Hinter der Geschichte Saudi-Arabien: Warum ein stern-Reporter beinahe verhaftet wurde – und Dreistigkeit manchmal siegt

Zehn Tage verbrachte stern-Reporter Huber in Ruanda. Oft fühlte er sich auf Schritt und Tritt verfolgt.
Zehn Tage verbrachte stern-Reporter Huber in Ruanda. Oft fühlte er sich auf Schritt und Tritt verfolgt.
© privat / stern
Auf Auslandsrecherchen arbeitet der stern meist mit lokalen Fotografen zusammen. Nicht selten helfen sie einem aus der Patsche. Doch eines Abends in der saudischen Pampa pokerte eine Kollegin ziemlich hoch. 

Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.

Ich war froh, dass meine Kollegin in Saudi-Arabien inzwischen legal Autofahren durfte, denn der Tag war lang gewesen und wir hatten noch eine zweistündige Rückfahrt vor uns. Auf Auslandsrecherche arbeiten wir als stern-Reporter meist mit lokalen Fotografen zusammen. Das hat unwiderstehliche Vorteile: Sie haben Kontakte, sprechen die Sprache, kennen die Gegebenheiten, helfen uns aus der Patsche. Probleme lassen sich so umfahren. Meistens.

In Ta’if, einer Stadt tief in den saudischen Bergen, hatte unser Zweierteam das Trainingslager des Frauenfußballnationalteams besucht. Stolz erzählten uns die Spielerinnen, was für sie inzwischen alles möglich sei in diesem Land: verreisen, allein leben, gegen einen Ball treten, oder eben ein Auto steuern.

Leider steuerte unsere Fotografin auf eine Polizeikontrollstelle zu, wo das Bild vom Saudi-Feminismus dann doch ein paar dicke Kratzer bekommen sollte. Der Beamte sah: einen weißen Blonden. Und eine junge Frau, die zwar Abaya trug – das arabische Überkleid – aber kein Kopftuch. Das für sich genommen ist im Königreich absolut erlaubt. Im abendlichen Riad habe ich viele Frauen mit wallenden Haaren gesehen. Nur ist eine Wüstenstraße nicht Riad, ganz Saudi-Arabien oft eine legale Grauzone, wie mir die Leute immer wieder erzählten, und ein Reporter auch nicht immer auf jedes Szenario vorbereitet. 

Reporter vor Ort: Saudi Pro League: Ein Blick hinter die Kulissen der obskuren Fußballliga
Saudi Pro League: Ein Blick hinter die Kulissen der obskuren Fußballliga

Der Polizist checkte unsere Pässe. Immer wieder deutete er auf mich. Das Arabisch, das ich in Rapsongs und auf deutschen Großstadtstraßen aufgesaugt hatte, reichte, um zu verstehen, was er rief: "Almani, haram!" Ein Deutscher und eine saudische Frau zusammen in einem Auto? Nicht verwandt? Nicht verschwägert? Nicht verheiratet? Das gefiel ihm ganz und gar nicht. Er rief seinen Vorgesetzten.

Dreistigkeit siegt, erzählten mir erfahrene Kollegen einmal

In meinem Kopf spielten sich sofort Szenen der nun zu gehenden diplomatischen Schritte ab: Ich würde die deutsche Botschaft anrufen. Die würde das Auswärtige Amt verständigen. Das würde sich bei seinem Konterpart in Riad melden. Und dort würde man dann einlenken. "Deutscher Reporter in Saudi-Arabien verhaftet" ist keine genehme Schlagzeile für ein Herrscherhaus, das gerade sein international ramponiertes Image wieder aufpolieren will, dachte ich. Alte Reporterhaudegen, erfahren in den eher journalistenunfreundlichen Gegenden dieser Welt, erzählten mir einmal, dass in solchen Situationen Dreistigkeit oft siegt.

Der nächsthöhere Offizier trat mit einem diabolischen Grinsen ans Fahrerfenster. Unsere Fotografin würde mir später übersetzen, dass sie in diesem Moment hemmungslos bluffte. Wir seien auf Einladung des Sportministers höchstselbst hier, sagte sie und tat, als habe sie ein Journalistenass neben sich. Aber da saß nur ich, eingeschüchtert und kleinlaut. Der Polizist lächelte weiter. Er zeigte uns irgendeinen Verhaftungswisch auf seinem Handy, von irgendeinem angeblichen Paar, das hier irgendwann in den jüngsten Tagen wegen desselben Vergehens mitgenommen worden sein soll. Er drohte offen mit einer Festnahme. 

Aufgehalten in der saudischen Pampa: Dass die stern-Fotografin und ich nicht verwandt und nicht verheiratet sind, ist für Provinzpolizisten ein großer Frevel. Auf einem Plakat an der Kontrollstelle prangt das Logo der Vision 2030. Es ist die Modernisierungsagenda des Kronprinzen.
Wollten die Saudis nicht moderner werden? Auf einem Plakat an der Polizeikontrollstelle prangt jedenfalls das Logo der Vision 2030. Es ist die große Zukunftsagenda des Kronprinzen.
© Fabian Huber

Meine Retterin am Lenkrad entdeckte ein Plakat an der Wand. Darauf das Logo der "Vision 2030"So brandet der Kronprinz Mohammed bin Salman seinen Weg, weg vom ultrakonservativen Ölstaat hin zu einer modernen, zumindest wirtschaftlich diversen Gesellschaft am Golf. Einem Land, in dem Frauen Fußball spielen und unverheiratet neben einem Mann am Lenkrad sitzen dürfen. Die Fotografin deutete auf das Plakat. "Das soll eure Vision 2030 sein?", schrie sie. Es war das Zauberwort. Die beiden Polizisten schauten sich verdutzt an – und ließen uns weiterfahren.