arbeiten würden und sich nicht an die Regeln hielten.
Viele Menschen, so der Bundeskanzler, hätten Angst im öffentlichen Raum – besonders in Parks, Bahnhöfen, teils in ganzen Stadtteilen.
Viele Deutsche stimmen Friedrich Merz zu
Fakt ist: Zwar fühlt sich laut einer Sicherheitsstudie aus dem Jahr 2024 noch die Mehrzahl der Deutschen sicher, das Unsicherheitsgefühl ist allerdings deutlich gestiegen – von 35 Prozent im Jahr 2022 auf 42 Prozent im Jahr 2024.
Laut einer Umfrage aus dem Dezember 2024 haben insbesondere islamistische Anschläge und sichtbare Gewaltkriminalität die Ängste im öffentlichen Raum gestärkt. Nur knapp die Hälfte der Menschen glaubt daran, dass die Polizei die öffentliche Sicherheit im Griff hat. 63 Prozent stimmen der Analyse von Merz zu.
Ein Blick in die Zahlen zeigt, was diese Unsicherheit antreibt und womit Merz richtig liegt. Der stern hat außerdem nachgefragt, was die Bundesregierung nach den Versprechen des Bundeskanzlers ändern will.
Bei einem Besuch am Dresdner Hauptbahnhof im Laufe der Woche erklärte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt: "Wir dürfen die Innenstädte nicht der Kriminalität überlassen." Die Sicherheit in Städten sei kein generelles Problem, aber es gebe in jeder Stadt Kriminalitätsschwerpunkte. In Dresden sei das die Gegend um den Hauptbahnhof.
Nach Angaben des Dresdner Polizeipräsidenten besteht die Drogenszene dort aus bis zu 80 Prozent Nichtdeutschen. In der Regel seien es Asylsuchende oder Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden könnten. Der Drogenhandel sei verbunden mit Straftaten wie Körperverletzungs- und Diebstahlsdelikten.
Dieser Effekt lässt sich statistisch nachweisen: Unmittelbar ausreisepflichtige Menschen werden besonders oft straffällig. In Bayern etwa hat jeder fünfte ausreisepflichtige Asylbewerber schon eine Straftat begangen. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) fällt diese Gruppe durch eine hohe Beteiligung insbesondere an Diebstählen, Raub und Körperverletzungen auf.
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Dies hänge oft mit fehlendem Geld und Perspektiven, fehlendem Zugang zu Arbeit und den sozialen Spannungen in Unterkünften oder auf der Straße zusammen. Migranten mit Aussicht auf Arbeit fallen dagegen selten mit Straftaten auf.
Schon im Wahlkampf war das Vorgehen gegen unmittelbar ausreisepflichtige Menschen daher ein zentrales Vorhaben der Union. Friedrich Merz versprach damals ihre "sofortige Inhaftierung". Das ist nie geschehen. Laut aktuellen Zahlen befinden sich rund 41.000 Personen in Deutschland, die das Land sofort verlassen müssen. Weitere 187.000 Menschen sind ausreisepflichtig, haben aber eine Duldung.
Es gab durchaus Erfolge: Die Zahl der unmittelbar Ausreisepflichtigen hat sich in den letzten Jahren deutlich reduziert. Vor fünf Jahren waren circa 65.000 Menschen unmittelbar ausreisepflichtig, zurzeit sind es etwas mehr als 40.000. Das liegt einerseits an neuen Bleiberegeln, andererseits an deutlich mehr Abschiebungen als früher.
Das Bundesinnenministerium teilt auf stern-Anfrage mit, dass in diesem Jahr bis Ende September 17.641 Menschen abgeschoben worden sind. Im gleichen Vorjahreszeitraum waren es 14.706, was einem Anstieg von rund einem Fünftel entspricht. Eine Sprecherin des Ministeriums teilte mit, die Zahl solle durch eine stärkere Unterstützung der Bundesländer und Gespräche mit afghanischen und syrischen Vertretern über Abschiebungen in diese Länder weiter erhöht werden.
Kriminalität durch Zugewanderte steigt stark
Insbesondere der starke Anstieg von Kriminalität durch Zuwanderer bereitet Politik und Ermittlern Sorgen. Das zeigte die letzte umfassende Erhebung von Kriminalität durch Zuwanderer aus dem Jahr 2023. Sie befasste sich speziell mit Kriminalität durch Asylbewerber, Geduldete oder Ausreisepflichtige. Eine Kernbotschaft war der deutliche Anstieg der Anzahl tatverdächtiger Zuwanderer um 25 Prozent.
Besonders stark war der Anstieg bei Straftaten, die häufig im öffentlichen Raum passieren: Bei Laden- und Taschendiebstahl stieg die Zahl der Fälle um mehr als ein Drittel. Jeder dritte Taschendiebstahl wird inzwischen von einem Zuwanderer begangen. Bei Raub und Körperverletzungen stieg die Zahl der Taten durch Zuwanderer um 20 Prozent, bei Rauschgiftdelikten um 26 Prozent und bei Sexualstraftaten um 17 Prozent.
Asylbewerber waren in der Polizeikriminalstatistik bisher schon deutlich überrepräsentiert – das ist ein allgemeiner Trend, der sich durch alle westeuropäischen Gesellschaften zieht. Er liegt auch daran, dass häufig besonders viele junge Männer zugewandert sind. Sie begehen unabhängig von ihrer Herkunft besonders oft Straftaten. So sind Dreiviertel der tatverdächtigen Zuwanderer in Deutschland Männer und über die Hälfte ist jünger als 30 Jahre.
Deutschland wird insgesamt nicht unsicherer
Deutschland wird dadurch insgesamt aber nicht unsicherer. Die Gesamtzahl der Straftaten sinkt sogar leicht. Morde passieren in Deutschland viel seltener als früher: Die Zahl der Fälle ist von 720 im Jahr 1996 auf 285 im Jahr 2024 gesunken. Allerdings nehmen Körperverletzungen und andere Rohheitsdelikte in den vergangenen Jahren wieder deutlich zu, genauso Sexualdelikte. Bei Gewalttaten sind Ausländer viermal häufiger tatverdächtig als Deutsche.
Laut der Kriminalstatistik 2024 hat die Gewaltkriminalität einen neuen Höchststand erreicht. "Das zeigt: Die Sorgen der Menschen sind real, nicht gefühlt. Wer das leugnet, macht sich unglaubwürdig", sagt der CDU-Innenexperte Marc Henrichmann. Mehr als ein Drittel der Tatverdächtigen in Deutschland besitze keine deutsche Staatsangehörigkeit. "Das ist kein Vorurteil, sondern Statistik", sagt Henrichmann.
Das Stadtbild wird geprägt durch andere Dinge
Auch die Kriminalität an Bahnhöfen steigt messbar und sehr deutlich: Allein an Hauptbahnhöfen ist die Zahl der Gewaltdelikte von 2019 bis 2023 bundesweit um mehr als 50 Prozent gestiegen.
Aber prägt das wirklich das deutsche Stadtbild?
Die Grünen sehen das anders. "Wenn weniger als 0,1 Prozent der Menschen im Stadtbild ausreisepflichtig sind, richtet sich diese Rhetorik faktisch gegen alle, die sich legal hier aufhalten, aber nicht so aussehen wie er", sagt etwa Marcel Emmerich, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. "Die ständige Verknüpfung von Migration und Sicherheit schafft nur Misstrauen."
Es seien im Gegenteil oft Migranten, die das Stadtbild auch im Positiven prägten: Sie würden oft in der Stadtreinigung, beim Ordnungsamt oder im Nahverkehr arbeiten und dafür sorgen, dass die Städte funktionieren. "Von einem Kanzler darf man erwarten, dass er über Probleme redet, ohne Menschen gegeneinander auszuspielen."
Tatsächlich haben laut der Studie "Sicherheit und Kriminalität in Deutschland" besonders häufig zwei Gruppen Angst vor Straftaten: Frauen und Migranten. Über die Hälfte der Frauen steigt nachts nicht in Busse und Bahnen. Sie meiden bestimmte Plätze oder Parks. Migranten haben in allen Lebenslagen deutlich größere Sorge vor Straftaten.
Friedrich Merz hat die Politik durch seine Aussagen unter Zugzwang gebracht. Am Freitag haben die Ministerpräsidenten reagiert. Sie einigten sich auf ein Sicherheitspaket, das die Ordnung im öffentlichen Raum erhöhen soll. Dazu gehören ein dauerhafter Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Straftäter, eine Abschiebe-Offensive nach Afghanistan und Syrien, Schwimmbad-Betretungsverbote für verurteilte Sexualstraftäter, Fußfesseln für Frauenschläger und der KI-Einsatz bei Ermittlungen und Videoüberwachung.
All das wird das Stadtbild wohl kaum verändern. Aber das will Friedrich Merz inzwischen auch gar nicht mehr so gemeint haben.