Deutschlands schönste Inseln, Teil 2: Neuwerk Außenposten im Wattenmeer

Von Stephanie Lamprecht
Ohne den wuchtigen Leuchtturm wäre Neuwerk nur ein Schlickhügel im Watt. Der Außenposten der Hansestadt Hamburg wacht über 38 Insulaner, die Elbmündung und Touristen, deren Anreise zum autofreien Eiland abenteuerlich ist.

39 Meter hoch ragt Hamburgs ältestes Bauwerk in den Himmel. Im Erdgeschoss lockt die Turmschenke, darüber beginnt die Pension mit sieben Gästezimmern. In der Spitze blinkt nachts das Leuchtfeuer. Aber fangen wir ganz unten an: Als im Jahr 1299 die ersten rohe Felsblöcke für das viereckige Fundament in den Boden versenkt wurden, überlegte der Papst im fernen Rom gerade, wie er die Kreuzzüge finanzieren könnte.

Die Hamburger Kaufleute hatten andere Sorgen: Immer wieder strandeten Handelsschiffe vor der Elbmündung - und wurden von Seeräubern geplündert. Ein Turm musste her, als Orientierungspunkt für die Schiffer und als Wehrturm gegen Piraten. Die Insel Neuwerk liegt 120 Kilometer westlich von Hamburg vor der Elbmündung, nur wenige Kilometer von Cuxhaven entfernt. Auf der drei Quadratkilometer großen Insel sollte der wegweisende Turm entstehen. 1310 war das mühsame Werk vollbracht, und die unbewohnte Insel im Watt hatte ihren Namen: "Nige Werk", das neue Werk. Der Turmeingang lag aus Sicherheitsgründen in acht Metern Höhe.

Auf ein Köm in die Turmschenke

Inzwischen ist das mächtige Gemäuer bequem über einen hölzernen Aufgang zu entern. Der Gewölbesaal mit den dicken weißen Säulen im ersten Stock, früher Lagerraum für wertvolles Strandgut, ist seit 1949 Turmschenke. Wirtin Antonia Reber serviert hier Köm und Fischerfrühstück.

Im Stockwerk darüber beginnt das Reich von Pensionswirtin Antje Göttsche. Jeder, der auch nur kurz den Turm besteigen will, geht an der Küche der Turmherrin vorbei. Die Kasse steht in ihrem Wohnungsflur. Über eine Treppe gelangen die Pensionsgäste in die einstige "Herrenetage". Früher waren die Räume mit den urigen Fensternischen den Hamburger Senatoren und Bürgermeistern vorbehalten. Im rustikalen "Senatszimmer", wo die Pensionsgäste sich zum Fernsehgucken treffen, beschloss SPD-Bürgermeister Herbert Weichmann 1966 nach einer Deichwanderung die Umbildung seines Kabinetts. So hat er es dem Gästebuch anvertraut. Auch die Senatoren von heute gucken gerne mal vorbei. Der aktuelle Finanzsenator Michael Freytag fuhr in seiner Zeit als Umweltsenator jedes Jahr hierher.

Wandern durchs Watt

Dabei ist die Anreise alles andere als einfach. Ebbe und Flut bestimmen den Zeitplan. Bei Flut fährt die "Flipper", ein Fährschiff. Bei Ebbe der Wattwagen - aber nur von April bis Oktober. Es sei denn, man hat gute Beziehungen und ein Insulaner schmeißt den Trecker an. Auch laufen ist möglich. Die 13 Kilometer durch das Watt sind ein strammer Marsch. Der Weg ist mit "Pricken", Reisigbündeln, markiert. Wer von der Flut überrascht wird, muss auf Baken, große Metallkörbe auf einer Stange, bis zur nächsten Ebbe ausharren. Man kann aber auch mit einem Führer gehen.

Die 38 Bewohner erhalten jede Menge Besuch. Pro Jahr kommen rund 120.000 Gäste nach Neuwerk. Die meisten bleiben nur kurz, aber für eine Inselumrundung auf dem Deich reicht es meistens - sie dauert kaum eine Stunde.

Aber auch auf längerfristige Gäste ist man vorbereitet: Mehrere Pensionen und ein Vier-Sterne-Hotel gibt es auf der Insel. Im Leuchtturm kann man nicht nur wohnen, man kommt auch hoch hinaus. Von der "Herrenetage" erreicht man über eine schwindlig machende Wendeltreppe die Aussichtsplattform. In das grüne Kupferdach haben Generationen von Besuchern ihre Namen geritzt. Einige der verwitterten Initialen stammen gar aus den 20er Jahren. In der Turmspitze befindet sich mittlerweile eine moderne Lichtanlage; denn der uralte Turm weist immer noch den Seeleuten den Weg. Nur, dass heute keine Hanse-Koggen dem Feuerschein folgen, sondern Tanker und dicke Containerpötte dem rot-grünen Blinken der Elektro-Lampen.

Weitere Infos
Anreise: Bei Flut bringt die "MS Flipper" der Reederei Cassen Eils die Gäste von Cuxhaven nach Neuwerk - in der Hochsaison ist eine Voranmeldung unter Tel. 04721/3508284 oder unter www.helgolandreisen.de empfehlenswert. Die einfache Fahrt kostet 22 Euro, Kinder bis 9 Jahre zahlen 10 Euro.
Bei Ebbe geht's von Sahlenburg mit dem Pferdewagen durchs Watt. Kosten: 25 Euro; Kinder bis neun Jahre 12,50 Euro. Anmeldung erforderlich, zumBeispielunter Tel. 04721/29076 bei Wattwagen Griebel oder www.wattwagen-cux.de. Oder man läuft die acht Kilometer lange Strecke durchs Watt zu Fuß zur Insel. Infos dazu unter www.wattlaufen-cuxhaven.de.
Wohnen: Im Leuchtturm

Deutschlands schönste Inseln, Teil 3: Poel - lesen Sie am kommenden Donnerstag, 7. Mai

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