An Weihnachten besuche ich meine Eltern wirklich gerne. Lecker Essen von Mama, die Familienmitglieder bei diversen Gesellschaftsspielen abziehen, Vater und Bruder beim Zanken zugucken - das lässt man sich natürlich nicht entgehen, nur weil man gerade nach München gezogen ist und die Familie in Köln zurückgelassen hat. Es gibt ja schließlich die Bahn. München-Köln, das sind noch nicht einmal fünf Stunden.
Eigentlich.
Dummerweise ist Weihnachten im ganzen Land zur gleichen Zeit. In reisetechnischer Hinsicht ein entscheidender Nachteil gegenüber den Sommerferien, denn die Züge sind logischerweise gerammelt voll und die Bahn am Rande ihrer Kapazitäten. Außerdem ist Weihnachten immer im Winter, und mit dem steht die Bahn bekanntlich auf Kriegsfuß. Der Winter 2010, um den es hier jetzt gehen soll, war einer von der sibirischen Sorte. Weiße Weihnacht, wunderbar, aber eben zum Rodeln deutlich besser geeignet als zum Bahnfahren.
Dass mein Zug in München schon mit einer Dreiviertelstunde Verspätung losfuhr, war noch zu verkraften. Die Strecken waren vereist, die Züge mussten langsamer fahren, daher war der ICE mit verzögert eingetroffen. Da der Zug über eben jene vereisten Gleise wieder zurück musste, stellte ich mich innerlich schon mal auf ein, zwei Stunden Verspätung ein. Doch dabei sollte es nicht bleiben.
Wir waren noch nicht mal aus Bayern raus, als der Zug plötzlich auf freier Strecke stehenblieb. Über Lautsprecher erklärte der Zugleiter, es tue ihm sehr leid, aber der Lokführer habe leider vergessen, am Bahnhof Ingolstadt anzuhalten. Während wir durchfuhren, hatte er 's bemerkt und auch gleich gebremst, wir waren aber nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand gekommen.
Improvisieren in Ingolstadt
Zurücksetzen konnte der ICE leider nicht, daher wurde folgender Ausweichplan ausgeheckt: Statt am Ingolstädter Hauptbahnhof hielten wir nun außerplanmäßig in Ingolstadt-Nord, wo wir auf eine Regionalbahn warten mussten, die die nicht abgeholten Passagiere vom Hauptbahnhof bei uns vorbeibrachte. Die wollten schließlich Weihnachten auch nicht am Bahnhof feiern. Schön improvisiert, dauerte aber natürlich. Im Schneckentempo, aber ohne weitere nennenswerten Vorkommnisse ging's dann weiter bis Frankfurt - und weiter nicht. Die Lok hatte ihren Geist aufgegeben, akute Winterstarre, und einen Ersatz zu beschaffen, gestaltete sich für die Bahn als schwierig. Schließlich war schon alles auf den Schienen unterwegs, was irgendwie verfügbar war.
Wie lange wir in Frankfurt standen weiß ich nicht mehr, weil ich irgendwann eingenickt bin. Ich weiß nur noch, dass wir irgendwann gegen Morgen, nach insgesamt ungefähr zehn Stunden, in Köln waren. Und dass die Bescherung noch nicht vorbei war, weil wir nicht an Heiligabend selbst gefahren sind. Und dass ich es ein bisschen schade fand, dass man bei fünf Stunden Verspätung auch nicht mehr vom Fahrpreis erstattet bekommt als bei zwei, obwohl man doch eigentlich sogar Geld rausbekommen müsste, wenn man das mal hochrechnet.
Ach, was erduldet man nicht alles, um seine lieben Eltern zum Fest in die Arme schließen zu können. In diesem Jahr fahre ich übrigens von Hamburg nach Köln, das dauert normalerweise vier Stunden.
Ich bin gespannt.