Rechtsextrem und Neonazi waren für viele Menschen über eine lange Zeit Synonyme. Doch die Zeit von stumpfen Parolen, Fackelmärschen und breitgebauten Männern mit Glatze und Bomberjacke scheint vorbei zu sein. Mittlerweile erscheinen rechtsradikale Akteure zurückhaltender, bürgerlicher. Sie versuchen nicht mehr durch martialisches und angsteinflößendes Auftreten für ihre menschenverachtenden Ideologie zu werben, sondern unterwandern den gesellschaftlichen Diskurs. Dabei ist das Ziel dieser Neuen Rechten nicht weniger als das ihrer Vorgänger: der Sturz der Demokratie. Doch wodurch zeichnet sich diese Strömung von Rechtsextremisten aus? Und wodurch unterscheidet sie sich von "klassischen" Neonazis?
"Kulturrevolution von rechts": Wie die Neue Rechte ihre Ideologie in die Mitte der Gesellschaft verankern will
Neonazis in Bomberjacken und Springerstiefel prägten das Erscheinungsbild der extremen Rechten in den 1980er und 1990er Jahren. Sie waren und sind ideologisch eng mit dem Nationalsozialismus des Dritten Reiches verbunden. Die Neue Rechte tritt dagegen in einem anderen Gewand auf. Grundsätzlich versteht man die Neue Rechte als eine heterogene, rechtsextreme Intellektuellenströmung. Sie stützt ihre Ideologie weniger auf die Grundsätze Hitler-Deutschlands, sondern beruft sich auf die "Konservative Revolution" der Weimarer Republik. Mit der "Alten Rechten" verbindet sie auf den ersten Blick nur das vorrangige Ziel, den demokratischen Staat zu überwinden.
Dabei konzentriert sich die Neue Rechte auf die kulturelle Ebene: Ziel ist es, vermeintlich verloren gegangene Tugenden und Wertvorstellungen wiederherzustellen: Gott, Nation, Volksgemeinschaft, Rasse und Ordnung. Als Orientierung soll dabei ein völkischer Nationalismus und der sogenannte "Ethnopluralismus" dienen. Dieser bezeichnet eine "rassenreine Bevölkerung". Dabei äußert die Neue Rechte zwar nicht direkt den Plan, Menschen nach Ethnien aufzuteilen, vertritt aber die Überzeugung, dass Menschen einer Ethnie unter sich bleiben und diese nicht "vermischt" werden sollten. Dies könnte aber nur durch ethnische Säuberungen geschehen. Vorstellungen, die für die Neue Rechte nicht in einem pluralistischen und oder demokratischen Staat umsetzbar sind.
Auch diese Überzeugung stammt aus der Weimarer Republik, in der Vordenker der "Konservativen Revolution" wie Edgar Julius Jung oder Carl Schmitt sich klar für eine autoritäre Diktatur aussprachen.
Der größte Unterschied zwischen der Neuen und Alten Rechten ist die Art und Weise, wie eine Revolution stattfinden soll. Während Neonazis davon überzeugt sind, dass ein Umsturz der Demokratie notfalls mit Waffengewalt zu erreichen sei und man den Gegner unterjochen könne, agiert die Neue Rechte aus einer anderen Taktik heraus: Mittelpunkt der Strategie ist die sogenannte "Kulturrevolution von rechts".
Die Neue Rechte will den geistigen Wandel als Wegbereiter für den politischen Wandel
Neue Rechte sind davon überzeugt, dass ein Systemwechsel nur dann erfolgreich sein kann, wenn vorher der Weg dafür geebnet wird. "Gemeint ist damit folgende Grundannahme: Ein geistiger Wandel müsse einem politischen Wandel vorausgehen", erklärt der Politologe und Soziologe Armin Pfahl-Traughber in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bereits seit den späten 1990er Jahren, als rechtsextreme Parteien wie die NPD versuchten, mit einem neuen Image aufzutreten, ist die Rede vom "Kampf um die Köpfe". Antifaschisten warnten schon damals vor "Nazis in Nadelstreifen".
Die Neue Rechte setzt dabei nicht nur auf Demonstrationen oder Kundgebungen. Viel mehr versucht sie, über Magazine, Vorträge oder Social-Media-Kampagnen ihre Botschaften implizit in der Gesellschaft zu verankern. Ein Beispiel hierfür ist der rechtsextreme Thinktank "Institut für Staatspolitik" und ihr jahrelanges Aushängeschild Karlheinz Weißmann. Der Publizist gilt als einflussreicher Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland und prägte den Begriff des "politischen Mimikry", also dem Versuch, die Grenze des Sagbaren immer weiter nach rechts zu verschieben, ohne sich als rechtsradikal zu outen. Weißmann vertrat schon früh die Meinung, dass eine Revolution von rechts nicht mit dem "Vorschlaghammer" gelingen könne, sondern durch gefärbte Bildungsarbeit und Publikationen, die einzelne Standpunkte der extremen Rechten still und über einen längeren Zeitraum in die Gesellschaft tragen.
Das "Institut für Staatspolitik" ist Teil eines Netzwerkes, in deren Mitte die AfD-nahe Desiderius Erasmus-Stiftung steht. Mit welchen Institutionen und Akteuren die Stiftung ansonsten verbunden ist, lesen Sie hier:
Das Netzwerk erstreckt sich von Burschenschaften bis zur AfD
Auffällig ist das breit angelegte Netzwerk der Neuen Rechten. Dieses erstreckt sich von rechtsextremen Burschenschaften über Kaderschmieden wie dem "Verein Ein Prozent" bis hin zum parlamentarischen Arm der Bewegung, der AfD.
Auch wenn die Kontakte zahlreich und die ideologischen Überzeugungen letztlich sehr ähnlich sind, distanziert sich die Neue Rechte von neonazistischen Gruppierungen. Zum Teil aus Eitelkeit, weil sie sich als "intellektuelle Elite" der Bewegung sieht, doch viel mehr noch, weil sie die Strategie der Alten Rechten, einen Systemumsturz herbeizuführen, für nicht erfolgversprechend hält. Schon während der Weimarer Republik gingen Akteure der Neuen Rechten auf Abstand zu Hitlers Anhängern, weil sie mit "geistig schlichten SA-Schlägern" nichts zu tun haben wollten, wie Pfahl-Traughber erklärt. Dies gilt auch heute noch.
Eine besondere Position nimmt hierbei die "Identitäre Bewegung" (IB) ein, deren führender Kopf Martin Sellner laut einer Recherche von "Correctiv" im November einen sogenannten "Masterplan" zur Abschiebung von Ausländern bei einem konspirativen Treffen mit AfD-Mitgliedern und finanzstarken Unternehmern vorstellte. Der stern berichtete. Zwar beruft sich die IB in ihrer Ideologie auf die Konservative Revolution der Weimarer Republik, laut Pfahl-Traughber könne man sie allerdings eher als "Neue Rechte auf der Straße" sehen, weil ihr aktionsorientierter Aktivismus nicht in die Strategie der Neuen Rechten passt.
Auch wenn es unterschiedliche Auffassungen in puncto Strategie zwischen Neuen Rechten, Neonazis und Gruppierungen wie der IB gibt, stehen sie letztlich gemeinsam hinter dem Plan, die Demokratie abzuschaffen und eine völkische Diktatur einzuführen.