November 1998: Eine russische Proton-Rakete bringt das erste Bauteil der neuen Internationalen Raumstation ISS in eine Umlaufbahn. Sarja heißt das Modul, zu deutsch "Sonnenaufgang". Es ist eine Art zentrale Steuerungseinheit für die Raumstation. In den folgenden zehn Jahren wächst die ISS zusehens - allerdings langsamer als geplant, wegen Finanzierungsschwierigkeiten auf der russischen Seite und wegen des Columbia-Unglücks der Amerikaner. Doch jetzt, ein Jahrzehnt nach Baubeginn, ist ein Ende der Arbeiten im All abzusehen. "Der Abschluss der Bauarbeiten steht jetzt im Mittelpunkt", so der Chef der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, Mike Griffin. Wenn die ISS 2010 komplett aufgebaut ist, würden sich die Betreiberstaaten darauf konzentrieren, sie zu nutzen.
Mit der Inbetriebnahme des europäischen und des japanischen Labors in diesem Jahr haben nun alle internationalen Partner ihre Module im All. Und je mehr die ISS zu einem Erfolgsprojekt wird, desto mehr rückt die Nasa ab von ihren Ausstiegsplänen, die sie nach dem Unglück der Raumfähre Columbia 2003 verkündet hatte. "Von einem Ausstieg kann keine Rede sein", so der Nasa-Administrator. Auch der Nachfolger der Space Shuttles, das Crew Exploration Vehicle (CEV), werde gebaut, um die Raumstation anzusteuern. "Wir werden auf absehbare Zeit Partner an dem Projekt bleiben", so Griffin.
Spekulationen über ein Ende der amerikanischen Beteiligung an der ISS erhielten neue Nahrung, seit US-Präsident George Bush der Nasa 2004 neue Ziele im All vorgegeben hatte: Die Raumfähren sollen in zwei Jahren außer Dienst gestellt werden und die Nasa sich ab 2015 auf bemannte Flüge mit dem CEV konzentrieren, das amerikanische Astronauten zurück zum Mond bringen soll. Die Nasa sage jedoch nicht, dass 2015 oder 2016 Schluss mit der ISS sei, betont Johann-Dietrich Wörner, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Jetzt, da wir unser europäisches Forschungsmodul Columbus betriebsbereit haben, wollen wir die Nutzung der ISS intensivieren, und deshalb sehe ich nicht, dass wir im Moment ernsthaft darüber diskutieren, wann das Ende der ISS erreicht ist", so Wörner.
Die ewige Baustelle
Ursprünglich war von allen an der ISS beteiligten Partnern eine Gesamtlebensdauer für die Raumstation von zehn Jahren veranschlagt worden. Bei Baubeginn ahnte jedoch niemand, dass allein die Errichtung dieses Außenpostens der Menschheit im All schon mehr als ein Jahrzehnt dauern würde. Außerdem haben amerikanische Raumfähren die Labore der europäischen Weltraumagentur Esa und von Japans Raumfahrtbehörde Jaxa erst am Ende der Aufbausequenz ins All transportiert, so dass vor allem diese Länder nun auf eine längere Nutzung der ISS drängen. "Wir werden die ISS vermutlich weit über das Jahr 2015 hinaus nutzen können", hofft DLR-Chef Wörner, der derzeit vor einem Ende nicht vor 2020 ausgeht.
Die Nasa jedoch hat kein Geld, um eine Beteiligung an der Raumstation und eine Rückkehr zum Mond parallel zu finanzieren. Außerdem schreibt der Auftrag aus dem Weißen Haus der Raumfahrtbehörde die Exploration vor, der Aufbruch zu neuen Welten also: zurück zum Mond, voraus zum Mars und zu Welten jenseits davon, so George Bush in seiner Rede zur Weltraumpolitik 2004. Andererseits sieht die Nasa jedoch den Nutzen, den eine ständig bemannte Raumstation gerade für die Vorbereitung bemannter Langzeitflüge zum Mars bieten könnte. Auf dem Raumfahrt-Gipfel in Paris beraten die internationalen Partner, wie lange die Restlaufzeit der ISS sein soll und wer welche Kosten trägt. "Rein technisch gäbe es keine Probleme, die Station länger als 2015 zu betreiben", so der deutsche Astronaut Thomas Reiter, der 2006 ein halbes Jahr auf der ISS verbracht hat. "Die Frage ist, wie lange man den Aufwand betreiben und die finanziellen Mittel aufbringen will, um die ISS insgesamt am Leben zu halten."
"Mindestens haltbar bis 2018"
Europas Raumlabor Columbus ist erst im Frühjahr an die ISS gedockt worden. Es ist für eine zehnjährige Lebenszeit ausgelegt, sollte also mindestens bis 2018 funktionieren und damit länger, als die ISS insgesamt im Orbit bleiben soll. "Jedes Produkt wird vom Hersteller für eine theoretische Lebenszeit ausgelegt", gibt Thomas Reiter zu. Aber: Die russische Mir-Station war für 6 Jahre ausgelegt und hat 15 Jahre funktioniert. "Bei Columbus wird es vermutlich ähnlich sein." Dennoch werden wohl während der geplanten zehnjährigen Lebensdauer von Columbus früher oder später erste Wartungsarbeiten anfallen und einige Bauteile ausgetauscht werden müssen.
Auf jeden Fall wird Europa zum Transport seiner Astronauten weiterhin auf Mitfluggelegenheit auf den russischen Sojus-Kapseln, den US-Space Shuttles und ab 2015 dem neuen CEV der Amerikaner angewiesen sein. Ein Ausbau ihres Automatischen Transfer-Vehikels kommt für die europäische Weltraumagentur Esa nicht in Frage. Im April hatte das erste ATV automatisch und ohne Probleme an die ISS gedockt und die Station mit Nachschub versorgt, was Spekulationen über einen möglichen Ausbau des Raumschiffs zu einem bemannten Fahrzeug sprießen ließ. Der Bremer Raumfahrtkonzern EADS, der sich beim Bau des überwiegend in Toulouse hergestellten Raumschiffs übergangen fühlte, hatte die Werbetrommel gerührt, um sich Folge-Aufträge zu sichern. Die Esa winkt jedoch ab. "Prinzipiell könnten wir den Frachtteil des ATVs zwar durch eine bemannte Kapsel ersetzen", gibt Ian Thirkettle zu, der ISS-Manager der Esa. "Dies wäre aber ein sehr ineffizientes Raumschiff. Das ATV ist designt worden, um die ISS mit Nachschub zu versorgen und ihre Umlaufbahn anzuheben."
"Ein bemanntes europäisches Raumschiff würde mit Sicherheit nicht auf dem Konzept des ATVs aufbauen, wie wir es kennen und schätzen gelernt haben", so der Brite. Der Umbau des ATVs zu einem bemannten System wäre teurer, als eines komplett neu zu erfinden. Außerdem verfügt Europa über kein Transportmittel für eine bemannte Kapsel ins All. Die Ariane-V-Rakete ist nicht human-rated, also nicht für den Transport von Menschen ausgelegt. Sie ebenfalls umzubauen würde enorme Kosten verursachen und sich mindestens zehn Jahre hinziehen. Dann hätten Europas Astronauten jedoch kein Ziel mehr, das sie ansteuern könnten, da sich die Lebenszeit der ISS dann ihrem Ende nähert.
China als schwieriger Partner
Neben Europa, den Russen und den USA bemüht sich eine vierte Nation derzeit um einen unabhängigen, bemannten Zugang in den Weltraum. Im Oktober sollen zum dritten Mal Taikonauten ins All starten. Könnte China auch Partner bei der ISS werden? "Es ist durchaus möglich, dass China sich der Internationalen Raumstation eines Tages anschließen wird", mutmaßt Roger Launius, Weltraumhistoriker am National Air and Space Museum in Washington, D.C. Es gebe jedoch große Bedenken wegen des Technologie-Tranfers. "Wer sich an einem gemeinsamen Raumfahrtunternehmen beteiligt, muss sein technisches Know how offenbaren. Dies bereitet einigen Entscheidungsträgern hier in den USA Kopfzerbrechen, denn vielleicht könnten die Chinesen dieses Wissen eines Tages gegen uns verwenden." Außerdem sei China nun einmal - im Gegensatz zu allen anderen ISS-Partnern - keine Demokratie. "Die Herausforderungen, die mit einer möglichen Beteiligung Chinas an der ISS verbunden sind, sind sowohl politischer als auch technologischer Art", meint der Kurator des Luft- und Raumfahrtmuseums.
Beide Probleme bedürfen Zeit, um sie zu lösen. "Die ISS wird ihre Lebenszeit längst überschritten haben, bevor sich da irgendetwas tut." Offenbar plant China jedoch eine eigene Raumstation. Wer weiß also, ob nicht vielleicht im nächsten Jahrzehnt die bisherigen ISS-Partner eine Einladung aus Peking bekommen, sich an einer chinesischen Raumstation zu beteiligen als Nachfolgeprojekt der Internationalen Raumstation?